Das Bürgergeld ist das große Prestigeprojekt von Hubertus Heil (SPD). Doch derzeit steht es von allen Seiten in der Kritik. Im Interview verteidigt der Arbeits- und Sozialminister die Reform als "moderne Antwort auf die neue Lage am Arbeitsmarkt".

Die Sonne geht gerade unter, als der Minister zum Interview in seinem Berliner Amtssitz empfängt. Trotz fortgeschrittener Stunde trinkt Hubertus Heil einen Kaffee: Am späten Abend muss er noch in die Talkshow "Maischberger". Der Bundesminister für Arbeit und Soziales steht gerade unter besonderem Spardruck – seine Behörde hat den mit Abstand größten Etat aller Ministerien.

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"Dass man mit knapperen Mitteln die richtigen Schwerpunkte setzen muss, ist klar", sagt Heil unserer Redaktion. Deshalb möchte er mit dem "Job-Turbo" mehr geflüchtete Ukrainer aus dem Bürgergeld und in den Arbeitsmarkt bringen. An der Höhe des Bürgergelds will er aber nicht rütteln. Wer behauptet, Arbeit lohne sich nicht mehr, sei "unseriös".

Herr Heil, wir erleben eine Phase der Sparpolitik und die Regierung schaut auf jeden Cent, den sie ausgibt. Wie viel Spaß macht es derzeit, Arbeits- und Sozialminister zu sein?

Als Arbeitsminister leiste ich meinen Beitrag, die Fachkräftebasis zu sichern, soziale Sicherheit zu gewährleisten und unsere Gesellschaft in diesen schwierigen Zeiten zusammenzuhalten. Dass man dafür mit knapperen Mitteln die richtigen Schwerpunkte setzen muss, ist klar. Deshalb hat auch mein Ministerium einen wichtigen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung geleistet.

Sie sind mit großen Plänen in die Regierung gegangen und sprachen vor der Einführung des Bürgergeldes von "einer der größten Sozialreformen der vergangenen 20 Jahre". Würden Sie das heute noch so sagen?

Ja. Es war wichtig, mit dem Bürgergeld eine moderne Antwort auf die neue Lage am Arbeitsmarkt zu geben. Statt Massenarbeitslosigkeit wie vor 20 Jahren haben wir heute Fachkräftemangel. Es geht um zwei Dinge: Erstens, um die Absicherung in existenzieller Not. Und zweitens, der wichtigste Punkt, Menschen aus der Bedürftigkeit in Arbeit zu bringen.

Unsere Redakteure Joshua Schultheis und Fabian Hartmann im Gespräch mit Hubertus Heil. © Hannes Jung/Hannes Jung

Die Union trotzte Ihnen für die Zustimmung zum Bürgergeld im Bundesrat bereits schmerzhafte Kompromisse ab und nun mussten wegen des Haushaltslochs weitere Abstriche gemacht werden. Zum Beispiel sollen Arbeitslose, die Jobangebote ablehnen, künftig bis zu zwei Monate gar kein Bürgergeld erhalten. Ist das wirklich die angekündigte Abkehr von Hartz IV?

Ja, denn das Bürgergeld war nie ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es ist die Absicherung des Existenzminimums, nicht mehr und nicht weniger. Mitwirkungspflichten und Sanktionen waren immer Teil davon. Wir schärfen jetzt nach, wenn Leute gar nicht mitmachen. Das finde ich absolut richtig. Denn die meisten ziehen ja mit, und die dürfen nicht mit den wenigen Totalverweigerern in einen Topf geschmissen werden. Viel entscheidender ist aber, dass wir mit dem Bürgergeld durch Qualifizierung und das Nachholen eines Berufsabschlusses die Chance schaffen, dass Menschen dauerhaft aus der Arbeitslosigkeit herauskommen.

"Wir haben derzeit 160.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Arbeit."

Der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer wirft Ihnen vor, Menschen "hungern zu lassen". Stimmt das?

Nein, und ich habe mit ihm auch darüber gesprochen. Es gibt klare Vorgaben vom Bundesverfassungsgericht und danach richtet sich das Bürgergeld.

Um Geld zu sparen, wollen Sie mit einem "Job-Turbo" mehr Geflüchtete, insbesondere aus der Ukraine, aus dem Bürgergeld in Arbeit bekommen. Wie ist nach drei Monaten die Bilanz?

Wir kommen voran. Wir haben derzeit etwa 160.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Arbeit und es müssen noch deutlich mehr werden. Die Chance dazu ist da, weil jetzt über 200.000 in Integrationskursen Sprachkenntnisse erworben haben. Diese wollen wir jetzt in Arbeit bringen. Es gilt, noch stärker in Unternehmen dafür zu werben, diese Menschen auch einzustellen. Denn die Sprache lernt man nicht nur in Kursen, sondern bei der Arbeit. Zudem haben die Jobcenter seit Januar mit Hochdruck ihre Arbeit umgestellt. Sie veranstalten Messen, sprechen regelmäßig mit den Geflüchteten und Unternehmen, nutzen Apps und suchen passende Arbeitsangebote. Sie weisen aber auch verstärkt darauf hin, dass es Mitwirkungspflichten gibt.

In anderen Ländern klappt es besser mit der Vermittlung der Ukrainer in Arbeit.

Ich will, dass wir auch in Deutschland besser werden. Aber bei den Zahlen in anderen Ländern muss man vorsichtig sein. In Polen etwa wurden alle Ukrainer mitgezählt, die dort schon vor dem russischen Angriffskrieg gearbeitet haben. In den Niederlanden machen viele Arbeit auf Abruf. Die haben einen Vertrag, aber ob sie überhaupt arbeiten, ist offen. Österreich ist am ehesten mit uns vergleichbar und dort sind die Zahlen ähnlich.

FDP und Union fordern, ukrainischen Geflüchteten kein Bürgergeld mehr zu geben, sondern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das wären etwa 150 Euro weniger im Monat. Was halten Sie von der Idee?

Das würde zu wahnsinniger Bürokratie und zu extremen Kosten für die Kommunen führen. Denn das Asylbewerberleistungsgesetz bezahlt nicht der Bund. Die Geflüchteten aus der Ukraine wurden bewusst nicht in komplizierte Asylverfahren gesteckt. Sie haben durch einen EU-Beschluss einen sicheren Status, eine Arbeitserlaubnis und werden deshalb folgerichtig von den Jobcentern betreut. Das ist auch sinnvoll, wir wollen sie ja schnell in Arbeit vermitteln und nicht in Arbeitslosigkeit verwalten.

"Herr Merz will das Existenzminimum künstlich runterrechnen."

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sagt, aufgrund der Höhe des Bürgergeldes lohne sich für manche das Arbeiten nicht. Ist das Bürgergeld "subventionierte Arbeitslosigkeit", wie es Herr Merz ausdrückt?

Ich wundere mich schon sehr, denn er hat in namentlicher Abstimmung im Bundestag dem Bürgergeld zugestimmt. Er verdreht bei dem Thema bewusst Fakten, das ist unseriös. Klar ist, Arbeit macht immer einen Unterschied. Das bestätigt auch die Wissenschaft. Herr Merz will das Existenzminimum künstlich runterrechnen, das verbietet schon unser Grundgesetz. Mir geht es darum, dass die Menschen durch Arbeit mehr verdienen.

Ein Mittel ist der Mindestlohn. Der soll im nächsten Jahr von 12,41 auf 12,82 Euro steigen. Kann man davon leben?

Es war wichtig, dass wir den Mindestlohn nicht nur eingeführt, sondern deutlich erhöht haben. Aber der Mindestlohn ist immer nur eine absolute Lohnuntergrenze. Tariflöhne sind besser als ein Mindestlohn. Deshalb müssen wir die Tarifbindung stärken.

Die Erhöhung auf 12 Euro war eine politische Entscheidung an der Mindestlohnkommission aus Gewerkschaften und Arbeitgebern vorbei. Würden Sie diesen Weg noch einmal einschlagen?

Die Erhöhung auf 12 Euro hat dafür gesorgt, dass über sechs Millionen Menschen bessere Löhne bekommen haben. Für die weiteren Empfehlungen ist wieder die Mindestlohnkommission zuständig. Mir persönlich war die letzte Empfehlung zu niedrig. Und es war nicht gut, dass die Arbeitgeber keinen Konsens mit den Gewerkschaften gefunden haben. Ich setze darauf, dass das bei der nächsten Mindestlohnerhöhung deutlich anders ist. Und konzentriere mich jetzt darauf, mitzuhelfen, dass es wieder mehr Tariflöhne gibt. Deshalb werde ich ein Tariftreuegesetz vorlegen, das dafür sorgt, dass öffentliche Aufträge des Bundes nur an die Unternehmen vergeben werden, die nach Tarif bezahlen. Das sorgt für bessere Löhne.

Ein weiteres wichtiges Thema für Sie ist die Rente. Sie planen, das Rentenniveau bei 48 Prozent abzusichern. Geht das nicht auf Kosten der Jungen?

Nein, im Gegenteil. Wir sichern die Rente langfristig für alle Generationen und damit eben auch für die heute Jüngeren. Sie sollen sich darauf verlassen können, für ihre geleisteten Beiträge auch in Zukunft eine angemessene Rente zu bekommen. Deshalb halten wir das Rentenniveau dauerhaft stabil.

"Viele Menschen können nicht bis 67 Jahre arbeiten."

Die Rente kann man auch über ein höheres Eintrittsalter stabilisieren. Die "Wirtschaftsweisen" sagen: Wer länger lebt, muss auch länger arbeiten. Stimmen Sie dem zu?

Das gesetzliche Renteneintrittsalter steigt bis 2031 auf 67 Jahre. Aber eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters wird es mit mir nicht geben. Ich bin viel mehr für flexible Übergänge in den Ruhestand. Ich kenne Menschen, die freiwillig länger arbeiten wollen und können. Dafür werden wir Anreize verstärken. Aber in vielen Berufen können Menschen nicht so lange arbeiten, denken sie etwa an die Lagerlogistik, die Pflege und auch viele Handwerksberufe. Für diese Menschen wäre eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters nichts weiter als eine Rentenkürzung.

Die Regierung plant außerdem zehn Milliarden Euro für eine Aktienrente ein, das sogenannte Generationenkapital. Ökonomen halten das für einen Tropfen auf den heißen Stein. Ist die Reform schon gescheitert, bevor sie in Kraft getreten ist?

Nein. Ich werde in Kürze ein Rentenpaket mit dem Finanzminister vorlegen, dass das Rentenniveau dauerhaft sichert und Vorsorge trägt, dass die Beiträge in den 2030er-Jahren nicht zu sehr steigen.

Warum wird ein Teil der Rentenbeiträge nicht genutzt, um direkt am Kapitalmarkt zu investieren, wie es skandinavische Länder machen?

Wir wollen in Deutschland keine Rentenbeiträge in Aktien investieren. Mit dem Generationenkapital legen wir Geld langfristig am Kapitalmarkt an, um aus den Erträgen in den 2030er-Jahren die gesetzliche Rente zu stabilisieren.

Ist die deutsche Rente also besser als Ihr Ruf?

Die gesetzliche Rente soll die tragende Säule der Alterssicherung in Deutschland bleiben. Damit das funktioniert, legen wir nicht nur ein Rentenpaket vor, sondern machen vor allem unsere Hausaufgaben am Arbeitsmarkt: Je mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter in sozialversicherungspflichtiger Arbeit sind, desto stabiler ist das Rentensystem. Das zeigt der Blick in die letzten Jahre. Noch nie waren so viel Menschen in sozialversicherungspflichtiger Arbeit wie heute. Das ist der Grund, warum manche Horrorszenarien, die vor zehn Jahren an die Wand gemalt wurden, im deutschen Rentensystem nicht eingetroffen sind.

Über unseren Gesprächspartner

  • Hubertus Heil (Jahrgang 1972) ist eines der erfahrensten Kabinettmitglieder: Seit 2018 steht der SPD-Politiker dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vor und war der einzige Minister, der nach dem Wechsel von der Großen Koalition zur Ampel in seiner Funktion geblieben ist. Heil sitzt seit 1998 im Bundestag und war von 2005 bis 2009 und noch einmal für ein paar Monate im Jahr 2017 Generalsekretär der SPD. Der gebürtige Hildesheimer hat Politikwissenschaft und Soziologie in Potsdam und an der Fernuniversität Hagen studiert.
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