Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung über den Haufen geworfen. Bundeskanzler Olaf Scholz will bei einer Regierungserklärung Land und Leute beruhigen: Die Bürgerinnen und Bürger würden davon im Alltag nichts spüren, die Modernisierung des Landes weitergehen. CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz fällt derweil ein vernichtendes Urteil über die Ampel-Koalition.
In der Vergangenheit ließ sich
Manchmal gehen seine Sätze im höhnischen Gelächter und in Zwischenrufen der AfD-Fraktion unter. Doch Scholz macht weiter – und versucht, Zuversicht zu verbreiten. "Wir lassen niemanden allein", sagt der Bundeskanzler. Und er verspricht: Deutschland stehe vor einer grundlegenden Modernisierung und einer neuen Ära.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Normalerweise tagt das Plenum des Bundestags nicht an Dienstagen – denn die sind den Sitzungen der Fraktionen und Ausschüsse vorbehalten. Doch ungewöhnliche Zeiten verlangen ungewöhnliche Termine.
Am 15. November hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Nachtragshaushalt 2021 gegen das Grundgesetz verstößt. Die Ampel-Koalition hatte nicht benötigte Kreditermächtigungen für die Folgen der Corona-Krise in den Klima- und Transformationsfonds umgeschichtet. Das war unzulässig, entschieden die Richterinnen und Richter: Der Bund dürfe Schulden nicht auf Vorrat anhäufen.
Damit stehen in den kommenden Jahren mindestens 60 Milliarden Euro nicht zur Verfügung. Mit dem Geld wollte die Bundesregierung eigentlich die Ansiedlung von Chip-Fabriken fördern, die Bahn modernisieren, die Sanierung von Gebäuden und den Bau von Elektroauto-Ladesäulen vorantreiben.
Doch es geht möglicherweise um noch mehr. Denn mit einem ähnlichen Trick hatte die Scholz-Regierung auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds geschaffen – den sogenannten Doppel-Wumms, mit dem die Bürgerinnen und Bürger bei den Energiepreisen entlastet wurden. Wie es nun weitergeht, ist offen. Muss der Bund an anderer Stelle sparen? Oder mehr Schulden machen?
Die Schuldenbremse besagt, dass die Nettokreditaufnahme höchstens 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen darf. Allerdings könnte der Bundestag für 2024 eine Notlage erklären und die Schuldenbremse damit außer Kraft setzen. Das hat das Parlament schon in der Corona-Krise gemacht und das soll nachträglich auch für 2023 geschehen.
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Scholz in Regierungserklärung: Urteil ändert für Bürgerinnen und Bürger nichts
Der Bundeskanzler sagt am Dienstag im Bundestag, er wolle erklären, wie es weitergeht. Doch stattdessen wirft er zunächst ausführlich einen Blick zurück.
Deutschland habe Herausforderungen erlebt, "wie sie die Republik in dieser Konzentration und Härte wohl noch nicht erlebt hat", so Scholz: die Corona-Krise, Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Aufnahme von mehr als einer Million Flüchtlinge aus der Ukraine, immer noch die Folgen der Flutkatastrophe an der Ahr im Sommer 2021.
Der Bundeskanzler richtet sich in seiner Rede auch an die Bevölkerung: "In Ihrem Alltag hier und heute ändert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts, völlig unabhängig davon, ob Sie Kindergeld bekommen, eine Rente oder Wohngeld", sagt er.
Zwar werde die Regierung die Energiepreisbremse zum Ende des Jahres beenden. Die Preise seien bereits gesunken, die Gasspeicher gut gefüllt. Falls sich daran etwas ändere, sei man jederzeit in der Lage, kurzfristig zu handeln.
Scholz will an den großen Projekten festhalten: Die Unterstützung für die Ukraine müsse weitergehen, die Energiekrise bewältigt werden. Zudem müsse der Staat weiter investieren: "Wir müssen jetzt den Reformstau auflösen, wir müssen jetzt Tempo machen nach Zeiten des Stillstands."
Wie das alles unter den schwierigen Haushaltsbedingungen gelingen soll, sagt Scholz aber nicht. Nur so viel: Man werde im Haushalt 2024 "Spielräume ausloten, Schwerpunkte setzen – und natürlich auch Ausgaben beschränken".
Friedrich Merz teilt aus: "Einfach nur noch peinlich, was wir hier sehen und hören"
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei das Kartenhaus der Ampel-Koalition zusammengebrochen, sagt CDU/CSU-Fraktionschef
Merz gibt sich selbstbewusst. Er hat wahrgenommen, dass er auf dem Grünen-Parteitag am Wochenende als Mann der 90er-Jahre abgestempelt wurde. Das nehme er mit Stolz an: In den 90er-Jahren habe die CDU regiert und kompetentere Bundeskanzler oder Minister gestellt als heute die Ampel-Koalition. "Einfach nur noch peinlich, was wir hier sehen und hören", schimpft Merz. Scholz bezeichnet er als "Klempner der Macht": "Sie haben keine Vorstellung davon, wie sich das Land in den nächsten Jahren entwickeln soll", ruft der Oppositionsführer.
Merz kommt sichtlich in Fahrt: Die Schuhe des Bundeskanzlers seien Olaf Scholz "zwei Nummern zu groß". Verglichen mit den früheren SPD-Kanzlern Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder müsse man bei Scholz feststellen: "Sie können es nicht."
Dietmar Bartsch: "Die Notlage des Landes heißt Ampel"
Alice Weidel versucht danach, noch eins draufzusetzen: Die Regierung regiere gegen die Vernunft, die Wirklichkeit, das Wohl der Bürger und gegen die Verfassung, sagt die AfD-Fraktionsvorsitzende. Die Energie- und Mobilitätswende ist aus ihrer Sicht ein "Milliardengrab". "Öffnen Sie den Weg für Neuwahlen und erlösen Sie dieses Land von der Ampel-Regierung", sagt Weidel.
Auch aus der anderen Ecke des Plenums kommt Fundamentalkritik. "Die Notlage des Landes heißt Ampel – aber dagegen helfen eben nicht einmal Kredite", sagt der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch.
In der Frage, wie es weitergehen soll, sind sich auch die Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP nicht einig. Doch die harten Angriffe der Opposition lassen sie eher eine gemeinsame Verteidigungshaltung einnehmen. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge kritisiert das Gelächter der Unionsabgeordneten: Damit würden sie zeigen, dass ihnen die ungewisse Zukunft von Arbeitsplätzen egal sei.
Ihr FDP-Kollege Christian Dürr wirft der Union vor, in der Frage der Schuldenbremse ebenfalls nicht geschlossen zu sein. Mehrere Ministerpräsidenten der CDU hätten schon laut über eine Reform nachgedacht, sagt Dürr. Nur für CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gelte das nicht, so Dürr. "Aber, meine Damen und Herren, es ist ja auch erst Dienstag."
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