• Niemand soll sich Sorgen machen müssen, wenn er an Herbst, Winter und die Energierechnungen denkt – das wünscht sich Bundeskanzler Olaf Scholz.
  • Mit einem 200 Milliarden schweren "Abwehrschirm" will er es richten. Nun gibt es konkrete Vorschläge, wie die Gaspreisbremse aussehen könnte.
  • Ein Energie-Experte übt Kritik.
Eine Analyse

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Der von Olaf Scholz angekündigte "Doppel-Wumms" füllt sich mit Inhalten: Im Kampf gegen die hohen Gaspreise hat die eingesetzte Expertenkommission einen Vorschlag zur Gaspreisbremse vorgelegt. Demnach soll es ein zweistufiges Entlastungsverfahren geben. In einem ersten Schritt soll der Staat im Dezember einmalig Abschlagszahlungen übernehmen. Ab März 2023 bis mindestens April 2024 sollen für 80 Prozent eines geschätzten Grundkontingents die Preise auf 12 Cent pro Kilowattstunde abgesenkt werden. Über die genaue Umsetzung entscheidet nun die Bundesregierung.

Die Bundesregierung hatte Ende September angesichts der steigenden Energiepreise einen 200 Milliarden schweren "Abwehrschirm" gespannt und neben der Strompreisbremse eine Gaspreisbremse angekündigt. Es solle sich niemand Sorgen machen müssen, wenn er an den Herbst, den Winter und die Energierechnungen denkt, sagte der Kanzler bei der damaligen Pressekonferenz. "Die Preise müssen runter", sagte Scholz. Es gehe darum, zügig und für alle schnell feststellbar, die Preise für die Energie zu senken.

Schon wieder das Gießkannen-Prinzip?

Energie-Experte Hans-Wilhelm Schiffer beobachtet die Energiepolitik der Bundesregierung aufmerksam. Auch er betont: "Gas muss massiv eingespart werden. Je mehr der Gasverbrauch gesenkt werden kann, desto stärker wird der Gaspreis gedämpft".

An den konkreten Maßnahmen übt er jedoch Kritik. Die Einmalzahlung im Dezember soll auf Basis des Verbrauchs erfolgen, der wiederum der Abschlagszahlung von September zugrunde gelegt wird. "Die Einmalzahlung ist umso höher, je größer der Verbrauch an Gas oder Fernwärme ist", folgert Schiffer.

Damit würden auch Verbraucher mit weit überdurchschnittlich hohem Verbrauch profitieren, die aufgrund ihrer Einkommenssituation auf die Hilfe gar nicht angewiesen seien und nicht existenziell bedroht sind. Das entspreche wieder dem "Prinzip Gießkanne". "Die soziale Unwucht soll durch eine Steuerpflichtigkeit des geldwerten Vorteils ab einem bestimmten Einkommen begrenzt werden", ergänzt Schiffer.

Sparanreiz für Verbraucher sinkt

Aus seiner Sicht schmälert die vorgesehene Gas- und Wärmepreisbremse den Energiesparanreiz. "Denn das zugestandene Kontingent der Gasverbrauchsmenge, also 80 Prozent des Verbrauchs von September 2022, wird subventioniert", erinnert er. Weil der Rabatt bei der Einkommensteuererklärung als geldwerter Vorteil angegeben werden muss, sieht Schiffer vor allem bei Mietshäusern und Wohnungseigentümergemeinschaften einen enormen bürokratischen Aufwand kommen.

"Der Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft muss den Anteil, der mit dem Rabatt begünstigt wird, in jedem Einzelfall dem Vermieter oder Eigennutzer aufgeschlüsselt mitteilen. Der so ermittelte geldwerte Vorteil ist dann vom Begünstigten zu versteuern", zeigt Schiffer auf.

Falscher Anreiz für Unternehmen

Im industriellen Bereich würden die vorgeschlagenen Maßnahmen den Sparanreiz für Unternehmen ebenfalls senken, meint Schiffer. Hier soll der Gaspreis auf "im Regelfall 70 Prozent des Verbrauches des Jahres 2021" subventioniert werden. "Es wäre besser, wenn eine Direktzahlung an die Unternehmen erfolgte, die auf die Unterstützung angewiesen sind", meint Schiffer.

Mit dem von der Kommission vorgeschlagenen Modell könnte andernfalls ein Anreiz für Unternehmen entstehen, die Geschäftstätigkeit einzuschränken oder sogar zumindest vorübergehend einzustellen, wenn mit dem Verkauf der geförderten Kontingentmenge am Markt ein größerer Erlös erzielt werden kann, fürchtet der Experte.

Insgesamt hält er es für dringend geboten, gesetzliche Grundlagen für sozial gestaffelte Direktzahlungen außerhalb der Bepreisungssysteme zu schaffen. "Sie werden von der Kommission wegen der dafür fehlenden staatlichen Infrastruktur nicht für möglich gehalten, obwohl sie der eigentlich bessere Mechanismus sind", sagt der Experte. Ob der "Doppel-Wumms" in der Energiekrise insgesamt ein Befreiungsschlag ist, bezweifelt Schiffer indes.

Experte sieht einen "Mythos" in Bezug auf russisches Gas und deutschen Wohlstand

"Es ist ein Mythos, dass der wirtschaftliche Wohlstand in Deutschland vor allem durch den Bezug von russischem Pipeline-Gas begründet ist", meint der Experte. Richtig sei vielmehr, dass die Innovationskraft und die Leistungsfähigkeit der Industrie sowie des Mittelstandes und deren Beschäftigten wesentlicher Treiber der positiven wirtschaftlichen Entwicklung gewesen seien.

"Wettbewerbsfähige Energiepreise sind zwar wichtig, insbesondere für energieintensive Unternehmen etwa der Chemie-, Aluminium, Stahl- und Kupferindustrie", wendet er ein. Tatsache sei aber, dass die Gaspreise in Deutschland – für Unternehmen und für private Haushalte – zuletzt im europäischen Mittelfeld, für Strom sogar deutlich darüber lagen.

Reduzieren des Verbrauchs und Ersatz von Gas durch andere Energien vorrangig

"Die Gas- und Strompreise waren etwa in den USA halb so hoch wie in Deutschland. Nur in einigen Industriestaaten Asiens, wie vor allem Japan, das komplett auf Einfuhren von im Vergleich zu Pipeline-Gas teurerem Flüssiggas angewiesen ist, waren in der Vergangenheit höhere Gaspreise verzeichnet worden", betont Schiffer.

Aufgrund der Abhängigkeit von russischem Gas wurde Deutschland nun besonders getroffen. Mit der Suche nach alternativen Bezugsquellen hätte die Politik wichtige Weichen gestellt, meint Schiffer. "Entscheidend ist aber auch die Nachfrageseite", betont er.

Der stärkste Hebel, Putins Erpressungsversuchen zu begegnen, bestehe in der Senkung des Gasverbrauchs und dem Ersatz von Gas durch andere Energien. "Die von der Politik zu Recht geschnürten Entlastungspakete sollten dies befördern und nicht konterkarieren", macht er deutlich.

Preismechanismus als wirksamstes Instrument

Eine deutliche Senkung des Gasverbrauchs bei den privaten Haushalten und in der Industrie könnten die Marktlage entspannen und die auf den Großhandelsmärkten bestehenden horrenden Preise dämpfen, meint Schiffer. Die Entlastungsmaßnahmen dürften den Preismechanismus als wirksamstes Instrument zur Steuerung der Nachfrage nicht aushebeln.

"Den Verbrauchern wird der Eindruck vermittelt, es werde alles nicht so schlimm kommen. Und Haushalten, die mit dem definierten Grundverbrauch zu subventionierten Festpreisen auskommen, wird sogar nahezu jeglicher Sparanreiz genommen", kritisiert Schiffer.

Über den Experten: Hon.-Prof. Dr. Hans-Wilhelm Schiffer ist Lehrbeauftragter an der RWTH Aachen University. Sein Lehr- und Forschungsgebiet ist vor allem die Technologie der Energierohstoffe.
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