Reform der Schuldenbremse und ein neues Sondervermögen: CDU/CSU und SPD haben schon zum Beginn ihrer Sondierungen für eine Überraschung gesorgt. Vor allem Friedrich Merz wird einiges zu erklären haben.
In den vergangenen Jahren hat sich die Mode eingeschlichen, politische Entscheidungen mit wuchtigen Namen zu versehen.
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Das setzt den Ton für die Debatten, die vor allem auf Friedrich Merz zukommen.
Schuldenbremse wirkte aus der Zeit gefallen
Die mögliche nächste Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD will Verteidigungsausgaben faktisch von der Schuldenbremse ausnehmen und auch den Ländern wieder eine größere Kreditaufnahme ermöglichen. Der dritte Teil des Pakets ist ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Infrastruktur. Auch das ist ein nettes Wort für zusätzliche Schulden.
2009 hatten Bundestag und Bundesrat die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben: Neue Kredite des Bundes dürfen seitdem pro Jahr höchstens 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. In der europaweiten Staatsschuldenkrise wollte Deutschland damit ein Zeichen der Sparsamkeit setzen.
Doch 15 Jahre und unzählige Krisen und Herausforderungen später scheint die Regel aus der Zeit gefallen. Wenn Deutschland massiv in die eigene Verteidigung investieren, die marode Infrastruktur sanieren und dafür nicht den halben Bundeshaushalt zusammenstreichen will, wird das nach Einschätzung vieler Ökonomen ohne zusätzliche Schulden kaum möglich sein. Die Schuldenbremse drohte, die nächste Bundesregierung zu fesseln. Sogar die traditionell stabilitätsorientierte Bundesbank forderte am Dienstag eine Reform. Wenn sie jetzt wirklich kommt, ist das für Merz ein Befreiungsschlag. Einerseits.
Andererseits geht der CDU-Vorsitzende ein politisches Risiko ein. Es geht um seine Glaubwürdigkeit – noch bevor er als Kanzler im Amt ist.
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Reform der Schuldenbremse? Vor der Wahl klang das noch anders
Zur Erinnerung: In den vergangenen Jahren haben CDU und CSU ein Rütteln an der Schuldenbremse strikt abgelehnt: Sie warfen SPD und Grünen vor, unverantwortlich mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger und den nächsten Generationen umzugehen.
In ihrem Programm zur Bundestagswahl bekannte sich die Union zu einer soliden Haushaltspolitik – und zur Schuldenbremse: Auch in Krisenzeiten habe sie ihre Funktionsfähigkeit erwiesen, hieß es da. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, hatten noch vor einigen Tagen verkündet: Die Schuldenbremse muss bleiben.
Die Umkehr kam nun schon anderthalb Woche nach der Wahl. So schnell und so deutlich, dass die Union selbst und der mögliche Koalitionspartner SPD überrascht sind. Die Summe der zusätzlichen Schulden ist noch höher, als das vorher zu erwarten gewesen war. Friedrich Merz argumentiert mit der völlig veränderten Weltlage, seit die USA sich immer mehr aus dem transatlantischen Bündnis verabschieden. Aber davor hatten SPD und Grüne auch schon vor der Wahl gewarnt. Die Union wollte von einer Reform der Schuldenbremse trotzdem nichts wissen. Nun also doch.
Murren in der Union
Nicht nur einige Unionswählerinnen und -wähler, die großen Wert auf einen sparsamen Staat legen, dürften sich verwundert bis verärgert die Augen reiben. Auch in der CDU/CSU-Fraktion gibt es kritische Stimmen. Der frühere Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus soll Merz in einer Fraktionsschalte direkt angegriffen haben – so berichtet es "Table.Media": "Ist das der Preis, den du dafür zahlen musstest? Wir haben im Wahlkampf das Gegenteil erzählt", soll er gesagt haben.
Merz muss in den nächsten Wochen schnell eine Koalition mit der SPD auf die Beine stellen. Die eigene Partei wird deshalb nicht den Aufstand proben. Mehrere Mitglieder im CDU-Präsidium erwarten "Table.Media" zufolge jetzt aber umso mehr Unionsprofil bei anderen Themen. Für die anstehenden Koalitionsverhandlungen wirkt die Einigung über die Finanzfragen wie ein guter Anfang – aber er dürfte die Gespräche über die nächsten Themen nicht einfacher machen.
Auch Kredite muss der Bund zurückzahlen
Eine anspruchsvolle Aufgabe liegt auch vor dem nächsten Finanzminister. Die Kredite und Zinsen für das Sondervermögen muss der Bund in den kommenden Jahren abbezahlen – zusätzlich zu denen für das bisherige Bundeswehr-Sondervermögen und die Sonderschulden in der Corona-Pandemie. Das wird den Bundeshaushalt belasten.
Für Merz wohl nur ein schwacher Trost: Nach ungeschriebenen Koalitionsregeln besetzt das Finanzministerium der kleinere Partner, also die SPD. Der Posten ist einflussreich – aber durch den Dreifach-Wumms ist er auch nicht gerade attraktiver geworden.
Ein gewagtes Manöver im Bundestag
Und dann wäre da noch ein weiteres politisches Risiko. Sowohl der Reform der Schuldenbremse als auch dem neuen Sondervermögen muss eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag zustimmen. Im neuen Parlament, das am 23. Februar gewählt wurde, wird Merz diese aber nicht kriegen: Selbst zusammen mit den Grünen kommen Union und SPD nicht auf zwei Drittel der Sitze. AfD und Linke haben zusammen eine sogenannte Sperrminorität.
Der einzige Ausweg: eine Verfassungsänderung noch schnell mit dem alten Bundestag. Dort würde es reichen, wenn entweder die Grünen oder die FDP die Pläne von Schwarz-Rot mittragen. Verfassungsrechtlich ist dieses Manöver offenbar zulässig. Der neue Bundestag muss sich spätestens am 25. März konstituieren. Vorher ist das alte Parlament noch arbeitsfähig.
Aber eine so große Entscheidung, eine echte zweite Zeitenwende umsetzen mit einer alten Mehrheit, weil es sie im nächsten Parlament nicht mehr gibt? Dieses Manöver wirkt zumindest gewagt, vielleicht politisch gefährlich. Die AfD und die Linke werden es für ihre Zwecke nutzen. Auch die gerade aus dem Bundestag geflogene FDP kann den Schwenk als Umfallen der Union darstellen.
Merz hat am Dienstag einen Politikwechsel eingeleitet. Aber in eine andere Richtung, als er es vor der Wahl angekündigt hatte.
Verwendete Quellen
- Eigene Beobachtungen
- bild.de: Wirtschaftsweise zerpflückt Mega-Schuldenpläne
- Berlin.Table # 516 / 4. März 2025