Die Ansage war deutlich: Das Brexit-Abkommen wird nicht mehr aufgeschnürt, sagt die Kanzlerin. Das wird sie Boris Johnson, der am Mittwoch für seinen Antrittsbesuch in Berlin vorbeischaut, vermutlich noch einmal direkt sagen. Manche Beobachter glauben inzwischen, dem neuen Premier der Briten kommt das zu pass.
Bundeskanzlerin
"In dem Moment, wo wir eine praktische Regelung haben, wie wir das Good-Friday-Agreement [Friedensabkommen mit Nordirland, Anm.d.Red.] einhalten können, und trotzdem die Grenze des Binnenmarktes [...] definieren können, brauchen wir den Backstop [harte Grenze zwischen Irland und Nordirland, Anm.d.Red.] nicht mehr", sagte Merkel am Vortag in Reykjavik.
Sie fügte hinzu: "Wir werden natürlich über praktische Lösungen nachdenken" - und die könne man auch "in kurzer Zeit finden". Die EU sei dazu bereit. "Aber dazu müssen wir das Austrittsabkommen nicht aufmachen."
Zugleich unterstrich die Kanzlerin, dass sich die 27 EU-Staaten in dieser Frage nicht auseinanderdividieren ließen.
Johnson, der am Donnerstag nach Paris reisen will, hat sich verpflichtet, Großbritannien am 31. Oktober aus der EU herauszuführen - mit oder ohne Abkommen. Soeben hatte der britische Premierminister in einem Brief an EU-Ratschef Donald Tusk offiziell die Streichung der von der EU verlangten Garantieklausel für eine offene Grenze in Irland verlangt.
Anstelle des sogenannten Backstops stellte er andere "Verpflichtungen" Großbritanniens in Aussicht. Was damit gemeint ist, ließ er offen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach sich mehrfach gegen einen langen Aufschub des Brexits aus und will ebenfalls keine Veränderungen am Vertrag.
Johnson ziehe "Show für London" ab
Johnson führt die Ablehnung der EU auf seine Änderungswünsche am Abkommen auf die falsche Hoffnung zurück, das britische Parlament werde einen No-Deal-Brexit verhindern. Das machte er am Dienstagabend in einem BBC-Interview deutlich.
Bei seinen anstehenden Besuchen in Berlin, Paris und beim G7-Gipfel in Biarritz in dieser Woche werde er klarstellen, dass der Backstop weg müsse.
Die Grünen warfen dem britischen Premier vor, im Brexit-Streit eine Show abzuziehen statt Kompromisse zu suchen. "Boris Johnsons Besuch ist kein konstruktives Gesprächsangebot, sondern vielmehr eine Show für London", sagte die Europa-Expertin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, der Deutschen Presse-Agentur.
"Der britische Premier sammelt Körbe der europäischen Staats- und Regierungschefs, um sich dann hinstellen zu können und zu sagen, die EU habe den harten Brexit provoziert, weil sie den Briten nicht entgegen kam." Dieser Erzählung müssten die Europäer etwas entgegensetzen.
Weitere Warnungen vor No-Deal-Brexit
Die Britische Handelskammer in Deutschland warnte Johnson eindringlich vor einem ungeregelten Brexit. "Die Stimmung unter den Unternehmen ist äußerst schlecht, weil alle befürchten, dass Johnson einen harten Brexit durchzieht ohne Rücksicht auf Verluste", sagte Geschäftsführer Andreas Meyer-Schwickerath der dpa.
Er argumentierte weiter, die EU und Großbritannien müssten eine Lösung finden. "Ich bin nicht für substanzielle Nachverhandlungen des Abkommens. Aber beide Seiten haben sich sehr verhakt, und beide Seiten müssen irgendwie zu einem Kompromiss kommen."
Er fügte hinzu: "Wenn ein No Deal kommt, dann ist die britische, aber auch die deutsche Industrie sehr betroffen. Wir haben das fünftgrößte Handelsvolumen weltweit mit Großbritannien, das bedeutet für Deutschland riesige potenzielle Verluste."
BDI: "Austrittsabkommen für Deutschland von riesengroßer Bedeutung"
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist gegen Nachverhandlungen des Austrittsabkommens zwischen der EU und Großbritannien. BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang sagte der dpa: "Die deutsche Industrie unterstützt die Bundesregierung und die Europäische Kommission dabei, zum ausgehandelten Vertrag zu stehen."
Brüssel und London müssten die Weichen richtig stellen, um den drohenden harten Brexit abzuwenden. "Das Austrittsabkommen ist für die deutsche Wirtschaft von riesengroßer Bedeutung."
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte der dpa: "Boris Johnson weiß genau, dass weder die deutsche Bundeskanzlerin noch der französische Staatspräsident ihm etwas anbieten können."
Röttgen, der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags ist, forderte Merkel und Johnson auf, gemeinsame Positionen zu drängenden Fragen wie den Protesten in Hongkong oder der Politik Irans zu beziehen. "Das wäre für die Zukunft der deutsch-britischen Beziehungen auch nach einem möglichen Brexit ein wichtiges Signal."
Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff forderte Johnson auf, konkrete Vorschläge zu machen, um einen ungeregelten Brexit zu vermeiden. "Die Schwäche der britischen Position war schon unter Theresa May immer, dass nicht klar wurde, was die Briten wollen", sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende der dpa. Der EU gehe es nicht um den Backstop an sich, sondern darum, eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden.
Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange Teil einer Zollunion mit der EU bleiben soll, bis eine andere Lösung gefunden ist, die Kontrollen überflüssig macht. Für Nordirland sollen zudem teilweise Regeln des Europäischen Binnenmarkts gelten. (jwo/dpa) © dpa
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