- In der Ampel-Koalition liegen die Nerven blank. Politiker aus SPD, Grünen und FDP werfen sich gegenseitig "handwerkliche Fehler" und "schlechte Performance" vor.
- Am Dienstag und Mittwoch trifft sich die Bundesregierung zur Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg in Brandenburg.
- Dort dürfte es viel zu besprechen geben. Ein Überblick.
Sie gaben sich den Titel "Fortschrittskoalition". Sie wollten das Land modernisieren und dabei wertschätzend miteinander umgehen. Doch aktuell geben die Parteien der Ampel-Koalition ein zerstrittenes Bild ab. Der russische Krieg in der Ukraine, die Inflation und die Angst vor einer Energiekrise setzen SPD, Grüne und FDP sichtlich unter Druck. Ist das der Grund, warum prominente Politiker der Parteien gerade gegeneinander austeilen?
"Handwerkliche Fehler" und "unloyales Verhalten"
So etwa SPD-Chef
FDP-Fraktionschef
Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion,
Ein anderes Beispiel: In der vergangenen Woche hatten Bundesgesundheitsminister
Immerhin nimmt sich die Regierungsmannschaft nun Zeit, über das Koalitionsklima und drängende Probleme zu sprechen: Am Dienstag und Mittwoch trifft man sich zur Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg, dem Gästehaus der Bundesregierung im beschaulichen Norden von Brandenburg. Das Schloss ist immer gut für harmonische Fotos vor schmucker Kulisse. Doch damit dürfte es nicht getan sein. Zu besprechen gibt es einiges.
Wie geht es weiter mit der Gasumlage?
Wie erwähnt dürfte es einerseits um die Gasumlage gehen. Alle Gaskunden sollen ab Oktober zusätzlich 2,4 Cent pro Kilowattstunde bezahlen. Die Einnahmen sollen dann an Gasimport-Unternehmen fließen, die wegen knapper russischer Gaslieferungen mit stark gestiegenen Kosten zu kämpfen haben. So will das Bundeswirtschaftsministerium sie vor einer Pleite und das Energiesystem vor dem Kollaps bewahren. Doch profitieren könnten davon auch Firmen, denen es wirtschaftlich noch gut geht.
Robert Habeck hat nach massiver Kritik auch aus der Koalition eine Überarbeitung zugesagt – allerdings gilt sie als juristisch kompliziert. Theoretisch denkbar wäre auch, die Zahlungen an die Gasimporteure aus dem Bundeshaushalt (also aus Steuermitteln) zu finanzieren. Das hat Bundesfinanzminister
Gibt es ein drittes Entlastungspaket?
Der russische Krieg in der Ukraine und die Sanktionen des Westens gegen Moskau haben die Energie- und Lebenshaltungspreise in die Höhe getrieben – ohne dass bisher ein Ende in Sicht ist. Die Ampel-Koalition hat weitere Entlastungen versprochen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert rechnet fest mit einem weiteren Entlastungspaket, nachdem Tankrabatt und 9-Euro-Ticket ausgelaufen sind.
Doch wer wie entlastet werden soll, ist unklar. Die Grünen fordern eine Anschlussregelung für das 9-Euro-Ticket und eine zielgenaue Entlastung von Menschen mit geringem Einkommen. Die SPD hat ebenfalls ein Paket mit 49-Euro-Ticket und Direktzahlungen ins Spiel gebracht. Finanzminister Lindner will dagegen zunächst die kalte Progression bekämpfen, was auch Menschen mit mittlerem und höherem Einkommen nützen würde.
Das alles dürfte kaum unter einen Hut zu bringen sein, denn Lindner will gleichzeitig keine neuen Schulden aufnehmen oder Steuern erhöhen. Der Staat soll sich in dieser Krisenlage stark zeigen und trotzdem nicht zu tief in die Tasche greifen: Dieser Widerspruch beschäftigt die Koalition seit ihrem Start und ist durch den Ukraine-Krieg noch größer geworden.
Wie geht es weiter mit Hartz IV und Digitalisierung?
Die Energie- und die Finanzpolitik stehen besonders im Fokus. Dabei gäbe es aber noch mehr Gesprächsthemen für die Klausur im Schloss. Die Ampel-Parteien haben zum Beispiel auch die Umwandlung von Hartz IV in ein gerechteres "Bürgergeld" angekündigt oder die Legalisierung von Cannabis versprochen. Bei der Einführung des "Bürgergelds" ist man sich über die Einzelheiten aber noch nicht einig. Der Cannabis-Legalisierung stehen völker- und europarechtliche Hürden im Weg, über die die Koalition kaum spricht.
Auf der Kabinettsklausur soll auch die Digitalisierungsstrategie von Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing (FDP) auf der Tagesordnung stehen. Bei dem Thema kommt Deutschland seit Jahren nur langsam voran, was auch an Versäumnissen der unionsgeführten Vorgänger-Regierung liegt. Wissings Strategie ist bisher aber auch nur auf schwache Resonanz gestoßen. Die Experten und Expertinnen von "netzpolitik.org" fanden in seinem Papier vor allem "viel Altbekanntes".
Ende der Koalition ist Gesprächsthema – und trotzdem unwahrscheinlich
Der Streit zwischen den Ampel-Parteien schwelt schon seit mehreren Monaten. Vor der Sommerpause hatten viele Politikerinnen und Politiker aber noch versichert: Die Koalition wird bis zum Ende der Legislaturperiode halten. Inzwischen würde nicht mehr jeder darauf wetten. Die Ampel hält vor allem zusammen, weil es kaum eine Alternative gibt.
Inmitten von Ukraine-Krieg und Energiekrise kann sich Deutschland nicht auch noch eine Regierungskrise leisten. Zumal eine rot-schwarze Koalition aus SPD und Union offenbar keine Alternative wäre. Der "Tagesspiegel" (Bezahlinhalt) schrieb dazu vor einigen Wochen: "Erste machen sich schon Gedanken über eine große Koalition als Notlösung, aber ein Kanzler Olaf Scholz mit einem Vizekanzler Friedrich Merz erfordert dann doch recht viel Fantasie."
Die Ampel ist also zum Weitermachen verdammt, ein "Weiter so" wird sie sich auf Schloss Meseberg aber auch kaum erlauben können. Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun sagte schon im Juni gegenüber unserer Redaktion: "Von der visionären Kraft, die die Parteien ja selbst versprochen haben, wollen ihre Wählerinnen und Wähler das eine oder andere noch sehen."
Verwendete Quellen:
- Bild.de: Ultimatum an Habeck - Ampel-Politiker fordern Schluss mit Energie-Murks, sonst ...
- netzpolitik.org: Digitalstrategie: Werte schöpfen Zweipunktnull
- tagesspiegel.de: Die Ampel-Koalition geht einem stürmischen Herbst entgegen
- Zeit.de: Lars Klingbeil: "Wir waren an vielen Stellen zu naiv"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.