Ich möchte meinen Rückblick diese Woche mit einer Frage beginnen: Kennen sich Markus Söder und Jan Josef Liefers persönlich? Und falls ja - ist es ausgeschlossen, dass Liefers seinen Buddy Markus mit einem spektakulären PR-Stunt aus dem Fokus der Tagespresse retten wollte?

Eine Satire
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Ist der brutal verunglückte Versuch von Liefers und seinen knapp 50 weiteren Virologen, die nebenberuflich noch als Schauspieler arbeiten, Deutschland als ein Land hinzustellen, in dem Journalisten nur noch einseitig nach der orchestrierenden Pfeife von Angela Merkel berichten, womöglich ein gigantisches Ablenkungsmanöver? Ich mache heute den Aiman Abdallah und versuche, diesem Mysterium auf den Grund zu gehen.

Jan kommt. Markus geht. Plötzlich spricht nämlich niemand mehr davon, wie Markus Söder gerade im Kampf um die Kanzlerkandidatur gegen Armin Laschet den Kürzeren gezogen hat. Ausgerechnet Laschet, der in der werberelevanten (und wahlberechtigten) Zielgruppe eine Aura versprüht wie Thomas Gottschalk in Speedos auf einem Surf-Rave am Bondi Beach.

Diese Schmach hätte Leitartikeln, Glossen und Kommentaren (sowie den Experten in den Social Media Kommentarspalten) normalerweise für mindestens fünf Tage Futter gegeben. So aber ist Markus Söder auf einmal allen egal.

Ebenfalls über Nacht egal ist übrigens der Markus Söder der Grünen, Robert Habeck. Der musste diese Woche ebenfalls einsehen, definitiv nicht Kanzler werden zu können, selbst wenn die Grünen eine absolute Mehrheit holen. Und die scheint ja (zumindest wenn man der hysterischen Angst einiger sich der bürgerlichen Mitte zuordnenden Medien Glauben schenkt) durch die Annelena-Baerbock-Heldinnenverehrung bei Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstalten und dem "Spiegel" nicht mehr ausgeschlossen.

JJ Uncool L

Aber selbst die Prinzessin Leia des Aufbruchs gegen Klimawandel und Ungerechtigkeiten stürzte zwischenzeitlich im Newsflash-Ranking auf einen Platz irgendwo zwischen Superleague und Michael Wendler ab.

Alles sprach nur noch über Jan Josef Liefers. Vor allem über das von ihm bei #allesdichtmachen verwendete Vokabular. Zugleich beteuerte er parallel mit dem ersten Shitstorm lautstark und gebetsmühlenartig, alles ironisch gemeint zu haben. Dennoch wurde seine Botschaft (und die seiner Mitstreiter) in ihrer erschreckenden Deckungsgleichheit mit Querdenker- und Covidleugner-Narrativen vielerorts als höhnisch, falsch, unpassend und zynisch erlebt.

#allesdichtmachen: Schauspieler geben Statements zur Corona-Politik

Die Kunst- und Kulturszene leidet: Nun geben Schauspieler mit ironisch-satirischen Clips persönliche Statements zur deutschen Corona-Politik ab. Und diese lösen sehr gegensätzliche Reaktionen aus.

Ich kann mir tatsächlich kaum etwas Zynischeres vorstellen, als angesichts von aktuell fast 82.000 Corona-Todesfällen, die zuvor teilweise wochenlang an Beatmungsgeräten hingen, in eine Plastiktüte zu atmen und das dann als Kunst zu deklarieren.

Zu diesen 82.000 Toten, das darf man nicht vergessen, gesellen sich unzählige Mütter, Väter, Großeltern, Ehepartner, Kinder, Enkelkinder, enge Freunde und Arbeitskollegen, die einen unbeschreiblichen Verlust erleiden mussten. Was mögen die von dieser Kunst-Performance halten? Und da sind die Menschen im medizinischen Bereich und der Pflege noch gar nicht mitbetrachtet, die täglich heldenhaft versuchen, diese Zahl so wenig wie möglich ansteigen zu lassen.

Wobei man natürlich klar sagen muss: Den Darth Vader für COVID-Zyniker gab nicht Liefers. Dieses Kleinod der Ironie kam von seinem Tatort-Kollegen Richy Müller. Müller, auch das muss akkurat erwähnt werden, hat sich recht schnell und recht eindeutig von seinem Plastiktüten-Burgtheater distanziert: "Ich musste feststellen, dass mein Video vielen Menschen wehgetan hat, die ich niemals kränken oder veralbern wollte. Außerdem ist es auf einer Plattform gelandet, die ich nicht unterstützen will."

Wenn der Postmann zweimal läutert

Ich kaufe Müller das ab. Es klingt ehrlich und einsichtig, wie insgesamt die meisten Stellungnahmen der Teilnehmer, die teilweise schon wenige Stunden nach der Veröffentlichung die Löschung ihrer Beiträge veranlassten. Was im Grunde alle waren, die man aus der Gruppe der schauspielernden Widerstandskämpfer als wirklich prominent bezeichnen darf.

Neben Müller beispielsweise Heike Makatsch, Kostja Ulmann oder Meret Becker. Es wird zugegeben, die Aktion sei "komplett nach hinten losgegangen" oder man hätte nicht genug nachgedacht. An dieser Stelle eine kurze Erinnerung: Es ist nicht verboten, Fehler zu machen. Es wäre nur schmerzhaft, sie zu ignorieren und stetig zu wiederholen. Diese Gefahr sehe ich bei den Protagonisten der gelöschten Videos nicht.

Und ja, auch Jan Josef Liefers räumte ein, nicht alles wäre astrein gelaufen. Allerdings auf etwas schwerfällige Art und mit der geschmeidigen Raffinesse eines Öltankers in einer Telefonzelle. Telefonzellen – die Älteren kennen sie noch. Das waren quasi lebensgroße Handys, die hier und da in Innenstädten rumstanden. Liefers jedenfalls sprach davon, "Ironie wäre vielleicht nicht das beste Mittel" gewesen, um seine Botschaft zu formulieren. Das kann natürlich leicht wieder missverstanden werden: Die Menschen sind eben zu doof, meine feingeistige Kunst zu verstehen.

Jan Josef Liefers und die Ironie-Avengers

Die Frage darf also erlaubt sein, wie viel Kalkül bei dieser Aktion mit einberechnet wurde. Insbesondere, da sich einige der Künstler im Nachhinein vor allem auch von der Plattform distanzieren. Darf man nicht davon ausgehen, prominente Schauspieler mit Millionen von Fans und einer jahrzehntelangen Erfahrung mit der Dynamik von Medien und öffentlichem Diskurs hätten ahnen können, dass der lauteste Beifall womöglich aus einer Ecke kommen würde, mit der man nicht assoziiert werden möchte? Wurde das in Kauf genommen? Dann war es eine dumme Aktion. Hat man es unterschätzt? Dann war es eine naive Aktion.

Man muss sich nicht auf eine rhetorische Stufe mit Querdenkern und Demokratiefeinden stellen, um gehört zu werden. Man kann, insbesondere als Künstler mit einem größeren Talent für kreative Kommunikation als der Durchschnittsdeutsche, durchaus eindringlich und wirksam Kritik an der Corona-Politik üben, ohne dabei zum Posterboy der AfD zu werden. Das haben zuletzt etwa Die Ärzte in den "Tagesthemen" eindrücklich gezeigt.

Aber mal Klartext zur Einordung: Ich schließe eindeutig aus, dass Liefers, Makatsch und die anderen Ironiefachleute aus dem #allesdichtmachen-Fiasko als Sharepic bei Alice Weidel landen wollten oder gar der AfD nahestehen.

Mit Jan Josef Liefers saß ich selber noch vor einer knappen Woche mehrere Stunden in der Jury des Wettbewerbs "Farbenbekennen", bei dem besonders engagierte Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ausgezeichnet werden. Liefers nun als Rassiten zu brandmarken, weil die AfD ihm zujubelt, ist natürlich absurd.

Genau so absurd ist es, den Rauswurf aus Filmprojekten zu fordern. Leider ist die blutrünstige Sehnsucht nach Cancel Culture bei einer bestimmten Haltungsklientel aber zumeist größer als der Drang nach vernunftbasiertem Gedankenaustausch.

Die Meinung ist frei, genau wie Jan Josef Liefers

Meinungsfreiheit ist keine Einbahnstraße. Liefers und Co. dürfen sagen, was sie denken. Solange sie dabei keine Gesetze brechen. Das haben sie getan. Gesetze wurden nicht gebrochen. Ihre Meinung wurde gehört. Wir leben nicht in einem Merkel-Regime oder einer Diktatur.

Andernfalls säßen die Videobotschafter inzwischen hinter Gittern und würden beten, dass nicht auch noch ihre Familien in Sippenhaft genommen werden. Nun werden sie mit der anderen Seite der Meinungsfreiheit konfrontiert. Dem so genannten Gegenwind. Jeder hat nämlich ein Recht, seine Meinung frei zu äußern – allerdings keinerlei Recht, dass alle seine Meinung toll finden müssen.

Entsprechend ergießt sich massenhaft Kritik über Liefers und die #allesdichtmachen-Robin Hoods. Von Kollegen wie Nora Tschirner, Christian Ulmen, Florian Hacke, Elyas M´Barek, Hans-Jochen Wagner oder Ulrich Matthes genauso wie von der breiten Öffentlichkeit. Auch das ist erlaubt und muss ausgehalten werden.

Nicht ausgehalten werden dagegen müssen Drohungen und Beleidigungen. Es ist eine Schande für das ehemalige Land der Dichter und Denker, dass ein Diskurs mittlerweile stets in einen Moloch der Ad-Hominem-Argumentation verkommt und nur noch die größtmögliche Grenzüberschreitung gesucht wird.

Anstatt zu versuchen, mit bedachten Worten zu erklären, warum man #allesdichtmachen nicht für das geeignetste Mittel hält (und damit nebenbei einen wertvollen Beitrag zur Einordnung des Themas zu schaffen), tobt ein Hetzmob los. Es werden Berufsverbote gefordert – und im widerlichsten Fall sogar Morddrohungen. Ich hoffe sehr, dass diese zur Anzeige gebracht und auch geahndet werden.

Ich hoffe sehr, niemand aus der #allesdichtmachen-Crew wird ein Engagement oder einen Werbevertrag verlieren, nur weil er sich mit dieser Aktion womöglich gnadenlos verrannt hat. Zum Glück ist davon nicht auszugehen. Ein Restwert an Einordnungskompetenz wird bei den Entscheidern vorhanden sein.

Das sieht man unter anderem daran, dass Liefers derweil seine Sicht der Dinge in etwa 164 Interviews kundtun darf. Meinungsfreiheitsverlust sähe wohl anders aus. Ihm das aus Empörung zu verweigern, wäre selbstredend genauso falsch, wie zu behaupten, Journalisten würden flächendeckend unkritisch berichten. Das trifft nicht zu. Kritiker sitzen zuhauf in Talkrunden und dürfen ihre alternativen Forschungsergebnisse, Analysen oder Prognosen unter die Leute bringen. Es gibt riesige Verlagshäuser, deren einzige Daseinsberechtigung mittlerweile die eindimensionale Abarbeitung an Angela Merkel und der Corona-"Diktatur" zu sein scheint.

Lieber das Bein in der Tür als den Armin Laschet

Selbst von Armin Laschet gibt es Rückenwind. Die CDU-Kanzlerkandidatenattrappe zeigt im Zusammenhang mit #allesdichtmachen eindrücklich, nicht so ganz genau zu wissen, welche Position er denn nun genau einnehmen sollte. Weswegen er einfach alle durchprobiert.

Während er bei der "Umweltsau" (sie erinnern sich vielleicht) noch sicher war, Satire dürfe keine Menschengruppe diskreditieren, findet er #allesdichtmachen irgendwie okay. Jan Josef Liefers ist ja nicht rechts, sagt Laschet. Und das stimmt. Jedenfalls nicht so rechts wie Laschet selber, der etwa für die Corona-Ausbrüche in Tönnies-Fleischfabriken gerne die "rumänischen und bulgarischen" Billiglohnarbeiter verantwortlich macht, die das Virus "eingeschleppt" hätten.

Insgesamt eher unglücklich verhält sich auch sein vermeintlicher Verbündeter Jens Spahn, der sogleich anbietet, Liefers treffen und mit ihm diskutieren zu wollen. Mal unabhängig davon, ob Jan Josef Liefers verstärktes Interesse an einem PR-Kaffeeklatsch mit dem Gesundheitsminister hat, wäre meine persönliche Empfehlung an Herrn Spahn, sich eventuell erstmal mit Vertretern und Vertreterinnen aus dem Pflege- und (Intensiv)-Medizinbereich auszutauschen und dort einige brennende Fragen zu klären.

Aber vermutlich läuft es da bei Spahn ähnlich wie bei der Auswahl seiner Villen: je glamouröser, desto besser. Und so ein hübsches Foto in der GALA mit diesem berühmten Tatort-Darsteller ist da besser als eines mit namenlosen Krankenpflegern. Da müssen dann eben wieder Joko und Klaas ran. Wobei die beiden vermutlich ohnehin die besseren Gesundheitsminister wären.

Nun ist dieser Wochenrückblick tatsächlich etwas länger als ursprünglich geplant geworden, aber dafür auch recht monothematisch. Entschuldigung. Ich habe mich da wohl, wie sagt der Volksmund, in Rage geschrieben. Wären Ferrero Rocher vegan, würde ich jetzt ein paar davon als Hommage an Jan Josef Liefers verspeisen, verknüpft mit dem Wunsch, er würde zeitnah eine Maßnahmen- und Regierungskritik formulieren, bei der Hans-Georg Maaßen nicht in patriotische Heldenverehrung verfällt.

Ich bin sicher, genau das war seine ursprüngliche Absicht. Und auch ich gelobe Besserung. Mit dem Versprechen, in der nächsten Woche wieder ausschließlich über Fußball, Mode und Promi-Klatsch zu berichten!

Viele deutsche Film-Promis beteiligen sich an Aktion #allesdichtmachen

Viele deutsche Schauspieler und Schauspielerinnen haben mit satirischen Beiträgen unter dem Hashtag #allesdichtmachen die aktuelle Corona-Politik kritisiert. Allerdings stößt diese Aktion nicht nur auf Zustimmung.
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