• Am Freitag wird im Rahmen der Show "Unser Lied für Liverpool" entschieden, wer Deutschland dieses Jahr beim "ESC" vertreten soll.
  • Einer der insgesamt neun ESC-Anwärter ist Partyschlager-Star Ikke Hüftgold.
  • Unsere Redaktion hat mit "Layla"-Produzent Matthias Distel alias Ikke Hüftgold über sein "Lied mit gutem Text" gesprochen.
Ein Interview

Ikke, was machen Sie am 13. Mai 2023?

Ikke Hüftgold: Da habe ich eigentlich einen Auftritt bei einem Verein. Die haben mich bereits angeschrieben und festgestellt, dass ich an diesem Tag in Liverpool und nicht bei denen sein werde – sollte ich den Vorentscheid gewinnen. Ich dem Fall würde ich den Termin natürlich nachholen. Die Mannschaft hat mir jedenfalls ihren kompletten Support zugesichert, mir ist also niemand böse.

Wie siegessicher sind Sie mit Blick auf "Unser Lied für Liverpool"?

Natürlich geht ein Ikke Hüftgold nicht in einen Wettbewerb mit dem Ziel, Letzter zu werden. Dafür mobilisieren wir alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Ich habe ein tolles Team, es sind einfach alle dabei. Jeder aus meinem Umfeld weiß, dass der ESC eine große Tragweite hat und in meinem Leben schon immer eine Rolle gespielt hat.

Sie haben Wahlplakate in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in deiner Heimat Limburg aufgestellt, Flugzeuge in die Luft geschickt und sogar Ihre Handynummer über die sozialen Netzwerke veröffentlicht. Bereuen Sie es inzwischen, Ihre Nummer mit der Öffentlichkeit geteilt zu haben?

Die Idee mit der Handynummer war einerseits der größte Clou und andererseits der größte Schwachsinn, den ich meinem Leben bisher gemacht habe. Das Handy klingelt andauernd. Ich habe mit Unterstützung meines Teams inzwischen über 8.000 Personen eingespeichert, um diese dann mit Informationen zum ESC versorgen zu können. Ich war davon ausgegangen, dass maximal 1.000 Leute diesen direkten Kontakt mit mir suchen würden. Es sollte jedoch ganz anders kommen …

"Ich habe die vergangenen Jahre analysiert"

Zumal es vermutlich nicht nur bei WhatsApp-Nachrichten geblieben ist. Wie viele Anrufe haben Sie bekommen?

Tausende. Viele wollten eben checken, ob es wirklich Ikkes Nummer ist. Ich bin vielleicht bei circa 100 Anrufen rangegangen, was in Relation wenig ist. Die Leute bekommen von mir exklusiven Content von meinen Vorbereitungen – und sie feiern es hart. Ich bin halt ein nahbarer Typ. Schon zu Ballermann-Zeiten habe ich nicht nur gesungen, sondern das eine oder andere Mal mit den Fans im Anschluss an den Auftritt auch gesoffen.

Ist Ihr ESC-Beitrag "Lied mit gutem Text" ein Wink in Richtung "Layla"-Kritiker. Schließlich singen Sie "Endlich mal ein Lied, ohne Saufen, ohne Sex und ohne Drogen".

Ja, "Lied mit gutem Text" ist eine Selbstverarsche von mir und von allen, die den Partyschlager lieben. Wir mussten uns über die Medien ja einiges anhören, obwohl für die breite Masse alles in Ordnung war. Der Song ist also zum einen eine Antwort auf das letzte Jahr und zum anderen eine Antwort auf das schlechte deutsche Abschneiden beim ESC in den vergangenen Jahren. Als Musikschaffender habe ich mich mit der Frage beschäftigt, woran es gelegen hat.

Jetzt wird es spannend: Warum schneidet denn Deutschland seit Jahren so schlecht ab?

Ich habe die vergangenen Jahre analysiert. Die Musik war ja im Großen und Ganzen ganz schön, also muss es am Text gelegen haben. Wir brauchten endlich mal ein Lied mit gutem Text. Natürlich lebt ein Partyschlager trotzdem von Lyrics, in dem Begriffe wie "Saufen" und "Sex" vorkommen. Mir ist es dann so gelungen, dass ich vom NDR zugelassen wurde. Und ich glaube, die bereuen es mittlerweile, mich zugelassen zu haben.

In der Gunst des Publikums könnten Sie vorne stehen. Doch die Zuschauer haben nur 50 Prozent des Votings in der Hand, die andere Hälfte obliegt der Jury. Sehen Sie darin ein Problem?

Ikke Hüftgold hat grundsätzlich keine Probleme, er schafft Probleme für andere. Ich beobachte das mit einem unfassbar großen Grinsen. Wir haben es mit einer internationalen Jury zu tun, die eine Gewichtung von 50 Prozent einnimmt. Die Länder wurden bekannt gegeben: Neben Finnland und Großbritannien sind auch Nationen dabei, die der deutschen Sprache nahe sind – die Schweiz, Österreich und die Niederlande. Die Holländer sind Partyschlager-affin. Das gilt übrigens auch für die Briten – nur musikalisch gesehen auf eine andere Art und Weise. Auf Mallorca haben wir Magaluf als Gegenpol zur Platja de Palma. Ich bin mir sicher: Wenn ich es nach Liverpool schaffen sollte, werde ich dieses Jahr wieder auf Mallorca stattfinden – da ich am Ballermann rausgeflogen bin dann eben in den Partytempeln der Engländer (lacht).

Ikke Hüftgold: "Eigentlich eine Schande, dass Ikke Hüftgold als einer der prominentesten Teilnehmer ins Rennen geht"

In den vergangenen sieben Jahren wurde Deutschland beim ESC dreimal Letzter und dreimal Vorletzter. Liegt es auch daran, dass die Top-Künstler unseres Landes inzwischen aus Angst vor einem schlechten Abschneiden dort nicht mehr antreten wollen?

Ich gehe sogar einen Schritt weiter: Für den deutschen ESC-Vorentscheid ist es eigentlich eine Schande, dass Ikke Hüftgold als einer der prominentesten Teilnehmer ins Rennen geht. Ich spreche jetzt als Matthias: Ich würde gerne Künstler wie Apache 207, Sarah Connor oder Jürgen Drews zum Ausklang seiner Karriere auf dieser Bühne sehen. Und wo ist eigentlich Udo Lindenberg, wenn man ihn mal braucht. Die haben keinen Bock darauf oder ihnen fehlt der Mut. Man stelle sich vor, Mark Forster nimmt am Vorentscheid teil und wird nur Achter von neun Teilnehmern. Für seine Vita wäre diese Platzierung das Schlechteste, was ihm passieren könnte. Man müsste den Umkehreffekt wiederherstellen, also dass Forster einer von neun großen Stars ist, die teilnehmen. Dann wäre sogar der achte Platz schon ein Erfolg, um bei dem Beispiel zu bleiben.

Wo ist die Strahlkraft dieses Wettbewerbs Ihrer Meinung nach verloren gegangen?

Der Wettbewerb wurde in der Inszenierung und der Außendarstellung zuletzt mit Füßen getreten. Es muss doch für jeden eine Ehre sein, schon in diesem Vorentscheid dabei zu sein. Von Liverpool will ich gar nicht erst reden: Das Spektakel werden sich rund 200 Millionen Menschen anschauen, es ist der größte Musikwettbewerb der Welt. Aus Musiker-Sicht ist der Eurovision Song Contest mit den Olympischen Spielen vergleichbar. Ich bin also der erste Olympia-Teilnehmer aus dem Partyschlager – ohne jemals etwas geleistet zu haben mit Ausnahme von Saufliedern. Das darf doch nicht wahr sein!

Mit Blick auf die öffentliche Aufmerksamkeit und deinem TikTok-Sieg müsstest du eigentlich als Favorit ins Rennen gehen oder siehst du das anders?

Mir passt es überhaupt nicht, dass man versucht, mich in eine Favoritenrolle zu drängen. Die will ich überhaupt nicht übernehmen, weil ich schon immer der Underdog war. Understatement und Selbstironie gehören zu meinem Dasein. Ich gehe da unfassbar entspannt, aber auch mit großem Lampenfieber, rein. Ich glaube, dass ich ohnehin schon der Gewinner bin – und zwar für den Partyschlager.

Ist die Musik eigentlich so entscheidend oder ist für Deutschland einfach nur nicht mehr drin, weil wir international an Beliebtheit eingebüßt haben?

Neben der angesprochenen Mutlosigkeit vieler namhafter Künstler ist die politische Gesinnung in Europa sicherlich ein Problem. Wir in Deutschland haben das große Glück, dass wir nahezu alles haben: Wohlstand sowie ein gutes Gesundheits- und Schulsystem. Beim ESC treten viele ärmere Länder an, die politisch, kulturell oder religiös anders gestimmt sind. Diese Nationen vereinen sich bei einem Wettbewerb wie dem ESC. Als Gerechtigkeitsfanatiker, als der ich mich sehe, frage ich mich: Warum sollen denn die gewinnen, die ohnehin schon alles haben? Das hat auch nichts mit Neid, sondern mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Ich schäme mich teilweise, dass es uns so gut geht und so vielen anderen Menschen auf der Welt nicht.

Sie könnten zwar der erste Partyschlager-Interpret beim ESC sein, einige sehen aber Parallelen zu Guildos ESC-Auftritt vor 25 Jahren. Was hälten Sie von diesen Vergleichen?

Auf den ersten Blick gibt es Parallelen, aber die Songs und die Personen hinter den Liedern unterscheiden sich extrem. Guildo Horn war für schönen, liebevollen Schlager bekannt. Er war kein Proll-Schlager-Interpret. Im Übrigen hat er sich von mir öffentlich klar distanziert und hält uns nicht für vergleichbar. Ich sehe das ähnlich, wenngleich wir beide deutschsprachige Beiträge mit einem belanglosen, witzigen Text eingereicht haben. Und wir sind beide echte Musiker. Guildo hat in einem Interview als einen Unterschied herausgestellt, dass er handgemachte Musik macht. Er weiß aber nicht, dass ich ein richtiger Musiker bin. Er hat eine Ausbildung im Sozialwesen absolviert, und auch ich habe Sozialwissenschaften studiert. Ich habe es nur nicht zu Ende gebracht. Er hat ein sehr großes Herz, mir sagt man das auch nach. Ich glaube, dass ich mich mit Guildo auf einer sehr guten Ebene treffen würde – wenn er wüsste, wie ich bin, wenn ich nicht Ikke bin.

Zwei Jahre nach "Guildo hat Euch lieb!" verwirrte Stefan Raab 2000 mit "Wadde hadde dudde da?" ganz Europa und wurde Fünfter. Ein Vorbild für Sie?

Stefan Raab ist für mich eines der größten Entertainment-Vorbilder, die Deutschland je hatte. Als Show-Erfinder würde ich ihn in einem Atemzug mit Frank Elstner nennen. Ich ziehe den Hut vor ihm. Stefan hat damals auch seine Macht genutzt, um sich zu inszenieren. Allerdings ist er dabei sehr smart vorgegangen.

Ralph Siegel empfand das damals vermutlich anders. Sie kennen auch ihn gut. Wie gefällt ihm "Lied mit gutem Text"?

Es gab eine Medien-Resonanz von ihm, er ist auf die Songs aber nicht genauer eingegangen. Wir beide sind wirklich sehr gut befreundet und hatten kürzlich ein längeres Telefonat. Ich durfte seinen Erzählungen über den ESC schon in vielen, süffisanten Gesprächen lauschen. Er hat diesen Wettbewerb gelebt. Für mich sind das unbezahlbare Eindrücke aus dem Leben einer Legende. Mir tut am meisten weh, dass wir es in Deutschland nicht schaffen, unseren Legenden diesen Status auch zu lassen. Ralph Siegel wurde sowohl vom NDR als auch von Stefan Raab teilweise übel mitgespielt. Das ist das Einzige, was ich Raab vorwerfe. Er hat ihn ziemlich deformiert und mental zugesetzt. Raab war so damals so dominant und mächtig, dass Siegel hilflos wirkte und sich nicht wehren konnte.

Wenn man ganz oben ist und nach unten tritt, hat es immer ein Geschmäckle. Ist es das, was Sie meinen?

Ja, und ich muss da auch aufpassen. Ich bin einer der Größten in meinem Segment. Ich kann Satire machen, darf aber nie den Respekt verlieren. Wenn ich jemanden sympathisch veräppel, kann ich ihn sogar größer machen. So habe ich das auch bei meinem Post zu Will Church gesehen. Wir sind übrigens miteinander connected, weil der Autor seines Songs der Co-Autor meiner Nummer ist. Man muss wissen, dass wir ein sehr humorvolles Verhältnis miteinander pflegen. Das war kein Seitenhieb.

"Liverpool kann sich freuen, wenn Ikke Hüftgold kommt"

Wie mächtig sind Sie inzwischen?

Sicherlich habe ich eine gewisse Macht erreicht. Im Social-Media-Segment hat in meinem Bereich kaum jemand größere Reichweiten als ich. Zudem könnte ich Dutzende andere Kanäle aktivieren. Ich sitze auf einem Promi-Freundes-Netzwerk, das seinesgleichen sucht – von Tom Gerhardt und Mario Basler über Kai Pflaume und Elton bis hin zur neuen Generation um Publikumslieblinge wie Knossi. Mit den Sacknähten (Tommi Schmitt und Felix Lobrecht), also den Köpfen des überaus erfolgreichen Podcasts "Gemischtes Hack", bin ich ebenfalls eng verbunden. Viele haben Angst, dass ich die jetzt alle aktiviere, aber so bin ich nicht. Ich möchte am Ende sagen können, dass ich gewählt wurde, weil es den Leuten da draußen gefallen hat.

Wäre die Geschichte des Ikke Hüftgold mit einer ESC-Teilnahme auserzählt?

Ich habe ein großes Problem mit dem Erfolgsgedanken. Immer wenn ich in meinem Leben ein Ziel erreicht hatte, verspürte ich eine gewisse Leere. Mein großer Wunsch als 18-Jähriger war, einmal in einem Stadion vor 40.000 oder 50.000 zu spielen. 2016 habe ich mir den Wunsch mit einem Auftritt in der Schalke-Arena erfüllt. Am Tag danach war ich nicht etwa euphorisch, sondern traurig. Alles war nur noch grau. Als ich mich von diesem Tief erholt hatte, legte ich für mich fest, mir kein einzelnes Ziel mehr zu setzen. Ich versuchte, vielschichtiger zu fahren.

Doch keines dieser beruflichen Ziele könnte einen ESC-Sieg vermutlich toppen. Womit würden Sie noch einen drauflegen?

Mit dem ersten Partyschlager-Auftritt aller Zeiten auf dem Mond – live übertragen in die ganze Welt (lacht). Also lasst mich nach Liverpool fahren, wenn ihr sehen wollt, ob ich das mit dem Mond ernst meine. Spaß beiseite: Vor 200 Millionen Zuschauern zu singen, kann man nicht toppen. Gott sei Dank gibt es aber noch andere Ziele, die ich definiert habe und die zum Teil auf privater Ebene liegen. Egal wie es am Ende also ausgeht, werde ich mich da nicht verlieren.

2020 haben Sie sich bei "Promi Big Brother" von einer anderen Seite gezeigt. Warum haben Sie in diesem Format die Ikke-Perrücke abgenommen?

Ich habe "Big Brother" für mich auch nutzen dürfen, als Matthias diesen ganzen Ballast von Ikke abzuwerfen. Ich habe mir nämlich ein Monster geschaffen, das zwar mein Umfeld verstanden hat, da draußen aber viele nicht. Die meisten dachten, dass ich Berufsalkoholiker und ein stinkender, verranzter Typ wäre, der zweimal pro Woche nach Mallorca fliegt. Dass ich Familie habe, ein Kreativmensch bin und eine soziale Ader habe, wusste kaum jemand.

In Deutschland weiß es inzwischen nahezu jeder, bald könnte Europa Sie kennenlernen – und Ikke Hüftgold Liverpool. Würden Sie sich auf diese Stadt freuen? Dort kommen die Beatles her und dort spielen die von Jürgen Klopp trainierten "Reds" …

Liverpool kann sich freuen, wenn Ikke Hüftgold kommt. Erstmal müsste ich Jürgen Klopp ein bisschen aufbauen, denn beim FC Liverpool läuft es aktuell ja nicht so rund. Natürlich würde ich vor dem Auftritt in meinem roten Jogger die "Reds" besuchen. Am liebsten würde ich mit ihm in einer geilen Kneipe, in der die Beatles früher aufgetreten sind, ein paar Bier trinken. Ich sehe schon die Schlagzeile in der "Sun" oder "Daily Mail" vor meinem geistigen Auge. "Ikke Hüftgold – Jürgen Klopp – Die Beatles" in einem Atemzug genannt.

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