• Nach der Auftaktpleite gegen Japan steht das DFB-Team am Sonntag gegen Spanien mit dem Rücken zur Wand.
  • In den letzten 22 Jahren gab es nur einen Sieg gegen Spanien, der letzte Pflichtspiel-Erfolg liegt gar 34 Jahre zurück.
  • Doch es gibt auch Dinge, die Mut machen. Wir nennen sie.

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Eine vogelwilde Schlussphase, eine orientierungslose Abwehr, und am Ende eine peinliche Auftakt-Niederlage gegen Japan bei der WM in Katar. Dazu der kommende Gegner Spanien, der sein erstes Spiel gegen Costa Rica 7:0 gewann, kombiniert mit einer dürftigen Bilanz gegen die Iberer mit nur einem Sieg in den letzten 22 Jahren und dem letzten Pflichtspiel-Erfolg 1988. Das Ganze garniert mit einer angespannten Stimmung rund um die deutsche Nationalmannschaft und jeder Menge Kritik aus der Heimat.

Keine Frage: Die Situation vor dem möglicherweise entscheidenden zweiten WM-Gruppenspiel gegen Spanien ist kompliziert. Das vorzeitige Aus droht.

Doch bei allem Pessimismus gibt es auch Dinge, die dem DFB-Team Mut machen sollten. Wir nennen sie.

Qualität: Hansi Flick wirkt vor dem wichtigsten Spiel in seinen 15 Monaten als Bundestrainer fast schon trotzig. "Wir haben die Qualität", betonte er. Und hat damit recht, zumindest in der Theorie. Denn Qualität ist in dem Kader fraglos vorhanden, dazu gibt es mögliche sogenannte Unterschiedsspieler. Wie zum Beispiel Jamal Musiala, der in den vergangenen Wochen beim FC Bayern auf ganz hohem Niveau spielte.

Im Interview: Hansi Flick fordert "Charakter" von seiner Elf

Hoffen auf die Unterschiedsspieler

Oder auch Leroy Sane, der nach seiner Verletzungspause gegen Spanien wieder eine Option sein könnte, Musiala könnte dann zentraler spielen und dort seine Kreativität gezielter einbringen. Für Flick ist Sane einer dieser "Unterschiedsspieler", der "ein Spiel alleine drehen kann mit seinen Qualitäten." Qualitäten, die Flick gegen starke Spanier dringend benötigt.

Dazu kommt die Möglichkeit, Kimmich zur Stabilisierung der Abwehr auf die rechte Seite zu ziehen, Goretzka könnte ihn in der Mitte adäquat neben Ilkay Gündogan ersetzen. Im Sturmzentrum hat Flick mit Niclas Füllkrug einen klassischen Neuner als Alternative. Die richtige Mischung auf dem Platz zu finden - da ist der Bundestrainer gefordert.

Flicks Magie: Dass Flick mit einer Mannschaft Großes vollbringen und Titel holen kann, hat er mit dem historischen Sextuple-Jahr 2020 mit dem FC Bayern bereits bewiesen. Damals gelang ihm alles, die Entscheidungen saßen, die Mannschaft folgte ihm. Bei der Nationalelf fehlt diese Magie noch. Das zweite Gruppenspiel gegen Spanien, verbunden mit der schwierigen Ausgangsposition, könnte ein Knotenlöser und Wendepunkt sein.

Die Mannschaft ist bereit

Die Mannschaft wirkt bereit. "Jeder weiß, worauf es ankommt", betonte Kai Havertz nach einer intensiven Flick-Analyse. Es sei an der Zeit gewesen, "sich die Wahrheit zu sagen, von Angesicht zu Angesicht, das macht uns stärker", sagte Havertz. Julian Brandt bestätigte, dass alle "mit dem Gefühl aus dem Besprechungsraum rausgegangen" seien, gewinnen zu können. Zu behaupten, Flick sei zu nett, sei "vollkommen falsch", meinte Havertz. "Wir müssen die Mannschaft so hinkriegen, dass sie den Glauben hat, das Ding am Sonntag in die richtige Richtung zu schieben", erklärte wiederum der Bundestrainer.

Erfahrung: "Wir haben genug erfahrene Spieler“, weiß Havertz. 16 von ihnen kennen eine solche Alles-oder-Nichts-Situation mit der Nationalmannschaft noch aus dem vergangenen Jahr. Sie gehörten 2021 zum EM-Kader und standen auch damals, nach einem 0:1 zum Auftakt gegen Frankreich, mit dem Rücken zur Wand. Die unmittelbare Antwort darauf war ein 4:2 gegen Portugal und am Ende der Einzug in das Achtelfinale.

Bayern-Block: Die Bayern-Spieler um Leistungsträger wie Manuel Neuer, Goretzka, Kimmich oder Thomas Müller bringen nicht nur die erwähnte Qualität und Erfahrung mit, sondern wissen auch aus jüngster Vergangenheit, wie man sich aus einem sportlichen Sumpf zieht.

Die Bayern können Krise

Goretzka verwies auf die Situation beim FC Bayern im Frühherbst, als die Stimmung auf der Kippe, Trainer Julian Nagelsmann in der Kritik und das Team in der Pflicht stand. "Wir haben uns da gut rausgearbeitet. Mit denselben Themen werden wir es jetzt auch versuchen“, so der Mittelfeldmann. In dem Zuge hatte der Rekordmeister übrigens auch den FC Barcelona in der Champions League zwei Mal (2:0 und 3:0) besiegt. Ffünf Katalanen standen gegen Costa Rica in der Startelf.

Nicht alles war schlecht: Bei aller berechtigten Kritik: Gegen Japan war nicht alles schlecht. 70 Minuten lang hatte man den Gegner im Griff, spielte sich zahlreiche Chancen heraus. Ein zweites Tor, und das Thema wäre vermutlich erledigt gewesen. Auf das Positive sollte sich das DFB-Team fokussieren, auch wenn die Schärfe und epische Breite der Kritik aus der Heimat vermuten lässt, dass es so gut wie nichts Positives gibt.

Für den ZDF-Experten Christoph Kramer gibt es jedoch "eine Wahrheit zu dem Spiel, und das ist die einzige, die für mich zählt" - er meint die sogenannten "Expected Goals", die zu erwartenden Tore bei normaler Chancenverwertung. Die DFB-Auswahl hatte einen Wert von 3,3, "das ist ein unfassbar hoher Wert", so Kramer. Zum Vergleich: Spaniens Wert lag gegen Costa Rica bei 3,5.

Spanier ist nicht unschlagbar

Schlagbar: So wenig, wie man die deutsche Mannschaft komplett verfluchen sollte, sollte man die Spanier auch nicht zu sehr in den Himmel loben. Ja, das 7:0 war beeindruckend, gelang aber auch gegen einen an diesem Abend völlig desolaten Gegner. Trotzdem sind sie bei aller Qualität schlagbar. Wenn man denn den richtigen Matchplan hat und ihn effektiv umsetzt.

In der zurückliegenden Nations League gelang der Gruppensieg mit einem Punkt Vorsprung auf Portugal, auf dem Weg dorthin gab es zwei Remis gegen den Erzrivalen sowie Tschechien, außerdem eine Pleite gegen die Schweiz - auch, wenn es die einzige bislang in diesem Jahr ist. "Wir sind mit dem gleichen Ziel wie immer ins Spiel gegangen, aber wir hatten einen Gegner, der sehr gut gepresst hat, der physisch sehr stark ist und uns daran gehindert hat, unseren Fußball zu spielen", nannte Spaniens Nationaltrainer Luis Enrique die damaligen Erfolgsfaktoren der Eidgenossen.

Enrique hat wie Flick alle Hände voll zu tun. Während sein deutscher Kollege Aufbauarbeit leisten muss, ist Enrique damit beschäftigt, sein Team nicht zu hoch fliegen zu lassen. "Lob schwächt, das wissen wir. Aber werden nicht darauf hereinfallen", sagte er. Des Gegners Arroganz und Leichtfertigkeit könnten der DFB-Auswahl auch in die Karten spielen.

Wohlfühlfaktor Familie

Frauen im Quartier: Neben den sportlichen Faktoren gibt es auch die weichen. Während der WM wohnen die Angehörigen der Nationalspieler in einem separaten Hotel unweit der luxuriösen Unterkunft der DFB-Auswahl, nach der Niederlage gegen Japan durften sie zwei Nächte im Quartier der Nationalmannschaft verbringen.

"Ich glaube, dass es für viele, viele Jungs ein schönes Gefühl war, ihre Kinder und Frauen zu sehen. Es gibt nichts Schöneres, als seine Liebsten um sich herum zu haben. Dementsprechend ist mein Gefühl da positiv“, sagte Brandt. Denn zu der sportlichen Aufarbeitung gehört auch die mentale. Den Kopf frei bekommen, die Niederlage abhaken, nach vorne schauen. Und auf die Mutmacher konzentrieren. Denn es gibt sie.

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenzen DFB und Spanien
  • ZDF-Übertragung
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