Die Bayern-Maschine läuft auf vollen Touren, die Konkurrenz verzweifelt schon wieder an der Dominanz der Nagelsmann-Truppe. Gibt es überhaupt noch Schwächen beim Rekordmeister?

Eine Analyse

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Es steht ein schrecklicher Verdacht im Raum: Der FC Bayern könnte tatsächlich zu stark sein für die Bundesliga. Wer sich nach neun Meisterschaften in Folge noch nicht auf diese gar nicht mehr so gewagte These einlassen wollte, dürfte nach nur wenigen Spieltagen in dieser Saison aber immerhin ein wenig ins Grübeln geraten.

Wenn der Erste im Stadion des Zweiten nach einer guten halben Stunde Fünf zu Null führt und eigentlich Acht zu Null führen müsste, weil er den vermeintlichen Kontrahenten einfach in Grund und Boden stampft, dann scheint die Meisterschaft nach acht Spieltagen schon wieder so gut wie entschieden.

Dortmund, Leipzig, Barca, Leverkusen: Kein Problem für die Bayern

Eintracht Frankfurts Überraschungssieg in München weckte eine leise Hoffnung auf etwas Spannung im Titelrennen. Die Bayern trampelten das kleine Fünkchen nun in Leverkusen aber sofort wieder aus - nicht, weil sie einfach drei Punkte näher an ihr Ziel rückten. Sondern weil sie der Liga auf ihre ganz eigene Art mitteilten: Werden sie geärgert, fällt die Reaktion darauf doppelt und dreifach so heftig aus. Dann muss der nächste Gegner büßen. Weil sie es können. Und dann scheint es auch völlig egal, wer den Bayern so vor die Flinte läuft.

Vor Leverkusen hatten die Münchener auch schon Leipzig und Barcelona vermöbelt, Dortmund war im Supercup letztlich chancenlos, Bochum drohte zweistellig unterzugehen. In zehn ihrer zwölf Pflichtspiele erzielten die Bayern drei Tore oder mehr. Die Offensive des Rekordmeisters ist eine Bestie, alleine in der Liga stellen die Bayern schon acht verschiedene Torschützen: Bis auf Marcel Sabitzer und die beiden lange verletzten Kingsley Coman und Corentin Tolisso hat jeder eingesetzte Mittelfeldspieler oder Angreifer schon getroffen.

Auch die Kontersicherung funktioniert besser

Vom Spiel in Leverkusen bleiben unter den vielen glänzenden Statistiken zwei ganz besonders im Gedächtnis: Bayern-Spieler fanden mit 96 Pässen ihre Mitstreiter in den Halbräumen, den bevorzugten Anspielstellen für den geordneten Spielaufbau und Übergang in die gegnerische Hälfte. Und unglaubliche 60-mal hatten Münchener Spieler Ballaktionen in der so genannten Zone 14 - jenem Bereich zentral vor, um oder im gegnerischen Strafraum. Das hatte natürlich mit einem an diesem Tag über die Maßen enttäuschenden Gegner zu tun. Aber es zeigt auch die unfassbare Wucht, die die Bayern entfachen können, wenn alle ihre Stilmittel sauber aufeinander abgestimmt sind. Und genau das ist im Moment - schon wieder - der Fall.

Wie will man diesem Giganten also überhaupt noch beikommen, gibt es noch Hoffnung für die Konkurrenz, die sich aus mehr speist als einer unverschämten Portion Glück und einem Torhüter, der fast schon das Spiel seines Lebens hinlegt wie Frankfurts Kevin Trapp vor anderthalb Wochen? Ihr größtes Problem der letzten Jahre scheinen die Bayern ja auch schon in den Griff bekommen zu haben. "Wir haben zu viele Gegentore in den vergangenen beiden Jahren bekommen. Wir standen damals defensiv, in der Rückwärtsbewegung nicht optimal. Jetzt können wir wieder zu Null spielen, was die Basis für erfolgreichen Fußball ist", sagte der neue Vorstandschef Oliver Kahn jüngst vor dem Champions-League-Spiel gegen Kiew und hob damit auf die Schwächen der Mannschaft unter Nagelsmanns Vorgänger Hansi Flick an.

Tatsächlich war zwar dessen Pressing und Gegenpressing herausragend, die Sicherung der Tiefe in oder hinter der letzten Linie aber immer ein veritables Problem, das eine zeitlang sogar zu sieben Spiele in Folge führte, in denen die Bayern in Rückstand gerieten. Nagelsmann bleibt im Grunde bei dieser riskanten Form der Ballrückeroberung, lässt seine Innenverteidiger wie Flick auch Mann gegen Mann und ohne Absicherung verteidigen. Nur schaffen es die Bayern aktuell, den Ballbesitz schon so früh wieder zu erlangen, dass dem Gegner ein Pass hinter die eigene Kette kaum noch ermöglicht wird.

Die Mitte ist dicht

Der Schlüssel liegt also in den drei, vier, fünf Sekunden nach einem eigenen Ballverlust. In dieser kurzen Spielphase dürfte es derzeit keine Mannschaft auf der Welt geben, die besser agiert als die Bayern. Allerdings bleibt auch dieses System im Grunde anfällig genug - in der Bundesliga gibt es nur kaum Teams, die so gut sind, diese Schwächen auch zu bespielen. Da gibt es aus dem Münchener (Gegen-)Pressing kein Entrinnen, die ballfern offenen Spielfelder bleiben ungenutzt.

Und weil Nagelsmann gegen den Ball gerne auch seine eigentliche Grundordnung ein wenig auflöst und mit drei zentralen defensiven Mittelfeldspielern sowie den beiden Innenverteidigern dahinter das Zentrum verriegelt, kommt nur selten etwas durch bis zum Münchener Strafraum. Auch hier müssten in der Theorie etwas mehr Räume auf den Außen entstehen, in der Praxis aber dominieren diese Räume dann die Supersprinter Davies und Süle.

Nagelsmann vertraut auf einen festen Kern

Wie unerschütterlich das Vertrauen in die eigenen Stärken schon wieder ist, demonstrierte Nagelsmann am letzten Wochenende zumindest indirekt. Gegen Leverkusen spielten die Bayern mit der Startelf aus dem Frankfurt-Spiel, das 1:2 verloren ging. Das sagt einiges über die Mannschaft und ihren Trainer aus: Nagelsmann war mit der Leistung gegen die Eintracht durchaus einverstanden und kann das Gezeigte auch vom Ergebnis trennen. Und er hat einen festen Kern an Spielern, denen er in dieser immer noch frühen Saisonphase blind vertraut.

Außer ein paar punktuellen Wechseln stehen die sieben, acht Feldspieler immer fest: Alphonso Davies, Niklas Süle, Leon Goretzka, Joshua Kimmich, Thomas Müller, Serge Gnabry, Leroy Sane und Robert Lewandowski standen in jedem Bundesligaspiel auf dem Platz, Dayot Upamecano und Jamal Musiala verpassten nur je eine Partie. Und wäre Lucas Hernandez zu Beginn der Saison nicht verletzt gewesen, der Franzose hätte mittlerweile auch schon mehr aufzubieten als seine fünf Einsätze.

Nagelsmann hatte schon vor dem Beginn seiner Arbeit in München angekündigt, das Erbe von Hansi Flick sehr behutsam und konservativ zu behandeln und auf große Experimente und Veränderungen zu verzichten. Dieser Minimalismus wird nun nach und nach angereichert mit wohl dosierten Ergänzungen. Im Prinzip bleiben der Konkurrenz nur zwei kleine Lichtblicke. Einer davon: Die Bayern wuchern weiter wie bisher mit ihren Chancen. Gegen Frankfurt war es nur ein Treffer bei 20 Torschüssen.In Leverkusen fielen zwar fünf Tore. Bei 27 Torschüssen erscheint aber auch das zu wenig.

Individuelle Fehler gehören aber dazu

Und einen Faktor kann auch Nagelsmann grundsätzlich nicht selbst kontrollieren: Individuelle Fehler passieren auch den Besten. Und die Bayern haben ein paar Kandidaten im Kader, die nicht ganz so roboterhaften Fußball spielen wie das Kimmich, Goretzka oder neuerdings auch Hernandez gelingt. Manuel Neuers Fehlgriff entschied die Partie gegen Frankfurt, Upamecano erwischte auch einen ganz schwachen Tag und scheint nicht immer ganz so gefestigt. Benjamin Pavard ist Weltmeister, hat mit den Bayern schon alles gewonnen - und gilt trotzdem auch als einer, dem ab und an noch ein gravierender Fehler unterlaufen könnte.

Systematisch ist den Bayern unter Nagelsmann also kaum noch beizukommen. Diese Mannschaft gibt nur ein paar wenige Momente in einem Spiel her, die der Gegner dann kalt nutzen muss. Am Mittwoch darf sich Benfica in der Champions League daran versuchen. Die Aussichten auf einen Erfolg sind aber sehr gering.

Quellen

  • spox.com: Kahn kritisiert Abwehrarbeit unter Flick
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