Wer folgt auf Carlo Ancelotti? Beim FC Bayern sind zahlreiche Trainer im Gespräch. Tuchel, Enrique, Nagelsmann oder doch ein interner Kandidat. Welche Lösung wie wahrscheinlich ist - und warum.

Steffen Meyer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wer geglaubt hat, dass die Entlassung von Carlo Ancelotti beim FC Bayern kühl durchdacht und die Nachfolge bereits vorbereitet wurde, sieht sich in diesen Tagen getäuscht. Die Entlassung war eine emotionale Entscheidung der Bayern-Führung um Uli Hoeneß ohne Plan B und doppelten Boden.

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Der Rekordmeister befindet sich mitten in der Saison in einem sehr komplizierten Markt auf Trainersuche. Wir stellen die Kandidaten vor - und sagen, welche Lösung wie wahrscheinlich ist.

Die wahrscheinlichste Lösung: Thomas Tuchel

Der Ex-Dortmunder ist der logische Kandidat auf die Ancelotti-Nachfolge. Tuchel ist der profilierteste deutsche Trainer, der verfügbar ist. Er hat in Mainz und Dortmund bewiesen, dass er in der Lage ist Mannschaften einen einzigartigen Spielstil beizubringen. Gerade in Dortmund hat Tuchel mit einem taktisch hoch anspruchsvollen Ballbesitz- und Positionsspiel überzeugt.

Eine Entscheidung für Tuchel wäre eine Rückkehr zur erfolgreichen Guardiola-Zeit und zur Erkenntnis, dass der FC Bayern den Rückstand zur europäischen Spitze nur mit einem herausragendem Trainer aufholen kann.

Tuchel wäre rein sportlich eine Garantie darauf, dass der FC Bayern in den kommenden Jahren trotz der Nachteile auf dem Transfermarkt wieder regelmäßig in die absolute Spitze in Europa vordringen kann.

Große Fragezeichen gibt es nach dem unschönen Ende in Dortmund jedoch zu Tuchels charakterlicher Eignung. Gegen die vergiftete Atmosphäre zwischen Mannschaft, Vereinsführung, Angestellten und Trainerteam in Dortmund waren die Konflikte mit Ancelotti in München eher ein laues Lüftchen. Wenn die Bayern-Bosse einen Trainer suchen, der vor allem nach ihrer Pfeife tanzt und die Stimmung im Verein über alles stellt, ist Tuchel wohl nicht die erste Wahl.

Dass schon jetzt von der "Sport Bild" kolportiert wurde, dass Tuchel bei einem Telefonat mit der Bayern-Führung inhaltliche, fußballerische Fragen voranstellte und ein Engagement an bestimmte Bedingungen knüpfte, spricht dafür, wie kompliziert eine Einigung werden könnte. Auch die Münchner Bosse, die einen kürzeren Gesprächsfaden nach Dortmund haben als viele glauben werden im Vorfeld einige Fragen an Tuchel haben.

Kein Geheimnis ist, dass Pep Guardiola sich im Verein frühzeitig dafür stark gemacht hat, dass Tuchel ihn einmal beerben solle. Der Rückzug von Jürgen Klopp in Dortmund und die schnelle Einigung mit Tuchel machten dies damals zunichte.

Anfang dieser Woche trafen sich Hoeneß und Guardiola in München. Guardiola wird sich dabei sicher erneut für Tuchel stark gemacht haben.

Trotz aller Bedenken und offenen Fragen: Tuchel ist der Top-Kandidat für den Trainer-Posten.

Wahrscheinlichkeit: 45%

Erst Interimslösung, dann Wunschlösung: Louis van Gaal und Julian Nagelsmann

Um es klar zu sagen: Wäre Julian Nagelsmann aktuell nicht in Hoffenheim vertraglich gebunden, hieße der neue Trainer des FC Bayern jetzt Julian Nagelsmann. Er ist taktisch auf ähnlichem Niveau wie Tuchel, hat aber Vorteile in der Mannschaftsführung. Allein die Erfahrung auf internationaler Ebene fehlt ihm.

Dass vor allem Uli Hoeneß darüber hinwegsehen könnte, zeigte zum Beispiel das Interesse der Münchner an Jürgen Klopp im Jahr 2008, als Hoeneß den heutigen Liverpool-Coach sogar aus der zweiten Liga holen wollte. Am Ende hatte Jürgen Klinsmann hauchdünn die Nase vorn.

Trotz bester Beziehungen zwischen Hoeneß und Hoffenheim-Chef Hopp ist ein sofortiger Wechsel mitten in der Saison quasi ausgeschlossen. Hoffenheim würde dadurch alle seine Saisonziele riskieren.

Trotzdem spielt der Name Nagelsmann eine wichtige Rolle. Im Sommer könnte die Situation nämlich eine andere sein. Dann könnte Hoffenheim in Ruhe einen neuen Trainer suchen und eine fällige hohe Ablöse für den Trainer gleichzeitig in die Mannschaft investieren.

Der perfekte Mann für den Übergang wäre Louis van Gaal. Er wäre trotz der Konflikte in der Vergangenheit ein hervorragender Interimstrainer bis zum Saisonende. Van Gaal könnte erneut taktische Strukturen aufbauen von denen Nagelsmann ab Sommer profitiert. Der Niederländer hätte zum Abschluss seiner Karriere noch einmal eine große Aufgabe auf Zeit.

Persönliche Konflikte über die zukünftige Ausrichtung wie bei seinem ersten Engagement wären in den verbleibenden acht Monaten eher nicht zu erwarten.

Es wäre für alle Seiten die ultimative win/win-Situation. Und es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass ein ehemaliger Bayern-Trainer in einer Krisensituation zurückgeholt wird.

Die Variante ist kompliziert, aber vielleicht entpuppt sich am Ende der Joker als die richtige Karte.

Wahrscheinlichkeit: 25%

Der Außenseiter: Luis Enrique

Der ehemalige Barca-Coach und Triple-Sieger von 2015 ist der wohl größte Name, der zur Zeit verfügbar ist. Champions-League-Sieger (1x), Spanischer Meister (2x), Spanischer Pokalsieger (3x), FIFA-Clubweltmeister (1x), UEFA Supercupsieger (1x). Enrique gewann in seinen drei Jahren als Trainer des FC Barcelona alles, was es zu gewinnen gab. Es ist nur logisch, dass sich die Münchner auch mit ihm intensiv beschäftigen.

Enrique wäre in gewisser Weise die Fortsetzung von Ancelotti auf spanisch. Der 47-Jährige hat sich in Barcelona einen Namen als Teambuilder gemacht. Er hat die Stars bei Laune gehalten und war ein wesentlicher Faktor dafür, dass Messi, Suarez und Neymar (MSN) sich über einen gewissen Zeitraum in ihren Rollen einordneten und voneinander profitierten.

Auch taktisch ist Enrique mit Ancelotti zu vergleichen. Als Nach-Nachfolger von Guardiola konnte Enrique auf der Vorarbeit des Taktik-Genies aufbauen. In Barcelona ist ein kluges Positionsspiel seit langer Zeit Teil der Ausbildung. Auch Enrique profitierte am Anfang davon und richtete sein Spiel mit recht simplen zusätzlichen Vorgaben ganz auf die individuelle Qualität von "MSN" aus.

Beispielhaft ist die Einbindung von Ivan Rakitic zu nennen, der viel Arbeit für seine Vorderleute verrichtete.

Im Verlauf seiner Amtszeit wurde jedoch deutlich, dass Enrique ähnlich wie Ancelotti in München das Spiel seiner Mannschaft kaum noch weiterentwickelte. Die Abhängigkeit von der Form seiner Offensivstars wurde immer deutlicher, das Positionsspiel immer ungenauer und das Pressing teilweise zu einer echten Schwäche.

Es wäre etwas verwunderlich wenn die Bayern-Bosse nach dem Missverständnis Ancelotti erneut auf einen hochdekorierten, aber spielerisch nicht unumstrittenen Trainer setzen würden. Auch die Sprachbarriere spricht gegen Luis Enrique. Ein ernstzunehmender Kandidat ist er dennoch.

Wahrscheinlichkeit: 20%

Schon unwahrscheinlicher: Lucien Favre

Auch Favre ist ein logischer Kandidat. Er ist ein anerkannt guter Trainer und hat durch eine gemeinsame Vergangenheit mit Karl-Heinz Rummenigge in Genf auch einen persönlichen Draht in die Bayern-Führung. Favre dürfte deutlich in Nizza für eine gewisse Summe loszueisen sein.

Favre wäre prädestiniert die defensiven Probleme der Münchner in der jüngeren Vergangenheit zu beheben. Auch mit dem Ball gibt Favre seinen Mannschaften viele Möglichkeiten an die Hand.

Mit bald 60 Jahren wäre er allerdings nicht die gewünschte langfristige Lösung für die Zukunft.

Wahrscheinlichkeit: 5%

Interne Lösung I: Mehmet Scholl

Auch wenn Scholls Ruf durch seine viel kritisierte Arbeit als TV-Experte zuletzt gelitten hat, muss die Münchner-Legende als Kandidat genannt werden. Seine bisherige Arbeit als Trainer verrichtete er vor allem bei zwei Engagements in der Münchner U23 in der 3. Liga und später in der Regionalliga.

Inhaltlich wusste er dabei durchaus zu überzeugen. Scholl wäre die ultimative Hoeneß-Lösung, der sich nach mehr Harmonie im Verein sehnt. Schon die Verpflichtungen von Hasan Salihamidzic und Willy Sagnol waren so zu verstehen.

Scholl könnte zum Beispiel mit einem erfahrenen Trainer-Haudegen wie Hermann Gerland den Job bis Saisonende übernehmen und sich dabei für mehr empfehlen.

Scholl ist - anders als es sein öffentliches Image vermuten lässt - als Coach durchaus hart im Umgang mit seinen Spielern. Vorzüge hat er dem Vernehmen nach vor allem in der individuellen Arbeit mit den Spielern und der Motivation der Mannschaft.

Wahrscheinlichkeit: 4%

Interne Lösung II: Willy Sagnol

Vor der Saison waren Carlo Ancelotti von der Vereinsführung zwei Namen als Co-Trainer angeboten worden. Mark van Bommel und Willy Sagnol. Die Münchner wollten nach dem Abgang von Paul Clement nach Swansea unbedingt eine andere Stimme im "Ancelotti-Clan" etablieren.

Ancelotti, der schon in Madrid die Erfahrung machte, von seinem Co-Trainer (Zinedine Zidane) abgelöst zu werden, entschied sich für den braveren Sagnol.

Gut möglich, dass ein herausragender Auftritt der Bayern in Berlin Sagnol in die engere Auswahl für eine Interimslösung bis Sommer befördert hätte. Sagnol stellte mutig auf und brachte zum Beispiel Javi Martinez im Mittelfeld. Der Erfolg blieb jedoch aus.

Sagnol dürfte sich durch seine loyale Arbeit allerdings zumindest eine Co-Trainer-Rolle für die Zukunft verdient haben.

Wahrscheinlichkeit 1%

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