- Die Regierung von Wolodymyr Selenskyj möchte nicht, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Ukraine reist.
- Der SPD-Abgeordnete Nils Schmid spricht von "politischem Schmierentheater". Der Ton zwischen Berlin und Kiew ist zunehmend gereizt.
- Auch der polnische Präsident soll verärgert gewesen sein: Von dem Streit profitiere am Ende nur Wladimir Putin.
Die geplatzte Ukraine-Reise des deutschen Bundespräsidenten sorgt für politischen Wirbel – und stellt die ohnehin belasteten Beziehungen zwischen den Regierungen in Berlin und Kiew weiter auf die Probe. Frank-Walter Steinmeier hatte eigentlich vorgehabt, gemeinsam mit den Präsidenten Polens und der baltischen Staaten in die Ukraine zu reisen. Doch am Dienstagnachmittag musste er in Warschau verkünden: Er sei in Kiew offenbar unerwünscht.
Die Reaktionen in Berlin fielen am Mittwoch ungewöhnlich deutlich aus. "Sehr ärgerlich", "unverständlich und unnötig" sei dieser Affront, sagte Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, am Morgen im Deutschlandfunk. Auch der stellvertretende FDP-Vorsitzende
Steinmeier und Russland: Erst Nähe, dann Distanz
Zudem war Steinmeier als Kanzleramtsminister einer der engsten Mitarbeiter des früheren Bundeskanzlers
Allerdings hat Steinmeier sich seit Beginn des Krieges deutlich positioniert – und zwar gegen Russland. Als er im Februar für eine zweite Amtszeit gewählt wurde, stellte er einen Appell an den russischen Präsidenten Putin in den Mittelpunkt seiner Antrittsrede: "Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine und suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt", sagte Steinmeier.
Elf Tage danach begann der Krieg dennoch – und das Staatsoberhaupt zeigte sich selbstkritisch und räumte Fehler ein: "Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen uns unsere Partner gewarnt haben", sagte Steinmeier. Er hat sich damit deutlicher von seiner Russland-Politik distanziert als Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich zu dem Thema bisher nur spärlich geäußert hat.
Selenskyj möchte statt Steinmeier lieber Scholz treffen
Die Regierung in Kiew hat das offenbar nicht besänftigt. Der ukrainische Präsident Selenskyj machte aus der Ausladung eine Einladung: Er freue sich, wenn Bundeskanzler
Bereits am Wochenende hatte der Botschafter deutlich gemacht, dass ein Kanzler-Besuch seinem Land mehr bringe als die Visite des eher machtlosen deutschen Staatsoberhaupts: "Es sollten lieber der Bundeskanzler oder andere Mitglieder der Bundesregierung kommen, die konkrete Entscheidungen über weitere massive Unterstützung für die Ukraine treffen."
In den Berliner Regierungsfraktionen bleibt der Ärger trotzdem groß. Die Ukraine könne sich nicht herauspicken, wer kommt, und den Kanzler gegen den Bundespräsidenten ausspielen, sagte SPD-Politiker Nils Schmid im Deutschlandfunk: "Jetzt gleitet das so langsam in politisches Schmierentheater ab."
Auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki sprach sich wegen des Affronts um Steinmeier gegen einen Kanzler-Besuch in Kiew aus: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kanzler einer von der FDP mitgetragenen Regierung in ein Land reist, das das Staatsoberhaupt unseres Landes zur unerwünschten Person erklärt."
Vorsitzender der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe äußert Verständnis
Differenziert sieht das Thema der Grünen-Abgeordnete Robin Wagener. Er ist Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe. "Dass Präsident Selenskyj den deutschen Bundespräsidenten nicht empfangen will, empfinde ich als schmerzlich und zugleich verständlich", erklärt er auf Anfrage unserer Redaktion. Deutschland gehöre einerseits zu den wichtigsten Partnern der Ukraine und diese Geste entspreche nicht dem engen Verhältnis der beiden Länder. "Deutschland hat die Ukraine auf vielfältigste Weise unterstützt, politisch, wirtschaftlich und finanziell."
Andererseits habe die deutsche Außenpolitik lange den Unwillen gezeigt, den wirklichen Charakter des Putin-Regimes zu erkennen und entsprechend zu agieren. "Damit sind wir nicht für diesen Krieg verantwortlich, aber wir haben den falschen Eindruck erweckt, dass uns das Verhältnis zu Russland wichtiger sei als der Frieden in der Ukraine. Das ist eine schwere Hypothek für die Bundesregierung."
"Der Bundespräsident befindet sich in einer Phase der Selbstreflexion seiner Vergangenheit als Außenminister. Das ist gut und richtig", sagt Wagener. Daraus müssten jetzt aber auch entsprechende Schlüsse gezogen werden und Konsequenzen für die deutsche Ukraine-Politik folgen. "Bundespräsident Steinmeier muss keinen Gang nach Canossa antreten, aber er sollte eben auch nicht mit leeren Händen oder Worten in die Ukraine reisen wollen."
Auch Polens Präsident soll außer sich gewesen sein
Schärfere Töne kommen allerdings von der SPD. Schon in den vergangenen Wochen hatten sich vor allem Sozialdemokraten an dem Auftreten des ukrainischen Botschafters Melnyk gestört. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ließ am Mittwoch über Twitter mitteilen: Er erwarte, "dass sich ukrainische Repräsentanten an ein Mindestmaß diplomatischer Gepflogenheiten halten und sich nicht ungebührlich in die Innenpolitik unseres Landes einmischen".
Für Verstimmung hat die geplatzte Reise allerdings nicht nur in Deutschland gesorgt. Der "Spiegel" (Bezahlinhalt) berichtete, dass auch der polnische Staatspräsident Andrzej Duda außer sich gewesen sein soll. Der Streit werde
Quellen:
- Deutsche Presse-Agentur
- Büro von Robin Wagener, Bündnis 90/Die Grünen
- Deutschlandfunk.de: Ukraine-Absage an Steinmeier - SPD-Außenpolitiker Schmid spricht von "politischem Schmierentheater"
- Twitter-Account von Paul Ronzheimer
- Twitter-Account der SPD-Bundestagsfraktion
- Spiegel.de: Absage von Selenskyj – Wie Steinmeiers Kiewreise plötzlich scheiterte
- Tagesschau.de: "Ich weiß nicht, welche rote Linie es noch geben müsste, damit Berlin handelt"
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