Was passiert mit der Impfpflicht? Wie sieht es mit Lockerungen aus? Das sind die Fragen, auf die Anne Will am Sonntagabend Antworten von ihren Gästen haben wollte. Die bekam sie zwar, aber auch die Antwort auf eine Frage, die sie gar nicht gestellt hatte: Was macht man, wenn ein Gast aus Bayern gar nicht zum Diskutieren gekommen ist?
Mit seinen Aussagen, die von ihm mit beschlossene einrichtungsbezogene Impflicht in Bayern de facto nicht umzusetzen, hat Bayerns Ministerpräsident
Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will
- Jana Schroeder, Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie
- Elke Keiner, Geschäftsführerin Soziale Dienste Pesterwitz GmbH in Sachsen und dort Leiterin eines Pflegeheims
Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister- Joachim Stamp (FDP), Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen
- Markus Blume (CSU), Generalsekretär und Mitglied des Bayerischen Landtags
Die Themen des Abends
Um es vorwegzunehmen: Inhaltlich war es ein dünner Abend. Denn es reichte aus, dass ein bayerischer Gast nicht zum Diskutieren gekommen war, um eine vernünftige Debatte zu stören. Trotzdem konnten zumindest talkshowerprobte Zuschauer hin und wieder Interessantes für sich mitnehmen, was wiederum den anderen Gästen zu verdanken war. Zum Beispiel über die einrichtungsbezogene Impfpflicht.
Hier berichtet Elke Keiner, dass von ihren 81 Mitarbeitern 27 noch nicht geimpft sind. Sie selbst findet es nicht in Ordnung, wenn Mitarbeiter mit Schutzbedürftigen arbeiten, aber nicht geimpft sind, "aber ich akzeptiere es". Die Gründe, warum manche ihrer Mitarbeiter noch nicht geimpft sind, seien vielfältig.
Mit Blick auf neue Impfstoffe, die vielleicht den einen oder anderen doch noch von einer Impfung überzeugen können, verspricht Lauterbach der Pflegeheimleiterin: "Wir kämpfen wirklich um jede einzelne Pflegekraft."
Neben der einrichtungsbezogenen und der allgemeinen Impfpflicht stehen auch mögliche Lockerungen auf Wills Themenzettel. Hier weist Jana Schroeder darauf hin, dass man zwar möglicherweise ein Plateau bei den Inzidenzen habe, aber eben auch eine steigende Hospitalisierungsrate und eine dreistellige Todesanzahl. Gleichzeitig warnt Schroeder davor, die sich bessernden Zahlen alleine dem milderen Verlauf von Omikron zuzuschreiben. Stattdessen sei es vor allem ein Erfolg der Impfungen.
Außerdem weist Schroeder auf einen weiteren Aspekt hin: Kinder und Impfungen: "Auch die Kinder haben ein gewisses Risiko." Hier müsse man die Lockerungen mit einer Impfkampagne für Kinder vorbereiten, im Vergleich zu anderen Ländern seien in Deutschland wesentlich weniger Kinder geimpft.
Der Schlagabtausch des Abends
Markus Blume braucht nicht lange, um zu zeigen, wofür er ins "
Erstens habe sich seit Dezember etwas verändert: "Wir sind in einer neuen Phase der Pandemie." Zweitens sei auf Seiten der Bundesregierung zu wenig passiert, denn die Regierung habe "wesentliche Umsetzungsdinge nicht mitgeliefert bei diesem Gesetz". Und: "Es ist beim Thema allgemeine Impfpflicht gar nichts passiert." Außerdem sei zu klären ob sich Lauterbach beim Thema Impfpflicht hier als Privatmann oder als Bundesgesundheitsminister äußert.
"Jetzt haben Sie drei Dinge gesagt, die falsch waren und danach eine Polemik eingebracht", antwortet Lauterbach und listet auf, was auch Blume eigentlich ganz genau weiß. Er spreche hier als Bundesgesundheitsminister, als dieser sei er ja auch eingeladen worden.
Für die allgemeine Impflicht lägen zwei Gesetzesentwürfe vor. "Ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung", wirft Blume ein, woraufhin Lauterbach deutlich wird: "Stellen Sie sich doch nicht dümmer als Sie sind. Wir haben uns seit Monaten darauf geeinigt, dass die Gesetzesentwürfe, es mag Ihnen gefallen oder nicht, vom Parlament eingebracht werden, also nicht von der Regierung."
"Anne Will": Lauterbach und Stamp kontern Blume
Es sollte nicht nur nicht der einzige Schlagabtausch des Abends sein, sondern auch eine Blaupause für die weiteren Meinungsverschiedenheiten werden: Blume haut erstmal etwas raus und Lauterbach und Stamp versuchen, das Gesagte wieder einzufangen.
Bei der einrichtungsbezogenen Impflicht habe beispielsweise die FDP auf Probleme hingewiesen, was aber beiseite gewischt worden sei, erklärt Joachim Stamp und ergänzt: "Jetzt ist die Situation so, dass Herr Söder diesem Gesetz zugestimmt hat, dass in namentlicher Abstimmung alle CSU-Abgeordneten im Deutschen Bundestag zugestimmt haben. Und dann kann ich mich nicht breitbeinig hinstellen und sagen: 'Das ist ein schlechtes Gesetz von der Ampel', sondern da muss ich sagen: 'Wir haben möglicherweise hier etwas übersehen, was sich im Vollzug als schwierig erweist.' Dann greif ich zum Hörer und muss in einer solchen Situation nicht das kleine Karo der Opposition spielen im Bund, sondern da muss ich sehen, wie ich zu einer konstruktiven Lösung komme."
Ein anderes Mal muss Lauterbach für Blume erneut klarstellen, dass die allgemeine Impfpflicht nie gegen die aktuelle Omikron-Welle gedacht war, sondern um für den Herbst besser vorbereitet zu sein. Als Will den parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, zitiert, wonach die allgemeine Impfpflicht im Bundestag ganz sicher keine Mehrheit finden werde, vermutet Lauterbach Kalkül hinter so einer Aussage: "Ich finde es sehr schade, dass die Union sich hier aus parteitaktischen Gründen der Diskussion verweigert, ob die allgemeine Impfpflicht kommt. Jeder durchblickt doch, dass Herr Frei im Verbund mit Herrn Merz hier sagt: 'Wir stimmen nicht mit. Wir wollen gern, dass die Ampel damit gegen die Wand fährt.' Das ist Parteipolitik zu Lasten der Bevölkerung."
Die Empfehlung des Abends
Auch Chefärztin Jana Schroeder missfällt das parteipolitische Kalkül: "Der Expertenrat hat gerade noch einmal kommuniziert, wie wichtig es ist, dass wir eine stringente Pandemie-Kommunikation haben. Wir haben ein beschlossenes Gesetz: Das bringt einfach Verwirrung in die ganze Diskussion. Ich meine ganz ehrlich an alle Politiker hier: Klären Sie das doch intern."
So schlug sich Anne Will
Es waren eigenartige Monate in den vergangenen zwei Jahren. Nicht nur wegen Corona, sondern weil durch Corona eine eigenartige neue Diskussionskultur in Talkshows Einzug gehalten hatte. Dort, wo sonst nicht unbedingt der Klügste, sondern der Lauteste Gehör findet, konnte man sich offenbar auf eine neue Sachlichkeit ohne das üblich Parteiengezänk einigen. Nicht immer, aber doch angenehm häufig.
Es geht also auch anders, doch nach dem Auftritt von Markus Blume ist diese neue Sachlichkeit Geschichte. Da darf man schon einmal fragen, was sich die "Anne Will"-Redaktion von einem Auftritt Blumes erhofft hatte, schließlich weiß man bei ihm, was man bekommt. Dass es auch und gerade in einer Politiktalkshow ausgewogen und vielfältig in den Meinungen zugehen soll – geschenkt. Trotzdem hat die Redaktion auch ihren Zuschauern gegenüber die Pflicht, eine möglichst erkenntnisreiche Talkshow zu liefern und nicht nur Polemik.
Das Fazit
Nun kann man es für naiv halten oder für eine Träumerei, wenn man nach zwei Jahren Pandemie die Hoffnung hatte, dass sich vielleicht etwas am generellen Politikstil, zumindest aber bei Diskussionen in Polittalkshows geändert hat. Dass man gelernt hat, dass Zuhören und Zusammenarbeit wichtiger sind als parteipolitisches Gezänk. Sei’s drum.
Nun ist Streit für eine Demokratie überlebenswichtig und eine Opposition muss immer ein wachsames Auge auf die Regierenden haben. Dass Markus Blume gar nicht erst angereist ist, um die Diskussion bei "Anne Will" inhaltlich zu bereichern, sondern nur, um Attacken gegen die Ampel-Regierung zu fahren, kann man also bei viel gutem Willen vielleicht noch als lebendige Demokratie durchgehen lassen, auch wenn es nur politische Manöver sind.
Dass Blume bei Wills Fragen an ihn aber noch nicht einmal die Moderatorin ansieht, sondern sich für die Antwort gleich mit einem Angriff seinem politischen Gegner Karl Lauterbach zuwendet, ist nicht nur plump, es ist peinlich. Willkommen zurück in der neuen alten Talkshow-Realität.
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