Grüne, Union, SPD: Bei "Hart aber fair" waren sich die Parteienvertreter einig, wer für die Verrohung der politischen Debatten hauptverantwortlich ist. Die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende geriet derweil gleich mit mehreren Gästen aneinander. Und der SPD-Politiker Matthias Ecke berichtete von seinem schweren Angriff in Dresden.
2023 gab es in Deutschland fast doppelt so viele Angriffe auf die im Bundestag vertretenen Parteien wie 2019, vor allem die Grünen und die AfD waren davon betroffen.
Das ist das Thema bei "Hart aber fair"
Nach der ARD-Doku "Wie gut ist unser Grundgesetz geschützt"? diskutierte die Runde bei Hart aber fair über Angriffe auf Politikerinnen und Politiker, die Verrohung der Debatten und die zunehmend vergiftete gesellschaftliche Atmosphäre. Das Thema bei
Das sind die Gäste
Sebastian Fiedler: Der SPD-Bundestagsabgeordnete stellte fest, dass die Situation für Wahlkämpfer gefährlicher geworden ist. "Nicht hinter jedem Wahlkampfstand kann ein Streifenwagen stehen." Die Verantwortung für die Verrohung sah Fiedler bei der AfD. Bürger, die sich in ihrem "Mitmach-Extremismus" ermutigt sehen, seien größtenteils von der AfD beeinflusst, sagte der Kriminalbeamte. "Daran gibt es überhaupt gar keinen Zweifel"
Martin Machowecz (Der stellvertretende Chefredakteur der "Zeit") nannte den Angriff auf den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke in Dresden eine "Zäsur". Ecke fiel nicht gerade durch zugespitzte Argumente auf, auch äußerlich ist er ein eher unauffälliger Typ. "Dass es ihn getroffen hat, das macht einem einfach wahnsinnige Sorgen". Der gebürtige Sachse kritisierte sowohl den enormen Beitrag der AfD zur Verrohung des Klimas, aber er kritisierte auch den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Henrik Wüst (CDU), der die AfD eine Nazi-Partei genannt hatte. Das sei nicht besonders smart, sagte Machowecz und bekundete Zweifel, ob man so AfD-Wähler zurückgewinnen kann. Was seiner Meinung nach helfen könnte: Eine bessere Politik der Bundesregierung und eine Lösung der drängendsten Probleme des Landes.
Beatrix von Storch: Die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag nannte die Diskussion über die Grundgesetzfeindlichkeit ihrer Partei "schräg". Islamisten würden aus Deutschland ein Kalifat machen wollen. "Das ist tatsächlich eine Gefahr. Wir sorgen uns um die freiheitlich-demokratische Grundordnung." Das Urteil des Oberverwaltungsgericht Münster, wonach der Verfassungsschutz die Partei weiter als extremistischen Verdachtsfall beobachten darf, gefiel von Storch natürlich gar nicht. Sie betonte, dass es gegen die AfD als Gesamtpartei nur einen "Verdacht" gebe – und das schon seit drei Jahren. Von Storch lehnte es ab, einen eigenen Straftatbestand für Angriffe auf Politiker einzuführen. Die normalen Leute würden auch genug Gewalt erleben, "auf den Straßen, im Regionalexpress – Sie wissen, was ich meine". Das war vermutlich eine Andeutung auf Gewalttaten durch Geflüchtete oder Deutsche mit Migrationshintergrund - typischer AfD-Sound.
Ulf Buermeyer: Der Jurist und Podcaster ("Lage der Nation") sah genügend Anhaltspunkte, dass die Junge Alternative und der offiziell aufgelöste Flügel der AfD "tatsächlich versuchen, unser Grundgesetz aus den Angeln zu heben". Die AfD als Gesamtpartei sei aber nicht verfassungswidrig. Buermeyer erklärte, dass die Partei einen wesentlichen Beitrag leiste, dass das politische Klima so verroht. Auch, indem sie gewisse Menschen - Muslime oder Arabischstämmige - in Deutschland als Problem bezeichnet. Er forderte einen Grundkonsens: "Streit in der Sache, aber Respekt gegenüber den Menschen"
Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber fair"
Der SPD- Europaabgeordnete Matthias Ecke berichtete von dem schweren Angriff in Dresden, bei dem ihm das Jochbein gebrochen wurde. Er hofft, dass keine physischen Verletzungen bleiben – bis auf ein paar Narben vielleicht. "Aber natürlich macht es was mit mir und den Menschen, die mitgemeint waren. Ich denke, dass es auch ein Angriff auf die Demokratie war", sagte Ecke. Man dürfe diese öffentlichen Räume nicht preisgeben. "Ich lasse mich von den Leuten nicht mundtot machen."
Ecke sprach von der "organisierten Verrohung des politischen Klimas, die von der AfD und anderen der extremen Rechten vorangetrieben wird". Zugleich warnte er – ohne die Union beim Namen zu nennen – davor, die "Sprache der extremen Rechten" zu bedienen und Kooperation mit ihnen einzugehen. Auch die Rhetorik der demokratischen Parteien gegenüber der Ampel hält Ecke manchmal für zu hart, was nicht gut für das politische Klima ist.
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Das ist das Rede-Duell des Abends
Beatrix von Storch legte sich vor allem mit der Grünen Katrin Göring-Eckardt an. Sie warf ihr und den anderen Parteien im Bundestag vor, dass in der im Parlament gebräuchlichen Formulierung bzw. Anrede "Demokratinnen und Demokraten" die AfD nicht mitgemeint sei. Außerdem würde Gewalt dort nur gegen "Demokratinnen und Demokraten" verurteilt. Damit, so der Vorwurf, würden Gewalttaten gegen die AfD schulterzuckend zur Kenntnis genommen. "Damit sagt man: Die anderen dürfen angegriffen werden. Das finde ich heuchlerisch und das finde ich niederträchtig, um ehrlich zu sein".
Göring-Eckardt erinnert zunächst an die Formulierung des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland nach dem erstmaligen Einzug in den Bundestag 2017 in Richtung CDU und Angela Merkel. "Wir werden sie jagen."
Später erklärte sie ihren Standpunkt: Die AfD sei "demokratisch gewählt, aber deswegen sind sie nicht Demokraten", sagte sie zu von Storch. "Weil sie versuchen, unser politisches System auszuhöhlen oder zumindest zu unterminieren". Die Menschenwürde gelte für alle. "Das ist der Punkt, wo es um den Grundpfeiler unserer Demokratie geht." Dafür gab es an diesem Abend den meisten Applaus.
So hat sich Louis Klamroth geschlagen
Klamroth konfrontierte die AfD-Frau von Storch wiederholt mit fragwürdigen Aussagen. "Wollen Sie sich für diese Wortwahl entschuldigen?", fragt er sie mehrfach, weil sie Fiedler und Göring-Eckardt in der Vergangenheit als Nazis bzw. die Grünen als Klima-Nazis bezeichnet hatte. "Wissen Sie, wir werden die ganze Zeit beleidigt", schob von Storch die Verantwortung für ihr Verhalten ab.
Der Moderator konfrontierte neben der AfD aber auch die anderen Parteien mit deren eigener Rhetorik. So fragte er Dorothee Bär, ob NRW-Landeschef Wüst mit seiner AfD-Nazipartei-Bezeichnung Leuten Rückendeckung gibt, die die AfD angreifen? An anderer Stelle spielte er einen Einspieler des damaligen Grünen-Sprechers Ludger Volmer ab, der nach der Bundestagswahl 1994 ebenfalls ankündigte, die CDU jagen zu wollen. Klamroth hielt allen Parteien den Spiegel vor – wobei klar blieb, dass die AfD sprachlich am meisten abrüsten muss.
Das ist das Fazit
Ein gemeinsamer Grundkonsens dürfte, in einer Runde mit AfD-Beteiligung, die Ausnahme sein. Hier war es so weit: Alle Politiker verurteilten Gewalt gegen politische Mitbewerber – egal ob links oder rechts oder dazwischen. "Es gibt keine Opfer erster oder zweiter Klasse. Es gibt keine guten und schlechten Opfer, sagte Sebastian Fiedler.
Am Ende, als die Sendung auf der Zielgeraden war, wurde es dann noch einmal hitzig. Buermeyer sprach sich für einen AfD-Verbotsantrag aus. "Das ist hanebüchen", schimpfte von Storch. "Sie wollen die Opposition verbieten." Buermeyer erklärte, dass die Demokratie kein Würfelspiel sei, wo es nur um Stimmen gehe, sondern auch um Werte wie "Artikel 1" des Grundgesetzes.
Sebastian Fiedler war nach dem Urteil des Oberverwaltungsgericht Münster ebenfalls offen für einen Verbotsantrag. Weil in dem Urteil in seinen Augen noch einmal ganz klar geworden ist, dass sich die AfD Deutsche erster und zweiter Klasse vorstellt. "Das geht so nicht".
Für Martin Machowecz hat AfD wieder an Momentum verloren: durch die Großdemos und auch durch die Wagenknecht-Partei. Die Umfragewerte sinken wieder. "Wir haben eine starke Demokratie", sagte der Journalist, "auch in Ostdeutschland." Machowecz hat nicht das Gefühl, dass hier irgendwas in Sachen Demokratie vorm Kippen steht. Das Einzige, was in dieser Sendung kippte, war die Laune von Beatrix von Storch.
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