Ist die Rente mit 63 aus Generationengerechtigkeit nicht mehr zeitgemäß? Oder ist sie die nötige Anerkennung für Lebensleistungen? Darüber diskutiert gerade die Ampelkoalition. Es geht auch um die Frage, wem gegenüber sich die Parteien zu Respekt verpflichtet sehen.
Die Woche im politischen Berlin beginnt mal wieder mit einem Papier. Dieses Mal ist es zweieinhalb Seiten lang. Seit einiger Zeit heizen vor allem SPD und FDP mit diesen Schriftstücken die Diskussion an, welche gemeinsamen Pläne und Projekte die Ampelkoalition eigentlich noch hat.
Jüngstes Beispiel sind die "Fünf Punkte für eine generationengerechte Haushaltspolitik", die das Präsidium der FDP am Montag beschlossen hat. Die Liberalen pochen mit diesem Papier auf sparsame Haushaltsführung – und stellen damit auch Sozialleistungen in ihrer heutigen Form in Frage.
Die Rente mit 63 sowie das derzeitige Bürgergeld setzen nach Ansicht der Liberalen "Fehlanreize, die wir uns nicht leisten können". "Wir brauchen jetzt jeden und jede am Arbeitsmarkt, damit es in Deutschland für alle wieder aufwärtsgehen kann", heißt es im Papier.
Nötig sei eine "haushaltspolitische Wende", sagt FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Montag auf einer Pressekonferenz. Das Mantra der Liberalen: Investitionen und sozialpolitische Maßnahmen seien nur möglich, wenn die wirtschaftliche Grundlage gegeben sei.
Eine Frage des Respekts
Der Hintergrund: In der Regel können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter von 65 oder bald 67 Jahren in Rente gehen. Eine Ausnahme gilt allerdings für Menschen, die mindestens 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Diese können früher ohne Abschläge in Rente gehen. Diese "Altersrente für besonders langjährig Versicherte" wird umgangssprachlich Rente mit 63 genannt – auch wenn der Begriff eigentlich nicht mehr treffend ist, weil die Altersgrenze tendenziell auf 65 Jahre steigt.
Die SPD hat unter anderem auf der Rentenpolitik ihren Sieg bei der Bundestagswahl 2021 aufgebaut – und will an der Rente mit 63 auf keinen Fall rütteln. Es gehe dabei um Krankenschwestern oder Maurer, die 45 Jahre Beiträge gezahlt haben, sagt die SPD-Politikerin Katja Mast am Montagmorgen im Deutschlandfunk. "Die haben unseren Respekt verdient und deren Leistung wollen wir anerkennen."
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion verpasst dem liberalen Koalitionspartner im übertragenen Sinne einen Tritt vors Schienbein: "Es ist natürlich das gute Recht der FDP, den Facharbeiterinnen und Facharbeitern bei uns im Land zu sagen, dass sie keine Politik für sie macht", sagt Mast.
Auch die Grünen stellen sich hinter die bestehenden Regeln. "Eine stabile Rente ist wichtig für ältere Menschen in den kommenden Jahren und für künftige Generationen gleichermaßen. Und wer 45 Jahre hart gearbeitet hat, verdient Anerkennung und eine gute Rente", sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch unserer Redaktion.
Die FDP sieht die Sache erwartungsgemäß etwas anders. Den Liberalen gehe es auch um "Respekt vor den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlen in diesem Land", sagt Generalsekretär Djir-Sarai. Deren Geld sei "keine beliebige Verteilungsmasse". "Respekt vor der Lebensleistung der Menschen in diesem Land bedeutet auch, dass eine solide Finanzpolitik existiert", sagt Djir-Sarai.
FDP-Basis macht mobil gegen Rentenpaket II
In der Koalition ist in den vergangenen Wochen eine allgemeine rentenpolitische Diskussion ausgebrochen. Im März hatte der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister
Die Beschlüsse sorgten aber für große Unruhe der FDP. Die Jungen Liberalen forderten Nachbesserungen – das Rentenpaket II sei "so nicht verabschiedungswürdig", sagte die Vorsitzende Franziska Brandmann bei "Maybrit Illner". Die Jugendorganisation kritisiert eine zu starke Belastung der jüngeren Generation – und setzte sich auf dem FDP-Parteitag Ende April durch: Die Delegierten stimmten mehrheitlich für die Abschaffung der Rente mit 63.
Kurz darauf blockierte Lindner vorerst das Rentenpaket II in der Bundesregierung. Hintergrund ist offenbar auch die Diskussion um den Bundeshaushalt für 2025. Mehrere Ministerien wollen die Sparvorgaben des Finanzministers nicht akzeptieren. Lindner stoppte daraufhin die Verabschiedung des Rentenpakets im Kabinett. Seine Botschaft: Wenn alle mehr Geld wollen, muss eben bei der Rente gespart werden. Die staatlichen Zuschüsse zur Rentenversicherung machen rund 20 Prozent des Bundeshaushalts aus.
FDP-Generalsekretär Djir-Sarai warnt am Montag noch einmal, das Rentenpaket II könne zu "steigenden oder explodierenden Beiträgen" führen. Auf die Frage, ob das Paket an diesem Mittwoch vom Kabinett beschlossen wird, sagt er kurz und knapp: "Ich denke nicht."
Die Grünen halten sich in der Diskussion zwar eher zurück, dringen aber auf die Umsetzung des Rentenpakets II. "Es ist Zeit, dass SPD und FDP ihren Streit beilegen, dass wir das Gesetz bald im Bundestag beraten können", sagt Fraktionsvize Audretsch.
In welcher Form die FDP mit den Koalitionsparteien über das Thema sprechen will, verrät der Generalsekretär nicht. Allerdings drückt auch er aufs Tempo: "Wenn wir spätestens im nächsten Jahr den Wirtschaftsaufschwung haben wollen, dann müssen jetzt Maßnahmen erfolgen."
Eilig haben es also alle. Nur die Richtung ist umstritten. Die FDP will von ihrem Kurs jedenfalls nicht abweichen. "Wenn die FDP das nicht machen würde, würden sich die anderen nicht so sehr für die wirtschaftlichen Probleme des Landes interessieren", sagt der Generalsekretär am Montag selbstbewusst. Es wird bestimmt nicht die letzte Woche gewesen sein, die mit einem Papier beginnt.
Verwendete Quellen
- Pressekonferenz der FDP
- Stellungnahme von Andreas Audretsch
- deutschlandfunk.de: Rentenpolitik – Interview mit SPD-Politikerin Katja Mast
- deutsche-rentenversicherung.de: Altersrenten für langjährig und besonders langjährig Versicherte
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