Das Bürgergeld als "Verbrechen an unseren Kindern"? Bei "Markus Lanz" wetterte "Die Arche"-Gründer Bernd Siggelkow gegen die Sozialleistungen und sagte, dass dies zur Perspektivlosigkeit der Kinder im Land massiv beitrage. SPD-Mann Stephan Weil versuchte, das Bürgergeld zu verteidigen.
"Das Bürgergeld wird eine der größeren Sozialreformen seit 20 Jahren", versprach
Das ist das Thema bei "Markus Lanz"
Das Bürgergeld wurde in Deutschland trotz heftiger Kritik zum 1. Januar 2024 um gut zwölf Prozent erhöht - auf 563 Euro. Dabei handelt es sich prinzipiell um eine Grundsicherung für Personen, die wiederum für mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland sorgen soll. Eine Mehrheit von Jobcenter-Beschäftigten offenbarte jedoch in einer aktuellen Umfrage, dass sie das Bürgergeld für zu hoch empfinde.
Dies nahm Markus Lanz am Donnerstag zum Anlass, um über das Prestigeprojekt der SPD zu debattieren. Gleichzeitig analysierte Lanz die zunehmende Gewaltbereitschaft in Deutschland.
Das sind die Gäste
Stephan Weil , SPD-Politiker: "Das ist jetzt eine kleine Minderheit, die sich vorgenommen hat, die große Mehrheit einzuschüchtern."- Veronika Grimm, Ökonomin: "Die Boomer kündigen den Generationenvertrag, und die Bundesregierung hilft ihnen auch noch dabei."
- Bernd Siggelkow, Pastor und Gründer von "Die Arche": "Das Bürgergeld ist in Wahrheit ein Verbrechen an unseren Kindern."
- Ursula Weidenfeld, Journalistin: "Die Performance der Ampel ist schlecht."
Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"
Die brutale Attacke auf SPD-Politiker Matthias Ecke bezeichnete Parteikollege Stephan Weil erst kürzlich als "Anschlag auf unsere Demokratie". Bei "Markus Lanz" bezog er dazu Stellung und erklärte, dass "politisch motivierte Straftaten" gegen Politiker "deutlich mehr geworden" seien. Am meisten sorge er sich jedoch um den Effekt, den dies auf Ehrenamtliche habe, "denn deren Engagement brauchen wir für die Demokratie wirklich massiv".
SPD-Politiker Weil ergänzte nachdenklich: "Wenn Leute Angst haben, sich mit Politik zu befassen, sich zu zeigen, dann ist richtig was falsch gelaufen in unserer Demokratie." Markus Lanz wollte daraufhin wissen: "Wann hat das angefangen?" Stephan Weil erklärte, dass es dies "ein schleichender Prozess" sei, der vor allem in der Pandemie "eine deutliche Zuspitzung" erlebt habe. Dennoch stellte er in Bezug auf die Angriffe gegen Politiker wie Ecke oder Franziska Giffey klar: "Das ist jetzt eine kleine Minderheit, die sich vorgenommen hat, die große Mehrheit im Grunde genommen einzuschüchtern. Und sowas zuzulassen, das wäre tatsächlich eine echte Gefahr für die Demokratie."
Mit Blick auf die scheinbar höhere Gewaltbereitschaft im Land erklärte Bernd Siggelkow, der Gründer des Kinder- und Jugendwerks "Die Arche", dass er dieses Phänomen auch bei vielen Jugendlichen erlebe. "Die Aggression wird größer, das merken wir in unseren Einrichtungen natürlich auch. Es wird viel mehr gemobbt als früher. Es wird viel mehr geschlagen. Es wird viel mehr mit dem Messer rumgelaufen."
Dies liege jedoch nicht nur an der steigenden Anzahl von Flüchtlingen oder den Folgen der Corona-Pandemie, "sondern es liegt daran, dass junge Leute merken, wo ihre Perspektiven sind. Ich habe Kinder in der Einrichtung, die sind in der fünften Klasse, die wissen, was sie einmal werden: Bürgergeldbezieher." Harte Worte, die Lanz fassungslos machten: "Was ist das für eine Katastrophe!" Siggelkow ergänzte, dass die fehlenden Perspektiven für Jugendliche schlimme Auswirkungen haben: "Viel Gewalt, die heute passiert, ist ein Ventil, weil ein Vakuum entstanden ist."
Dies werde laut dem Pastor "so weitergehen, wenn man dem nicht einen Riegel vorsetzt und wenn man nicht anfängt, vielleicht auch wieder mehr Vorbilder ins System zu bringen". Siggelkow bemängelte weiter: "Unser Sozialstaat oder unser Sicherheitsstaat wird ja auch nicht mehr ernst genommen. Das hat auch viel mit fallender, verlorener Moral und Würde in einem Land zu tun."
Das ist das Rede-Duell des Abends
SPD-Poltitiker Stephan Weil versuchte bei "Markus Lanz", einen Grund für die fehlenden Perspektiven unter deutschen Jugendlichen zu finden und nannte dabei ein "echtes Schlüsselproblem" - nämlich, dass Lehrer heutzutage "nicht nur als Lehrer sich um guten Unterricht kümmern müssen, sondern um viel mehr Erziehung als früher". Weil betonte daher, dass deshalb der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule "ein wirklich wichtiges Thema" sei, da es "um viel mehr als um Betreuung", sondern auch um "mehr Zeit für Förderung und Erziehung" gehe.
Damit konnte Weil den "Arche"-Gründe Bernd Siggelkow jedoch nicht überzeugen. Er bemängelte, dass er in seinen Einrichtungen viele Flüchtlingskinder habe, die keinen Kitaplatz bekommen, "weil es nicht genug Kitas gibt". Zudem könnten es sich die Kitas laut Siggelkow nicht leisten, den Kindern die deutsche Sprache beizubringen: "Also weisen sie die Kinder ab." Das Fatale dabei: "Wenn die Kinder nicht in die Kita gehen, bekommen die Eltern gar keinen Deutschkurs bezahlt. Deswegen bieten wir jetzt als 'Arche' sogar einen Deutschkurs an für die Eltern. Es beißt sich wirklich die Katze in den Schwanz, und dann ist es doch kein Wunder, dass dann eine Frustration bei den Menschen ist."
Mit Blick auf die Politik redete sich Siggelkow weiter in Rage: "Wir geben so viel Geld für Bildung aus und trotzdem kommt das Geld beim Kind nicht an. (...) In Berlin haben wir Schulen, da möchte kein Erwachsener aufs Klo gehen, aber wir schicken die Kinder da hin! Wir haben Brennpunktschulen in dem Land der Dichter und Denker. Sowas dürfte es gar nicht geben! Wir verteilen die Kinder nicht auf verschiedene Schulen, sondern wir horten die Probleme an einem Ort und deswegen gelingt es uns nicht, die Kinder zu fördern!"
Harte Worte, die der Pastor noch untermauerte: "Wir haben jahrelang versäumt, Deutsch den Menschen zu vermitteln und zu sagen: Sprache ist Integration." Jetzt dürften sich Politiker wie Stephan Weil "nicht über die Entwicklung wundern". Hinzu komme, dass "unser Bildungssystem mittlerweile so marode" sei wie noch nie "seit der Gründung der Bundesrepublik". Ein weiterer Fehler der Politik? Siggelkow erklärte wütend, dass in Deutschland die Anreize zum Arbeiten fehlen.
Daher sei für ihn klar: "Das Bürgergeld ist in Wahrheit ein Verbrechen an unseren Kindern." Stephan Weil reagierte sichtlich überrumpelt und erklärte, dass Bürgerinnen und Bürger häufig "viel mehr vom Staat" erwarten würden, als er leisten könne "und entsprechend ist auch in vielen Fällen dann die Reaktion". Weil ergänzte: "Wir sind als Staat nicht in der Lage, all diese Erwartungen zu erfüllen."
Für Siggelkow reichte die Argumentation nicht aus und er wetterte weiter: "Es ist eine Straftat, was wir unseren Kindern zumuten." Darauf konterte der SPD-Politiker nüchtern: "Wenn wir den Mindestlohn mal auf eine einigermaßen angemessene Höhe bringen würden, dann würden sich viele Fragen ringsum die Sozialleistungen dann auch ganz anders stellen."
So hat sich Markus Lanz geschlagen
Markus Lanz gab vor allem "Arche"-Gründer Bernd Siggelkow sehr viel alleinige Redezeit und ließ ihn ohne Unterbrechung auflisten, wo die Fehler der Politik liegen. Dies hatte jedoch zur Folge, dass nur schwer ein Streitgespräch mit Stephan Weil aufkommen konnte.
Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"
Bei "Markus Lanz" sorgte der Blick auf den deutschen Sozialstaat für durchaus erhitzte Gemüter. Besonders "Arche"-Gründer Bernd Siggelkow zeigte sich erschüttert und erklärte, dass der Sozialstaat "zu viel" Geld an Stellen ausgebe, an denen es nichts bringe. Aus diesem Grund habe er mittlerweile rund 10.000 Kinder pro Tag, die "Die Arche" besuchen würden. "Es dürfte uns nicht geben, denn unser Erfolg ist der gesellschaftliche Misserfolg", resümierte der Pastor wütend. © 1&1 Mail & Media/teleschau
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