Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger verteidigte sich bei Sandra Maischberger mit der Teflon-Taktik gegen Vorwürfe, er habe verbal zu Angriffen auf Grünen-Politiker beigetragen. Ein prominenter Grüner wollte ihm das nicht durchgehen lassen - mit Erfolg?
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Das ist das Thema
Politische Radikalisierung in Deutschland, Wirtschaftsflaute und Energiewende in Deutschland: Sandra Maischberger sprach mit ihren Gästen wieder über die Themen der Woche. Besonders interessant war dieses Mal das Streitgespräch zwischen dem Grünen-Politiker Tarek Al-Wazir und dem bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger über die Gründe für die zuletzt gehäuften Angriffe auf Politiker und das gesellschaftliche Klima in Deutschland.
Das sind die Gäste
- Gerhart Baum: Der ehemalige FDP-Bundesinnenminister nannte es "erschreckend", dass die Bürgerinnen und Bürger zunehmend das Vertrauen in die Politik verlieren. Die Demokratie sei aber nicht nur durch die AfD gefährdet, sondern auch durch andere, die die Demokratie verachten, so Baum. "Wir müssen die Demokratie revitalisieren. Außenpolitisch warnte er vor einem weiteren Erstarken des Autoritarismus. "Putin und Xi greifen diese Weltordnung an", sagte er. "Es riecht nach Krieg, es riecht nach Auseinandersetzung." Europa müsse sich mehr einmischen, es "muss ein Player werden."
- Hubert Aiwanger: Der bayerische Wirtschaftsminister (Freie Wähler) verteidigte seinen Wandel vom Atomkraftgegner zum Unterstützer der Atomkraft. Er sei keiner, der sagt: "Atomkraft ist super. Aber ich bin Pragmatiker genug in dieser Situation", so Aiwanger, der sich über hohe Strompreise nach dem Ukraine-Krieg beklagte. "Man hat für die Wirtschaft sehenden Auges Schaden produziert." Schließlich beklagte der Minister, dass andere Länder wie Tschechien und Frankreich Deutschland teilweise Atomstrom liefern. "Wir haben die weiße Weste und die anderen sollen sich die Finger schmutzig machen."
- Tarek Al-Wazir: Der ehemalige Wirtschaftsminister Hessens (Grüne) betonte, dass alle Schreckensvoraussagen zum Ende der Atomkraft in Deutschland nicht eingetreten seien. Er sprach von so wenig Braunkohleverstromung wie seit den 60er Jahren nicht mehr und inzwischen wieder gesunkenen Strompreisen. Stattdessen übte Al-Wazir scharfe Kritik an Bayern für den fehlenden Ausbau von Stromtrassen, um den billigen Strom der Erneuerbaren aus Norddeutschland in den Süden leiten zu können. "Wir werfen jedes Jahr für drei Milliarden Euro Strom weg, weil wir nicht genug Leitungen in den Süden haben." Zudem blockiere Bayern seit zehn Jahren den Ausbau der Windkraft in Bayern.
- Béla Réthy: Der Sportjournalist störte sich überraschenderweise gar nicht am Dauerzoff in der Ampel. Reibung gehöre für ihn dazu und könnte sogar etwas Positives bewirken. Trotzdem stellte Réthy fest: "Wir haben zeitweise eine Opposition in der eigenen Regierung." Gemeint war die FDP, deren Festhalten an der Schuldenbremse er ein "Dogma" nannte. Ein Dogma, das angepasst werden sollte, um der Wirtschaft auf die Beine zu helfen. Leitkultur, ein Begriff, mit dem sich zuletzt die CDU vermehrt beschäftigte, ist für Réthy ein Kampfbegriff "um zu spalten".
- Yasmine M'Barek: Die Journalistin von "Zeit Online" glaubt, dass die Ampel bis zum Ende durchhält und hofft auf eine künftige Reform der Schuldenbremse. Die Atomkraft hat ihrer Prognose zufolge in Deutschland keine Zukunft mehr. Nur unter "irgendeiner komischen Regierung" könnte sie vielleicht neu aufgelegt werden. Der Begriff Leitkultur ist ihrer Meinung nach in der CDU/CSU nicht so gut aufgehoben. Denn in der Union wird er teilweise benutzt, um Stimmung gegen Muslime und Migranten zu machen, so M'Bareks Vorwurf.
- Dagmar Rosenfeld: Die Journalistin der "Welt am Sonntag" warf die Frage nach den "Führungsqualitäten von Olaf Scholz" auf, weil einige SPD-Ministerien ihre Budgets vor den anstehenden Haushaltsverhandlungen nicht einhalten würden. Sie prophezeite "sehr sehr harte Verhandlungen" um den nächsten Bundesetat. Das Ende der Schuldenbremse wäre für sie eine ganz schlechte Idee. "450 Milliarden Steuereinnahmen sind genug Spielraum, um zu gestalten." Schließlich prognostizierte Rosenfeld nach dem CDU-Parteitag: "
Friedrich Merz – Stand heute – wird Kanzlerkandidat der CDU/CSU werden."
Das ist der Moment des Abends
Die Diskussion um die Erneuerbaren zwischen Al-Wazir und Aiwanger war beendet, als der Grüne zu einem entscheidenden Schlag gegen den bayerischen Wirtschaftsminister ausholte.
"Warum hat sich denn die Batteriefabrik in Heide in Schleswig-Holstein angesiedelt und nicht in Burghausen, wo Sie Ihren Windkraft-Entscheid verloren haben?", fragte Al-Wazir – und gab die Antwort selbst. "Weil Sie die Leute erst auf den Baum getrieben haben und sie jetzt nicht mehr runterkriegen. Und genau das ist Ihr Problem!" Und was sagte Aiwanger zu diesem Vorwurf? Nichts. Er flüchtete sich in Gelächter.
Das ist das Rededuell des Abends
Als die Angriffe auf Politiker zur Sprache kamen, warf Al-Wazir Aiwanger dessen Satz "Die schweigende Mehrheit soll sich die Demokratie zurückholen" vor. "Den sollten sie ein Jahr später eigentlich mal zurücknehmen, Herr Aiwanger!", forderte der Grüne. "Weil Leute das zum Anlass nehmen, zu sagen: 'Das nehme ich jetzt in die eigene Hand. Wir leben in einer Art Diktatur'".
Doch Aiwanger nahm gar nichts zurück. Er beklagte zwar auch eine Polarisierung in der Gesellschaft. Für die sind in seinen Augen aber extrem linke und extrem rechte Ränder verantwortlich – und natürlich die Grünen selbst durch ihre schlechte Politik, siehe Heizungsgesetz. Aiwanger kritisierte die "Sündenbocksuche", wonach er für Angriffe auf Grüne mitverantwortlich sein soll. "Es werden ja alle möglichen Parteien angegriffen", sagte Aiwanger, auch die AfD. "Soll da auch der Aiwanger Schuld sein?"
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Al-Wazir blieb hartnäckig. Wie geht man mit diesen extremen Strömungen in der Gesellschaft um, sagte er zu Aiwanger. "Heizt man die an oder kocht man die runter? Da muss man immer überlegen, welche Worte man wählt." Eine Kritik, die an Aiwanger komplett abperlte - die Teflon-Taktik.
Stattdessen kam er mit jahrzehntealten Vorwürfen an die Grünen um die Ecke. Etwa, dass deren Ex-Außenminister Joschka Fischer Steine auf Polizisten geworfen hatte. Das war in den 70er Jahren. "Die Grünen heizen an, seit Jahrzehnten", schimpfte Aiwanger, der die Partei in einem späteren Satz mit "anderen Extremisten" in einem Atemzug nannte: Islamisten, Rechtsradikale, Linksradikale. Das offenbarte ein Weltbild, in dem die Ökopartei für Aiwanger eine Art Feindbild zu sein scheint.
So hat sich Sandra Maischberger geschlagen
Als Hubert Aiwanger von der Geschichte des politischen Extremismus in Deutschland sprach, nannte er die linksterroristische RAF und die Antifa, vergaß aber – Zufall oder nicht – den Rechtsterrorismus des NSU. Da hätte die Gastgeberin einhaken können oder gar müssen.
Einige nette Anekdoten packte die Gastgeberin im Interview mit Gerhart Baum aus. Ob es bei ihm Zuhause immer noch die Lindner-Suppe gebe, wollte sie wissen. "Die gibt's immer noch, auch wenn er nicht kommt", sagte Baum. Und ob es stimme, dass er sich im Streit mit seiner Frau wie ein Politiker immer die größte Schwachstelle herauspicke und darauf herumhacke: "Das stimmt." Aber er versuche, sich das abzutrainieren. Mit 91 Jahren immer noch Beziehungsarbeit – Respekt.
Das ist das Fazit
Eine thematisch, wie bei Maischberger üblich, abwechslungsreiche Sendung, in der ein oder zwei Themen weniger für die TV-Zuschauer leichter verdaulich wären. So halten sich dann auch die Erkenntnisse bei diesem Ritt durchs Wochengeschehen in Grenzen. Dass Friedrich Merz der künftige Kanzlerkandidat der Union wird, daran herrschte in der Runde kein Zweifel mehr. Dass die Ampel bis zum Ende der Wahlperiode weitermacht, auch darüber gab es keine Streitigkeiten.
Dass Hubert Aiwanger einer der größten "Grünen-Fresser" des Landes ist, das hatte nach der Sendung auch der letzte Zuschauer mitbekommen. Gewalt gegen politische Repräsentanten verurteilten er und Al-Wazir, den er persönlich sehr schätzt, zwar beide. Was das verbale Zündeln betrifft, so ist das Problembewusstsein beim bayerischen Wirtschaftsminister aber nicht sonderlich stark ausgeprägt. So wollte er auch "kein Gelübde" ablegen, sich künftig gegenüber den Grünen zu mäßigen. Könnte ja Wählerstimmen kosten.
So brauchte es in der Sendung den 91 Jahre alten FDP-Veteranen Gerhart Baum, um über den Tellerrand hinauszublicken und den TV-Zuschauern zumindest mit ein klein wenig Zuversicht in die Nacht zu entlassen. Ob Deutschland es schafft, die inneren und äußeren Bedrohungen zu überstehen?
"Wir haben die Kraft, das zu schaffen. Wir haben so viel geschafft", sagte Baum, der am Ende des Zweiten Weltkriegs 12 Jahre alt war. "Wir müssen den jungen Leuten auch die Hoffnung machen, dass wir es schaffen." Endlich sagt es mal einer.
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