Die Linke sieht Aufrüstung und Waffenexporte traditionell kritisch. Auch Parteichef Jan van Aken hält von Waffenlieferungen wenig – unterstützen will er die Ukraine dennoch.

Ein Interview

Zwischen Waffenlieferungen und nichts tun liegt ein weites Feld, das zumindest erklärt der Vorsitzende der Linkspartei, Jan van Aken, regelmäßig. In dieser Woche wurde das Milliarden-Sondervermögen für Verteidigung und Sicherheitsarchitektur im Bundestag verabschiedet – ohne die Stimmen der Linken. Auch ein Milliarden-Paket für die Ukraine ging mittlerweile durch den Haushaltsausschuss.

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Obwohl die Partei anders als das Bündnis Sahra Wagenknecht den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den Kreml klar als Aggressor benennt, wollen die Genossen Vokabeln wie "Kriegsfähigkeit" nicht hören. Jan van Aken hat andere Ideen für Frieden in der Ukraine.

Frische Milliarden für die Bundeswehr, was macht das mit Ihnen, Herr van Aken?

Jan van Aken: Ich habe ein ganz anderes Problem als die frischen Milliarden für die Bundeswehr: Es hätte die Gelegenheit gegeben, die Schuldenbremse grundlegend zu reformieren. Diese Chance ist vertan. Da ärgere ich mich über die Grünen, gemeinsam hätten wir das erreichen können.

Wie meinen Sie das?

Merz hat jetzt, was er wollte: eine Ausnahme der Schuldenbremse für Aufrüstung. Jetzt hat er gar keinen Druck mehr, ernsthaft über eine weitergehende Reform zu verhandeln – die wir ja unbedingt brauchen. Die Grünen haben diesen Trumpf aus der Hand gegeben.

Für die Ukraine und die deutsche Sicherheitsarchitektur hätten lange Verhandlungen finanzielle Unsicherheit bedeutet.

Diese Aufrüstung hat mit der Ukraine nichts zu tun. Schon beim ersten 100-Milliarden-Sondervermögen ist kein Cent in die Ukraine geflossen, sondern ausschließlich in die Bundeswehr.

Sie sprechen im Zusammenhang mit der Ukraine immer wieder vom Weg der Diplomatie. Donald Trump hat Wladimir Putin zurück an den Verhandlungstisch geholt. Doch der ist an einem Waffenstillstand offensichtlich nicht interessiert.

Was Donald Trump da macht, würde ich nicht Diplomatie nennen. Das sieht für mich eher nach einem Deal zweier Autokraten aus – jeder bekommt seinen Hinterhof. Putin die Ukraine, Trump Panama und Grönland.

Was stellen Sie sich stattdessen vor?

Zwei Schritte: Erst muss der Kreml an den Verhandlungstisch kommen – und zwar für echte Verhandlungen. Dafür braucht es China. Wir kennen das aus anderen Konflikten. Der starke Verbündete hat diesen Einfluss auf kriegsführende Parteien.

Und der zweite Schritt?

Um den Kreml zu Zugeständnissen zu bringen, braucht es Druck. In den vergangenen Jahren wurden viele Chancen verschenkt. Wir brauchen auch heute noch Sanktionen, die ökonomischen Druck auf den Kreml ausüben. Ich halte Öl nach wie vor für einen wichtigen Hebel. Die Öleinnahmen gehen direkt in die Staatskasse und finanzieren den Krieg unmittelbar mit. Bis heute fahren Schattentanker vor unseren Küsten.

Sie meinen die alten, schlecht gewarteten Tanker, die Russland nutzt, um Sanktionen zu umgehen. Wie könnte man dem beikommen?

Man muss sich das mal vorstellen: Das russische Öl wird über die Ostsee bis nach Indien gefahren, dort raffiniert und dann kommt es zurück nach Deutschland. Man könnte die Schattentanker, einen nach dem anderen, an die Kette legen. Und man kann die Transportkosten so in die Höhe treiben, dass der Kreml keinen Gewinn mehr aus diesem Konzept ziehen kann. Gestern wurde endlich mal einer dieser Tanker mit russischem Öl vom deutschen Zoll an die Kette gelegt. Es geht also – warum nicht früher? Es stellt sich aber auch die Frage: Gibt es nach den Interventionen von Trump überhaupt noch eine Möglichkeit für Verhandlungen?

Können Sie diesen Gedanken ausführen?

China kann den Kreml zwar immer noch an den Verhandlungstisch holen – aber nachdem Putin gesehen hat, dass die USA bereit sind, ihm alles zu geben, werden Verhandlungen definitiv schwieriger.

Glauben Sie nicht mehr an den Frieden durch Diplomatie?

Natürlich kann es den noch geben. Aber wenn der Druckpunkt geringer wird, wird es weniger Zugeständnisse aus dem Kreml geben. Das heißt, am Ende müsste die Ukraine mehr abgeben – und es ist die Frage, ob die Bevölkerung da zustimmt. Wenn die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht zustimmen, kann es keinen dauerhaften Frieden geben.

Was ist aus Ihrer Sicht die Alternative? Sie und Ihre Partei stellen sich weiterhin gegen Waffenlieferungen.

Nach drei Jahren Waffenlieferungen sehen wir doch, die haben uns keinen Millimeter näher an Verhandlungen gebracht. Mein Vorschlag bleibt die Einbeziehung von China. Wenn das nicht klappt, dann wird es richtig schwierig. Waffenlieferungen schaffen keine Verhandlungen.

"Mein Pazifismus heißt Primat des Zivilen – zivile Lösungen haben Vorrang. Und sie sind sehr oft auch effektiver."

Jan van Aken

Sie bringen die Ukraine in eine stärkere Position als ohne diese Lieferungen. Ohne Waffen wäre die Ukraine heute bereits überrannt.

Nur, wenn man sonst nichts getan hätte. In der militärischen Logik haben Sie recht. Aber außerhalb dieser Logik gibt es eben die Möglichkeit, anders zu helfen.

Die Linke versteht sich als Partei der internationalen Solidarität. Muss man als solche ein angegriffenes Land nicht so unterstützen, damit es sich selbst verteidigen kann?

Absolut. Das habe ich damals bei den Kurden gesagt und das sage ich heute bei der Ukraine: Natürlich habt ihr das Recht auf Selbstverteidigung und wenn ihr euch dafür entscheidet, euch mit der Waffe zu verteidigen, dann ist das völlig legitim. Und wir werden euch unterstützen. Aber das denken wir nicht militärisch. Ich stelle immer die Frage, was die deutsche Bundesregierung tun kann, um sie am effektivsten zu unterstützen. Die Antwort darauf ist nicht automatisch, Waffen zu liefern. Mein Pazifismus heißt Primat des Zivilen – zivile Lösungen haben Vorrang. Und sie sind sehr oft auch effektiver.

Wir haben bereits die Zusatz-Milliarden für die Verteidigung angesprochen. Die Lage der Bundeswehr ist prekär: Waffen, die nicht funktionieren, marode Kasernen, unzureichende Ausstattung.

Wer behauptet das?

Unter anderen die Wehrbeauftragte Eva Högl.

Wenn ich Wehrbeauftragte bin, wenn ich NATO-Generalsekretär bin, wenn ich Militär bin, ist es mein Job, nach mehr Geld zu rufen. Natürlich gibt es Schimmel in Kasernen, es gibt auch Schimmel in ganz vielen normalen Wohnungen. Dann muss man das eben reparieren. Dafür haben wir einen Verteidigungshaushalt.

Die Sondertöpfe wurden beschlossen, weil es in Sachen Verteidigung und bei der Infrastruktur Investitionsstau gibt.

Es gibt an ganz vielen Stellen einen Investitionsstau bei der Infrastruktur, weil die Politik den Staat immer weiter ausgedünnt hat. Bei der Bundeswehr ist das Gegenteil passiert. 2017, als ich das letzte Mal Mitglied des Bundestags war, lag der Verteidigungshaushalt bei 32 Milliarden Euro. Mittlerweile sind es knapp 52 Milliarden Euro. Und niemand beantwortet die Frage, wofür das Geld gebraucht wird.

Nämlich?

Wenn wir Patriot-Raketen brauchen, um unsere Städte zu schützen, warum kaufen wir sie nicht? Das Geld ist doch da. Die Bedrohung durch Russland ist real. Deshalb müssen wir unsere Verteidigungsfähigkeit ausbauen und unsere Armee so aufstellen, dass sie uns gut verteidigen kann – und nicht Geld für milliardenschwere Auslandsprojekte ausgeben. Russland wird als Entschuldigung genommen, um die Bundeswehr für globale Einsätze auszurüsten.

Stand August 2024 waren 2.000 Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz.

Aber die Truppe ist auf solche Einsätze eingestellt. Ein Beispiel sind die Fregatten F-125. Die sind so konzipiert worden, dass sie überall auf der Welt eingesetzt werden können. Die müssen ein ganzes Jahr lang keinen Hafen anlaufen. Das brauche ich auf der Ostsee nicht – aber sie haben Milliarden gekostet.

Sie haben angekündigt, Ihre Fraktion wolle die schwarz-rote Koalition in den nächsten vier Jahren "nerven". Womit kann Merz rechnen?

Millionen von Menschen in Deutschland sind verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Das ist gefährlich. Der innere Zusammenhalt unserer Gesellschaft wird beschädigt. Darum mache ich mir Sorgen. Ich garantiere: Die Linke wird bei Protesten gegen Sozialabbau mittendrin sein.

Über den Gesprächspartner

  • Jan Paul van Aken ist 1961 im schleswig-holsteinischen Reinbek geboren. Seit Herbst 2024 ist er Co-Vorsitzender der Linkspartei und wurde bei der Wahl im Februar 2025 als Spitzenkandidat seiner Partei in den Bundestag gewählt. Van Aken gehörte dem Parlament bereits 2009-2017 an. Zuvor war der promovierte Biologe als Biowaffeninspekteur für die UN tätig. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 2017 arbeitete van Aken für verschiedene internationale Organisationen und wurde 2022 Referent für internationale Konflikte bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.