Bei der Bundestagswahl fuhr die SPD ein historisch schlechtes Ergebnis ein. Die Botschaft danach: So kann es nicht weitergehen. Auch personell wollte man sich neu aufstellen. Doch davon ist bislang nicht viel zu spüren. Einigen in der Partei geht die Erneuerung zu langsam – aber das hat Gründe.
Fast einen Monat ist die Bundestagswahl her. Theoretisch genug Zeit für die SPD, um ein erstes Resümee ihrer historischen Wahlschlappe zu ziehen – und daraus Schlüsse abzuleiten. Doch vorangekommen sind die Sozialdemokraten, mit Blick auf die Zukunft der Partei, nicht wirklich.
Zwar deutet alles darauf hin, dass die SPD als Juniorpartner der Union die nächste Regierung stellen wird. Doch die inhaltliche und personelle Neuaufstellung, die Parteichef
Man wolle "den Wiederaufbau der SPD als Volkspartei", hatte Klingbeil im Willy-Brandt-Haus verkündet. Dazu müsse "der Generationswechsel in der SPD eingeleitet werden". Doch bislang ist eher das Gegenteil passiert. So wurde Klingbeil nach oben befördert und übernahm auch noch den Fraktionsvorsitz. Ein ähnliches Bild bei der Co-Vorsitzenden
Zwar betonte Esken zuletzt, dass auch sie von personellen Veränderungen in der Parteiführung ausgehe. Doch aus ihrer Sicht werde man auf diese noch eine Weile warten müssen. Gegenüber dem ZDF-"Morgenmagazin" verwies sie auf den vorgezogenen SPD-Parteitag im Sommer, bei dem man das Wahlergebnis analysieren wolle. "Da werden auch personelle Konsequenzen notwendig sein. Das werden wir als Team entscheiden", so Esken weiter.
Knackpunkt Koalitionsverhandlungen
Dass sich das Personalkarussell innerhalb der SPD noch nicht gedreht hat, dürfte vor allem an den Verhandlungen mit der Union liegen. Schon am Montag nach der Bundestagswahl hatte Klingbeil etwa gesagt, man müsse jetzt "schnell handlungsfähig und entscheidungsfähig" werden. Ein Satz, den man in verschiedenen Variationen zuletzt immer wieder aus der SPD hörte.
Oder mit anderen Worten ausgedrückt: Die SPD muss so aufgestellt sein, dass man die Gespräche mit der Union möglichst schnell und geordnet über die Bühne bringen kann. Denn angesichts der wirtschaftlichen Lage und der außenpolitischen Herausforderungen, will niemand in Berlin derzeit, dass sich die Regierungsbildung unnötig in die Länge zieht. Genau das könnte aber passieren, würden die Sozialdemokraten an den Stühlen ihres Spitzenpersonals sägen. Auch, weil bislang nicht klar ist, für wen aus der SPD es künftig überhaupt noch solch einen Stuhl geben wird. Denn noch ist unklar, wie sich die voraussichtlich schwarz-rote Regierung aufstellt und welche Partei welche Ministerien erhält.
Berichten zufolge soll die CSU bereits Anspruch auf das in den vergangenen Jahren deutlich wichtiger gewordene Ministerium erhoben haben. Generell dürfte die Union auch Interesse daran haben, Pistorius auszuwechseln. Denn sollten seine Beliebtheitswerte in dem Amt weiterhin auf diesem Niveau bleiben, wäre er als Kanzlerkandidat der SPD bei der nächsten Wahl eine Gefahr.
Das Niedersachsen-Dilemma
Dazu kommt: Pistorius stammt aus Niedersachsen. Ebenso wie Parteichef Lars Klingbeil und der amtierende Arbeitsminister
Doch Klingbeil und Pistorius gelten als Hoffnungsträger der SPD. Und Heil ist ein erfahrener Minister, der sich um die Partei verdient gemacht hat und geräuschlos arbeitet. Wen von ihnen soll man also aufs Abstellgleis verfrachten?
Natürlich könnte die SPD auch bei Matthias Miersch ansetzen – ebenfalls Niedersachse. Als Generalsekretär ist er verantwortlich für den Wahlkampf. "Wenn es schiefgeht, muss ich den Kopf hinhalten", sagte Miersch im Dezember dem "Spiegel".
Schiefgegangen ist der Wahlkampf. Doch Miersch abzusägen, käme einem Bauernopfer gleich. Das weiß man auch innerhalb der SPD. Schließlich hat er das Amt erst knapp einen Monat vor dem Ampel-Aus übernommen. Genau genommen ist er noch nicht einmal offiziell im Amt, sondern erfüllt die Rolle kommissarisch. Gewählt werden soll er auf dem nächsten regulären Parteitag.
Hinzu kommt: Um als Symbol für die Erneuerung der SPD geschasst werden zu können, ist Miersch noch immer zu unbekannt.
Drängen auf Erneuerung – Druck auf Esken wächst
Es gibt also gute Gründe für die SPD, nicht vorschnell ihr Personal auszutauschen. Doch innerhalb der Partei wollen einige wohl nicht mehr so lange auf den Startschuss für die Erneuerung warten.
Zwar gehe es jetzt "erst mal darum, möglichst schnell eine stabile und dauerhaft gut arbeitende Bundesregierung zu bilden", sagte etwa der brandenburgische Ministerpräsident
Woidke, der bei der Landtagswahl in seinem Bundesland 2024 einen wichtigen Sieg für die SPD holte, machte zugleich Druck, diese Neuaufstellung nicht weiter aufzuschieben. Parallel zu den Verhandlungen mit der Union müsse "ein Prozess der Erneuerung beginnen, der die SPD in die Lage versetzt, bei den hart arbeitenden Menschen in diesem Land wieder stärker an Gewicht zu gewinnen".
Der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung benennt derweil ganz konkret, wo er ansetzen würde. "Für die Genossin Esken sehe ich eigentlich keine weiteren Aufgaben in der Parteiführung, die letztlich für die SPD auch Fortschritt und Mehrwert bringen könnte", sagte er dem "Tagesspiegel". Stattdessen solle Klingbeil die Sozialdemokraten allein, als starker Mann an der Spitze, führen. Dieser sei "ein Hoffnungsträger für die Zukunft der SPD".
Auch die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Dagmar Freitag forderte einen Rückzug Eskens von der Parteispitze. Dass Esken als langjährige Parteivorsitzende nur 12,9 Prozent der Erststimmen in ihrem Wahlkreis geholt habe, spreche dafür, dass sie "erkennbar keine Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern" habe. "Daher wäre es im Interesse der SPD wünschenswert, wenn Saskia Esken zeitnah selbst zu dieser Erkenntnis kommen und von sich aus zurücktreten würde."
Zum Vergleich: Lars Klingbeil holte mit 42,1 Prozent das beste Erststimmenergebnis innerhalb der SPD bei der Bundestagswahl.
Als Team verlieren – doch nur eine zahlt die Zeche?
Zwar steht Esken innerhalb der SPD schon länger in der Kritik. Wie der "Spiegel" berichtet, warfen ihr Genossinnen und Genossen nach den Wahlschlappen in Thüringen und Sachsen etwa vor, sie wirke in der Öffentlichkeit "weltfremd" sowie "ideologisch getrieben und unbelehrbar". Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter sagte im vergangenen September: "Saskia Esken mag Verdienste in der Vergangenheit haben, aber ihre skurrilen Auftritte häufen sich."
Auch dass sie eigentlich nicht noch mal für den Bundestag kandidieren wollte, dann aber doch umschwenkte, sorgte für Frust in der Partei. Dass nun Esken allein den Kopf für die Wahlschlappe hinhalten soll, ist deshalb aber noch lange nicht für jeden in der SPD nachvollziehbar.
"Die Doppelspitze, der Kanzler und der Parteivorstand hatten den Auftrag, den Wahlkampf zu planen und zu leiten. Als Team", so Maria Noichl, Co-Vorsitzende der SPD-Frauen. Der Misserfolg könne deshalb "niemals an einer Frau festgemacht werden". Es gelte der Grundsatz, dass man zusammen gewinne und auch zusammen verliere.
Doch bei seiner Wahl zum Fraktionsvorsitz erhielt Klingbeil kurz nach dem Bundestagsdebakel trotzdem 85,6 Prozent der Stimmen. Kaum vorstellbar, dass seine Partei ihm erst den Rücken stärkt und ihn dann, sobald der Koalitionsvertrag mit der Union zustande gekommen ist, absägt.
Vielleicht muss am Ende weder Esken noch Klingbeil die Rechnung für den Abstieg der Partei begleichen. Dann dürfte die SPD als Ganzes aber auf jeden Fall deutlich draufzahlen.
Verwendete Quellen:
- Deutsche Presse-Agentur
- FAZ.net: Genossen werfen Esken Wortbruch vor
- Handelsblatt (hinter einer Bezahlschranke): Dietmar Woidke: "Ein Scheitern des Finanzpakets darf es nicht geben"
- Spiegel.de (hinter einer Bezahlschranke): Matthias Miersch: Der Mann, der das Scholz-Wunder schaffen soll
- Spiegel.de (hinter einer Bezahlschranke): SPD in der Krise: Genossen schieben Frust – und sehen die Schuld bei Saskia Esken
- Tagesschau.de: Zahlen zur Bundestagswahl: Historisches, Triumphe – und Pleiten
- Tagesspiegel.de (hinter einer Bezahlschranke): Der nimmermüde Herr Heil: Was wird aus dem Arbeitsminister?
- Tagesspiegel.de: Kritik in SPD an Parteispitze: "Für Genossin Esken sehe ich keine Aufgabe"
- Zeit.de (hinter einer Bezahlschranke): SPD nach Scholz: Es wird ein Niedersachse. Aber welcher?