Die Grünen zeigen sich besorgt über zunehmende öffentliche Anfeindungen ihrer Partei. Wegen massiver Proteste hatten sie in Baden-Württemberg ihre Veranstaltung zum politischen Aschermittwoch abgesagt. Nun kam es erneut zu einem Vorfall.

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Dutzende Störer haben nach einer Veranstaltung zum politischen Aschermittwoch in Schorndorf die Abreise der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang behindert. Einem dpa-Reporter zufolge wurde die Politikerin am späten Mittwochabend ausgepfiffen und unter anderem mit "Hau ab"- und "Pfui"-Rufen belegt. Sie musste auch härtere Beschimpfungen ertragen. Die Störer verfolgten Lang und ihre Personenschützer rund 50 Meter weit, bis sie von Polizisten gestoppt wurden.

Bereits zuvor war die Stimmung in der Stadt östlich von Stuttgart angespannt. Mehrere Landwirte hatten in der Nähe des Veranstaltungsorts mit Traktoren demonstriert. Einer von ihnen sprach später auch auf der Grünen-Veranstaltung. Vor der Halle, in der der politische Aschermittwoch des Kreisverbandes Rems-Murr stattfand, warteten nach Veranstaltungsende einem Polizeisprecher zufolge etwa 90 bis 100 Menschen.

Auch eine Kreuzung in der Nähe wurde unter anderem mit Lastwagen blockiert. Die Polizei ging in der Spitze von 30 bis 35 Fahrzeugen aus. Die Proteste hätten als eine spontane Demonstration begonnen und seien danach vor Ort angemeldet worden, sagte der Polizeisprecher in der Nacht zum Donnerstag. Weitere Einzelheiten waren zunächst nicht bekannt.

"Das ist ein Zustand, an den wir uns in einer Demokratie niemals gewöhnen dürfen."

Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang

Grüne hatten zuvor politischen Aschermittwoch in Biberach abgesagt

Die Grünen hatten zuvor ihre Veranstaltung zum politischen Aschermittwoch im baden-württembergischen Biberach aus Sicherheitsgründen abgesagt. Dem Schritt waren massive Proteste und Blockaden unter anderem von Landwirten vorausgegangen. Der Landesbauernverband in Baden-Württemberg hat nach eigener Auskunft nicht zu den Protesten aufgerufen oder diese davor unterstützt.

Bei den Vorfällen kam es nach Angaben der Polizei zu aggressivem Verhalten, Polizisten wurden verletzt. Beamte setzten Pfefferspray und Schlagstöcke ein. An der traditionellen Veranstaltung wollten neben Lang auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Jürgen Trittin teilnehmen.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte mit Blick auf das Geschehen in Biberach ein Verbot von Traktoren bei Demonstrationen. "Die Versammlungsbehörden und die Polizei müssen umgehend reagieren und Traktoren bei Versammlungen untersagen", sagte der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke der "Rheinischen Post". Er verwies auf die "Gefährlichkeit von Traktoren und Zugmaschinen" und forderte "mehr Hundertschaften und Wasserwerfer, um den Rechtsstaat durchzusetzen".

"Ich finde es wirklich absurd, dass wir in einer freien Demokratie leben und es nicht möglich ist, dass man in einen demokratischen Diskurs geht."

Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne)

Lang kritisiert Vorfälle: "Es ist nicht normal"

Grünen-Chefin Ricarda Lang hatte in Schorndorf auch die Absage zum Thema gemacht – und die Vorfälle kritisiert: "Eigentlich ist es nicht normal, dass politische Veranstaltungen nur mit einem großen Polizeiaufgebot überhaupt stattfinden können. Es ist nicht normal, dass die Scheiben von Dienstwagen eingeschlagen werden", sagte sie.

Es sei zudem nicht normal, dass politische Veranstaltungen wegen mangelnder Sicherheit abgesagt werden müssten. "Das ist ein Zustand, an den wir uns in einer Demokratie niemals gewöhnen dürfen", sagte sie. Wer demokratischen Austausch als solchen verhindere, der schädige die Demokratie.

Lang hatte bereits kurz nach der Absage in Biberach vor Gewalt gewarnt: "Wer gewalttätig wird, verlässt den Rahmen des demokratischen Diskurses", erklärte sie. Auch weitere Spitzenpolitiker unterschiedlicher Couleur hatten die Vorfälle in Biberach kritisiert.

Grünen-Chef Nouripour zu Störern: "Angst ist keine Option"

Grünen-Chef Omid Nouripour stellte klar, dass sich seine Partei von Störern bei politischen Veranstaltungen nicht einschüchtern lassen werde. "Angst ist keine Option", sagte er am Donnerstag in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. Die Leute, die gegen Parteiveranstaltungen vorgingen, hätten die Einschüchterung der anwesenden Politiker als Ziel. "Und wir werden uns nicht einschüchtern lassen", betonte Nouripour. "Wir werden nicht weichen."

Nouripour zeigte zwar Verständnis für die Anliegen vieler friedlicher Demonstranten. Er betonte aber, dass diese Anliegen durch die Anwendung von Gewalt beschädigt würden. Deshalb sage er all den Leuten, die über solche Methoden auch nur nachdenken würden: "Ihr zerstört einfach euer gesamtes Anliegen, ihr zerstört eure Legitimität und ihr zerstört den Diskurs."

Eine grundsätzliche Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen bei Parteiveranstaltungen gerade mit Blick auf die anstehenden Wahlkämpfe hält Nouripour nicht für nötig. Wie bisher werde man jeweils die Sicherheitslage prüfen und je nach Situation entscheiden, ob Maßnahmen ergriffen werden müssten. "Wir schauen uns jeden Einzelfall an und sind auch immer wieder mit Sicherheitsbehörden in Kontakt und (im) Gespräch. Und die Maßnahmen, die notwendig sind, werden ergriffen."

Nouripour: Grünen sind "nicht die Einzigen, die gerade rauen Wind erleben"

Der Grünen-Chef betonte auch, dass die Störer nicht nur ein Problem seiner Partei seien. "Wenn unsere Veranstaltungen nicht stattfinden können, dann ist das ein Problem der demokratischen Parteien an und für sich. Und wenn es der SPD passiert, dann ist es genauso auch unser Problem." Das gelte auch für CDU, CSU oder FDP. "Wir sind nicht die Einzigen, die gerade rauen Wind erleben. Wir haben einfach insgesamt eine Atmosphäre, die angespannt ist."

Nouripour rief dazu auf, die Schärfe aus politischen Auseinandersetzungen zu nehmen. Als negatives Beispiel nannte er den Angriff des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder auf die Grünen-Umweltministerin Steffi Lemke. Der CSU-Chef hatte die aus Ostdeutschland stammende Lemke mit der verstorbenen Ehefrau des ehemaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker verglichen. Lemke sei ein Musterbeispiel für den Versuch der Grünen, die Freiheit der Fleißigen durch immer neue Auflagen einzuschränken, als "grüne Margot Honecker", sagte er.

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Nouripour hielt Söder entgegen, dass dies auch "eine Verhöhnung und eine Verharmlosung des Unrechts in der DDR" sei. Es sei jedenfalls kein Beitrag dazu, dass die politische Kultur in diesem Land besser werde. Dem bayerischen Ministerpräsidenten versprach er: "Sollte Markus Söder irgendwo angefeindet werden, bedroht werden, eine Veranstaltung von ihm kann nicht stattfinden, sind wir die ersten, die aufstehen werden und sagen werden: Das ist indiskutabel."

Katrin Göring-Eckardt: Gespräche zu verhindern, ist "absolutes Armutszeugnis"

Auch weitere Politikerinnen und Politiker der Grünen zeigten sich besorgt über die zunehmenden öffentlichen Anfeindungen gegen ihre Partei. "Demokratischer Diskurs macht uns aus – nicht das Verhindern von Gesprächen, nicht das Beschimpfen und nicht das Überschreiten von Grenzen", sagte Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt am Donnerstag im Deutschlandfunk.

Die Grünen-Politikerin warnte vor Protestformen, die den Dialog unmöglich machten. "Ich finde es wirklich absurd, dass wir in einer freien Demokratie leben und es nicht möglich ist, dass man in einen demokratischen Diskurs geht", sagte Göring-Eckardt. Die Grünen hätten den Demonstrierenden in Biberach ein Gesprächsangebot gemacht, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir habe sich der Debatte gestellt. Gespräche zu verhindern, sei ein "absolutes Armutszeugnis".

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte der in Bielefeld erscheinenden "Neuen Westfälischen", friedlicher Protest und offene Kritik gehörten zu einer lebendigen Demokratie. "Gewalt, Einschüchterungsversuche und Angriffe auf die Polizei, wie wir es in Biberach gesehen haben, aber ganz sicher nicht." Wer den politischen Austausch verhindert, "diskreditiert das Anliegen von friedlich Protestierenden".

Grüne schockiert nach Erlebnissen in Biberach

Die baden-württembergische Landesvorsitzende Lena Schwelling zeigte sich schockiert von den Ereignissen in Biberach. "Das war ein einschneidendes Erlebnis, ich kann es mir nicht wirklich erklären", sagte sie dem Südwestrundfunk (SWR). "Wir eignen uns ganz gut als Feindbild", ergänzte sie mit Blick auf ihre Partei. "Wir werden mit vielem in Verbindung gebracht, was gerade schiefläuft."

Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) mahnte eine Mäßigung in der politischen Debatte an. "Es mag bei dem einen oder anderen schwer in Mode sein – insbesondere bei süddeutschen Profipopulisten – alles Übel in der Welt bei den Grünen abzulegen", sagte die Grünen-Politikerin in Düsseldorf. Doch müssten die Menschen sich "stets bewusst machen, dass aus Worten Taten werden können".

Auch Vertreter anderer Parteien nahmen die Grünen in Schutz. Wenn Protest derart "aggressiv" sei und "einschüchternd" wirken solle, dass Veranstaltungen abgesagt werden müssten, dann seien "Grenzen überschritten", betonte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). "Wir müssen alle miteinander zu einem respektvollen Umgang zurückkommen, wenn Protest zu artikulieren ist." (dpa/AFP/tas)

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