- Die Europameisterschaft in England wird richtungsweisend für den deutschen Fußball. Ein Saisonrückblick zeigt aber, dass die Zukunft nicht von diesem Turnier abhängt.
- Vor allem das enorme, bisher fast gänzlich ungenutzte Fan-Potenzial und die Entwicklung der Teams hinter dem FC Bayern und VfL Wolfsburg machen Mut für die Zukunft.
- Doch auch die Ambitionen der beiden Top-Teams unterstreichen, dass sich in Deutschland etwas bewegt.
Ab dem 6. Juli startet die Europameisterschaft in England. Nicht wenige bezeichnen dieses Turnier als das größte in der Geschichte des Fußballs der Frauen. In jedem Fall wird es wegweisend sein – auch und gerade für Deutschland.
Das Abschneiden der DFB-Auswahl wird sicher großen Einfluss auf die weitere Wahrnehmung hierzulande haben. Auch wenn das Ergebnis nicht das Zahnrad der Entwicklung ist, um das sich alle anderen drehen.
Ein Rückblick auf die abgelaufene Saison zeigt, dass sich aus deutscher Perspektive nach wie vor viel tun muss. Gleichzeitig ist durch die letzte Saison einiges an Hoffnung aufgekommen. Die Europameisterschaft kann ein Vehikel sein, um diesen Prozess weiter anzustoßen. Drei Aspekte, die Mut für die Zukunft machen.
1. Enormes Fan-Potenzial – nicht nur bei Barca
In Deutschland blicken wir gern auf das Ausland, wenn es um die Anzahl an Zuschauerinnen und Zuschauern geht. Europäische Rekorde in Barcelona, einzelne Highlights mit mehreren zehntausend Menschen in England, auch in Norwegen stellten die amtierenden Meisterinnen vom SK Brann am vergangenen Sonntag einen Rekord auf: 10.582 Menschen besuchten das Spitzenspiel gegen Valerenga.
Mit 4.520 Zuschauerinnen und Zuschauern ist das Duell zwischen Eintracht Frankfurt und dem SV Werder Bremen das Rekordspiel der abgelaufenen Saison. Der deutsche Bundesligarekord liegt bei 12.464 Menschen, als der VfL Wolfsburg in der Saison 2013/14 auf den 1. FFC Frankfurt traf.
Es ist ein langer Weg. Mit Blick auf die Zahlen und einige Vergleichswerte im Ausland wird das niemand abstreiten. Zugleich stellten die letzten Monate unter Beweis, dass das nicht viel mit Desinteresse der Fans zu tun hat. Auf der großen Bühne der Champions League zeichnet sich beispielsweise ein Vorwärtstrend ab.
FC Bayern und Wolfsburg machen wichtige Schritte
Der FC Bayern München füllte die Allianz Arena im Viertelfinal-Hinspiel gegen Paris Saint-Germain mit rund 13.000 Menschen. Zum Halbfinale des VfL Wolfsburg gegen den FC Barcelona kamen sogar rund 22.000. Zahlen, von denen die Bundesliga aktuell träumt. Anstoßzeiten, Marketing und die oftmals nicht gleichwertige Behandlung im Vergleich zum Fußball der Männer sind Gründe dafür.
Allein die Berichterstattung durch "DAZN" hat eine bisher ungekannte Qualität, die den Fußball der Frauen enorm aufwertet. Dass die Streams des Anbieters gut angenommen wurden, zeigt sich auch darin, dass sie recht kurzfristig die komplette Europameisterschaft übertragen werden.
Auf Bundesliga-Niveau sind sowohl Marketing als auch Berichterstattung mehr als ausbaufähig. Der FC Barcelona macht es der Welt vor. Das Frauenteam ist dort ganz natürlich in Werbung und Marketing eingebunden und genießt dadurch eine besondere Sichtbarkeit, die sich normalisiert hat.
In Deutschland wird hingegen oft die fehlende Offenheit der Gesellschaft kritisiert. "Bei uns nehme ich noch sehr viele Vorurteile wahr", sagte Nationalspielerin Giulia Gwinn jüngst in der "Sports Illustrated". Trotzdem hat die abgelaufene Saison auch auf kleinerer Ebene gezeigt, was möglich ist, wenn Anstoßzeiten und Marketing passen. Ultras, die in Bremen für ordentlich Stimmung sorgten oder eben das angesprochene Frankfurt-Spiel – das ist erst der Anfang. Der Fußball der Frauen kann auch hierzulande einiges.
2. FC Bayern und Co.: Klubs investieren immer mehr
Dass es in Deutschland eher schleppend vorangeht, liegt auch am DFB. Über viele Jahre hinweg hat der Verband Entwicklungen blockiert. Noch heute geht er viele Themen stiefmütterlich und halbherzig an. Wer den Fußball der Frauen als modernes Marketing-Gadget begreift, das man als Nachweis für gesellschaftliches Engagement vorzeigen kann, macht grundlegend etwas falsch und verkennt das riesige sportliche, aber auch finanzielle Potenzial.
Dass die Bundesliga-Klubs immer mehr Eigeninitiative zeigen, ist jedoch positiv hervorzuheben. Das wohl beste Beispiel abseits der Top-Klubs Wolfsburg und Bayern ist Eintracht Frankfurt. Mit klugen Transfers und vor allem dem Willen, Geld in die Hand zu nehmen, um Spielerinnen zu halten, zeichnet sich eine großartige Entwicklung ab.
Die SGE hat 2019 den großen 1. FFC Frankfurt übernommen und seitdem eine kontinuierliche Entwicklung angestoßen. Schlüsselspielerinnen wie Laura Freigang oder Sjoeke Nüsken zählen heute zu den besten Fußballerinnen in Deutschland, nutzten Frankfurt aber zunächst nicht als Sprungbrett. Sie verlängerten jeweils ihre Verträge.
Hoffenheim und Potsdam hinten dran?
Der TSG Hoffenheim gelang das nicht. Auch dort wird seit vielen Jahren gute Arbeit geleistet. Einige der besten Spielerinnen des Landes wie Tabea Waßmuth (VfL Wolfsburg) oder Maximiliane Rall (FC Bayern) genossen einen großen Teil ihrer Ausbildung dort. Die TSG muss sich aber jedes Jahr neu aufstellen.
Im Schatten dieser beiden Klubs hat in dieser Saison Turbine Potsdam angreifen können. Sie sind das einzige deutsche Spitzenteam, das keine nennenswerte Unterstützung durch einen Klub erhält, der im Profifußball der Männer etabliert ist. Es gibt eine Kooperation mit Hertha BSC, die ist nach Informationen der Redaktion aber kaum erwähnenswert. Nach einer starken Saison bricht in der brandenburgischen Landeshauptstadt bereits alles auseinander. Zahlreiche Spielerinnen und auch der Trainer Sofian Chahed verlassen Turbine.
Trotzdem zeigten sie und auch die anderen Teams in dieser Saison, was der deutsche Fußball kann. Wenn jetzt noch der DFB so richtig loslegen würde …
3. Wolfsburg und Bayern wehren sich
Loslegen wollten auch Wolfsburg und Bayern in der Champions League. Das Resultat ist jeweils ernüchternd. Schaut man sich die Umstände aber etwas genauer an, gibt es für beide gute Argumente.
Wolfsburg musste sich unter Tommy Stroot erst neu finden. Gerade in der Rückrunde zeigten sie mehrere tolle Leistungen. Dass sie mit 1:5 in Barcelona verloren, kam überraschend. Womöglich war die spürbare Nervosität auch durch die einmalige Kulisse vor mehr als 90.000 Menschen begründet.
Innerhalb von nur einer Woche zeigten die Wölfinnen aber eine Reaktion und rehabilitierten sich mit einem starken 2:0-Sieg. Das Aus konnte nicht mehr verhindert werden, doch der Beweis war erbracht, dass mit Wolfsburg in den kommenden Jahren weiterhin zu rechnen ist.
Bayern mit viel Unglück – Wolfsburg rüstet weiter auf
Die Bayern wiederum erwischte das Coronavirus zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Sie gingen mit einem Rumpfkader ins Viertelfinale gegen Paris und kamen dennoch fast weiter. Es war ein großer Kampf, mit dem sich der Klub zu Recht zufrieden zeigte.
Allerdings, und das macht dann tatsächlich am meisten Mut für die kommenden Jahre, signalisierten beide Klubs auf unterschiedliche Art und Weise, dass ihnen das trotz aller Umstände nicht gereicht hat.
Wolfsburg startete schon früh eine Transferoffensive. Nationaltorhüterin Merle Frohms kommt aus Frankfurt, Top-Talent Jule Brand aus Hoffenheim, Sara Agrez aus Potsdam und mit Marina Hegering sowie Kristin Demann (beide FC Bayern) kommt ordentlich Erfahrung dazu.
FC Bayern: Steht der neue Trainer bereits fest?
Die Bayern haben mit Georgia Stanway (Manchester City), Emelyne Laurent (Olympique Lyon) und Tainara (Bordeaux) ebenfalls schon aufgerüstet, vor allem aber mit der Entlassung von Jens Scheuer ein klares Zeichen gesetzt: Der Schatten des VfL Wolfsburg ist nicht mehr genug.
Aktuelle Gerüchte aus Norwegen deuten darauf hin, dass Meistertrainer Alexander Straus vom SK Brann das Erbe antritt. Christian Kalvenes, dort in führender Position tätig, bestätigte das Interesse der Münchnerinnen sogar im Mai. "Wir haben eine Anfrage vom FC Bayern München erhalten und den Eingang bestätigt", sagte er damals dem Fernsehsender "TV 2".
Dass es noch keine offizielle Mitteilung gab, kann auch damit zusammenhängen, dass Brann erst am 13. Juni in die Sommerpause geht. In Norwegen spielen die Klubs über ein ganzes Kalenderjahr. Straus ist ein Trainer, der großen Wert auf die Offensive legt. Eine solche wollen die Münchnerinnen im kommenden Jahr starten – um nach und nach aus dem Schatten des VfL Wolfsburg hervorzutreten.
Die ambitionierten Ziele der beiden Top-Klubs lassen erahnen, dass auch die nächste Saison viel zu bieten haben wird.
So geht es jetzt weiter
Für die DFB-Auswahl beginnt jetzt die heiße Phase vor der Europameisterschaft. Aktuell befindet sich das Team in Frankfurt. Vom 12. bis 18. Juni werden sie ein erstes Trainingslager in Herzogenaurach absolvieren, zwischen dem 21. und dem 29. ein zweites am selben Ort. Interessant ist, dass das deutsche Team nur ein einziges Testspiel vor dem Turnier absolvieren wird – am 24. Juni gegen die Schweiz.
Noch im März monierte Bayern-Kapitänin Lina Magull den fehlenden Rhythmus des Teams. Man habe in den letzten Jahren viel rotiert und müsse sich einspielen, forderte sie im Gespräch mit Spox und Goal: "Viel Zeit haben wir dafür nicht." Da kommt der Trainingsplan des DFB durchaus überraschend.
Verwendete Quellen:
- Spox und Goal. Kapitänin Lina Magull im Interview
- Sports Illustrated.
Giulia Gwinn : "Nehme immer noch viele Vorurteile wahr" - TV 2. Bekrefter til TV2: Fått henvendelse fra Bayern München
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