Klaus Augenthaler verbrachte seine gesamte Profikarriere beim FC Bayern München und ist als Trainer noch immer in den Verein integriert. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er über das internationale Nachwuchsprogramm des FC Bayern, die Jugendarbeit im deutschen Fußball und fehlende Identifikationsfiguren.

Ein Interview

Klaus Augenthaler gewann als Spieler mit dem FC Bayern siebenmal die deutsche Meisterschaft, war danach unter anderem Bundesligatrainer bei Bayer Leverkusen sowie dem VfL Wolfsburg und ist heute für die Nachwuchsarbeit des FC Bayern mit zuständig. Der 65-Jährige ist zudem Trainer beim FC Bayern World Squad.

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Dafür wählte der FC Bayern aus 6.000 Bewerbungen 23 Talente aus 18 Nationen aus, die nun im argentinischen Buenos Aires vom früheren Bayern-Torjäger Roy Makaay trainiert werden. Danach kehren die Talente nach München zurück, wo der frühere Bayern-Spieler Klaus Augenthaler die Arbeit fortsetzt.

Im Interview mit unserer Redaktion verrät Augenthaler, wie das Nachwuchsprogramm funktioniert, wie er die Situation des FC Bayern München einschätzt und warum er heutzutage Identifikationsfiguren vermisst.

Herr Augenthaler, wie groß ist die Chance, dass der Verein durch den FC Bayern World Squad ein Ausnahmetalent findet, das nicht bereits von anderen Vereinen entdeckt wurde?

Klaus Augenthaler: Wir haben ursprünglich nicht gezielt nach Top-Talenten gesucht. Der FC Bayern World Squad war zunächst als Marketingprojekt angedacht. Aber dann habe ich vor zwei Jahren gemerkt, dass einige Spieler dabei sind, die sogar in Deutschland Profi werden könnten. Wir haben auf diese Weise zum Beispiel den Kolumbianer José Mulato entdeckt, den der FC Bayern unter Vertrag genommen und zum amerikanischen Partnerverein FC Dallas verliehen hat. Ich denke, aus ihm könnte etwas werden, wenn er sich weiterentwickelt - vielleicht in der Bundesliga oder sogar beim FC Bayern.

"Manche Videos sind auch ein bisschen getürkt"

Um eine Vorauswahl zu treffen, haben Sie gemeinsam mit Ihren Kollegen die Videos von rund 6.000 Fußballspielern gesichtet. Wie lassen sich dabei die Talente beurteilen?

Das ist schwer. Sicherlich kann man relativ schnell viele Bewerber aussortieren. Aber dann wird es eng. Man schaut sich die Videos nicht nur einmal an, sondern mehrmals. Manchmal telefonieren wir mit dem Spieler und fordern ein weiteres Video nach. Manche Videos sind auch ein bisschen getürkt, weil die Spieler sich gut darstellen wollen. Dann sieht man, wie ein Fußballspieler fünf Gegenspieler ausdribbelt, die aber bei genauerem Hinschauen stehengeblieben sind (lacht).

Die jungen Talente, die in diesem Jahr an dem Programm teilnehmen, kommen aus 18 unterschiedlichen Nationen. Wie groß sind die Unterschiede gegenüber den deutschen Talenten?

In Deutschland spielen bereits U-14 Mannschaften auf sehr gepflegten Plätzen. Auf solchen guten Fußballfeldern habe ich früher nicht einmal als Profi gespielt. Wenn ich dann Videos von jungen Fußballspielern aus Nigeria sehe, dann haben die dort kaum noch Rasen. Vielleicht sind sie dadurch ein bisschen weiter, weil sie mit schlechteren Gegebenheiten zurechtkommen. Der Ball rollt nicht sauber wie bei uns, sondern hoppelt. Darauf stellen die sich ein.

Die Mannschaft des FC Bayern World Squad bestreitet mehrere Testspiele. Den Abschluss stellt ein Test gegen die U19 des FC Bayern in der Allianz Arena dar. Wie geht es danach weiter?

Wir unterhalten uns, was für Eindrücke die Jungs hinterlassen haben, und versuchen ihnen zu helfen. Die Chance, dass wir einen Spieler für den FC Bayern entdecken, ist natürlich klein. In Deutschland sind zum Beispiel alle jungen Fußballspieler mit 14 oder 15 Jahren gesichtet. Aber trotzdem kann es natürlich passieren, dass jemand einmal durch das Raster fällt.

Nachwuchsarbeit in Deutschland? "Ein bisschen enttäuschend"

Wie beurteilen Sie allgemein die Nachwuchsarbeit im deutschen Fußball?

Ein bisschen enttäuschend. Wir haben doch eigentlich eine gute U17-Nationalmannschaft oder auch eine gute U19-Nationalmannschaft. Aber bei welchen Vereinen spielen die U19-Nationalspieler? Kaum einer davon ist in der Bundesliga aktiv.

Einerseits müsste man den jungen Spielern eine Chance geben, sodass sie sich besser entwickeln können. Andererseits sind die Profitrainer vorrangig für die Ergebnisse und den Tabellenstand verantwortlich, nicht für die Entwicklung junger Spieler. Außer der Trainer hat die Unterstützung vom Präsidium, weil gewollt ist, dass jedes Jahr ein oder zwei Nachwuchsspieler in den Profikader gelangen. Aber diese Unterstützung ist selten.

Wie bewerten Sie allgemein die Situation im deutschen Fußball? Kein deutscher Verein war im Halbfinale der Champions League vertreten. Und auch die Ergebnisse der deutschen Nationalmannschaft haben nicht gerade zur Euphorie beigetragen.

Vielleicht fehlte einigen Nationalspielern auch ein bisschen die Motivation. Nach einer langen Saison möchte man eigentlich in den Urlaub und muss stattdessen noch diese drei Spiele absolvieren.

Wenn ich an meine eigene Zeit zurückdenke: Vor der Weltmeisterschaft 1990, die wir gewonnen haben, und auch vor der WM 1986, in der wir im Finale standen, haben wir in den Testspielen auch keine guten Ergebnisse erzielt. Damals hatte man auch nicht unbedingt das Gefühl, dass wir als Favorit zu den Weltmeisterschaften fahren. Aber bei der WM waren wir erfolgreich, weil wir als Mannschaft funktionieren.

"Wir haben eben keinen Robert Lewandowski mehr"

Zurück zum Vereinsfußball: Glauben Sie, dass der FC Bayern München in der kommenden Saison in der Champions League wieder ein Titelkandidat ist?

Vielleicht steckt die Mannschaft gerade in einem Umbruch, der ein bisschen Zeit braucht. Wir haben eben keinen Robert Lewandowski mehr. Trotzdem hat der FC Bayern sehr gute Einzelspieler. Aber man hatte in den vergangenen Wochen nicht immer das Gefühl, dass da eine Mannschaft auf dem Platz steht, die unbedingt gewinnen will. Das war nicht so, wie sich der Fan den FC Bayern vorstellt. Dass die Meisterschaft trotzdem gewonnen wurde, war ein Weihnachtsgeschenk von Borussia Dortmund.

Der FC Bayern hat derzeit keinen Sportvorstand. Den Kader stellt Trainer Thomas Tuchel nun gemeinsam mit den Aufsichtsräten Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge zusammen. Wie beurteilen Sie diese Übergangslösung?

Ich kann das nicht beurteilen. Aber seitdem der Uli und der Kalle nicht mehr da waren, fehlte beim FC Bayern einfach etwas. Das war mein Gefühl und offenbar auch das Gefühl vieler Fans. Nun sind die beiden wieder öfter an der Säbener Straße. Wir werden sehen, was sich dort tut.

Die Schnelllebigkeit des Fußballs

Sie wurden früher beim FC Bayern München ausgebildet und haben Ihre gesamte Karriere in dem Verein verbracht. Solch ein Werdegang ist selten und trifft heutzutage fast nur noch auf Thomas Müller zu. Ist der Fußball heute zu schnelllebig?

Die Zeiten haben sich geändert. Wenn früher der FC Bayern zum Beispiel gegen den Hamburger SV gespielt hat, konnte selbst der Bayern-Fan sofort fünf oder sechs HSV-Spieler aufzählen, weil die schon lange dort aktiv waren. Bei anderen Vereinen war das genauso.

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Heute täte ich mich schwer, vier Spieler von Mainz 05 aufzuzählen. Da fällt mir ehrlich gesagt kaum einer ein. Es gibt Spieler, die sind 25 Jahre alt und haben schon bei zehn Vereinen gespielt. Die Fluktuation ist groß. Wie soll ein Trainer unter diesen Umständen etwas aufbauen?

Fehlt Ihnen die Vereinsidentifikation heutzutage?

Absolut.

Woran liegt das? Zwar ist heute viel Geld im Spiel, andererseits wurde auch zu Ihrer Zeit in den 1990er-Jahren viel Geld im Fußball verdient.

Ja, aber nicht so viel Geld wie heute. Früher war jeder froh, dass er beim FC Bayern einen Vertrag unterschreiben und dort spielen durfte. Heute lese ich immerhin einmal von Kingsley Coman, dass er eine Bayern-Legende werden möchte. So etwas bräuchte man häufiger.

Wenn Manuel Neuer und Thomas Müller aufhören, wer sollen dann die Identifikationsfiguren sein? Aber am Ende geht es nur um den Erfolg. Wenn Neuer und Müller irgendwann nicht mehr da sind, der FC Bayern aber die Champions League gewinnt, werden die Fans zufrieden sein. Aber es wäre trotzdem schön, wenn vom FC Bayern Campus mal wieder ein Nachwuchsspieler bei den Profis durchstartet und zur neuen Identifikationsfigur wird.

Zur Person: Klaus Augenthaler (Jahrgang 1957) spielte von 1976 bis 1991 für den FC Bayern München und wurde siebenmal Deutscher Meister. Mit der deutschen Nationalmannschaft gewann er 1990 die Weltmeisterschaft. Nach seinem Karriereende war er Co- und Interimstrainer beim FC Bayern, außerdem unter anderem Cheftrainer von Bayer 04 Leverkusen und dem VfL Wolfsburg.
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