• Die Union hat bei der Bundestagswahl eine historische Niederlage eingefahren.
  • Schlägt jetzt die Stunde der jungen CDUler, wie Philipp Amthor, Tilman Kuban oder Carsten Linnemann?
  • Politikwissenschaftler Volker Mittendorf blickt auf die Chancen der CDU-Nachwuchshoffnungen.
Eine Analyse

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"In der CDU darf jetzt kein Stein mehr auf dem anderen bleiben" – mit diesen Worten hat der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung seiner Partei gefordert. Der Grund für den radikalen Kurswechsel liegt auf der Hand: Das Wahlergebnis der Union war mit 24,1 Prozent das schlechteste ihrer Geschichte.

"Die CDU hat massiv Wähler an die SPD verloren, sie hat schwerwiegende programmatische und personelle Probleme", sagt Politikwissenschaftler Volker Mittendorf. Die geregelte Nachfolge von Angela Merkel als Parteichefin sei zuletzt an Flügelkämpfen gescheitert. Die Zusammensetzung der Parteispitze genieße nicht das Vertrauen der gesamten Basis. "Da gibt es große Unterschiede zwischen den Landesverbänden", so Mittendorf.

CDU ohne Ideen für Zukunft?

Die CDU kämpfe vor allem um Stimmen in den Großstädten. "Was als konservativ gilt, ist von Region zu Region sehr unterschiedlich", erklärt der Experte. Wähler in der Stadt und auf dem Land oder im Norden wie im Süden gleichermaßen anzusprechen, falle der Union sichtlich schwer. "Der Union fehlt auch eine Antwort auf die Frage: Wie kann Zukunft mit konservativer Einstellung aussehen?", sagt Mittendorf.

Während die Grünen mit dem Klimawandel und die FDP mit dem Umbau des sozialen Sicherungssystems Zukunftsthemen besetzten, die junge Menschen ansprächen, habe die CDU überhaupt nichts anzubieten gehabt.

Gesucht wird eine Integrationsfigur für die Partei

Wer also her muss, liegt auf der Hand: Jemand, der integrieren kann und die Assoziationskette aus "CDU" und "Zukunft" wiederherstellen kann. Wer aber könnte diese Integrationsfigur sein, die auch junge Wählerinnen und Wähler wieder mit ins Boot holt? In diesen Tagen dürften die Blicke der Union häufig ins Nachbarland Österreich gehen, wo Sebastian Kurz (35) seit 2017 als Kanzler erfolgreich ist.

Unter dem Namen "Liste Sebastian Kurz – die neue ÖVP" hatte Kurz damals die meisten Stimmen eingefahren. Trotz vorherigen Misstrauensvotums wurde Kurz auch 2020 wieder Kanzler. Kann der Union das auch gelingen? Und wer käme dafür in Frage?

Tilman Kuban (34): Bundesvorsitzender der Jungen Union

Der 34-jährige Tilman Kuban ist seit 2019 Bundesvorsitzender der Jungen Union, zog bei der Bundestagswahl über die Landesliste in den Bundestag ein. Kuban gilt als Vertreter des konservativen Flügels der CDU, fordert beispielsweise ein deutlich härteres Durchgreifen in der Innen- und Flüchtlingspolitik.

"Vor allem in den letzten Wochen hat er eine starke Stellung bekommen und an Momentum dazugewonnen", meint Mittendorf. Er habe früh Kritik am Wahlkampf von Armin Laschet geäußert und selbst ein Modell wie in Österreich ins Gespräch gebracht. "Er muss aber jetzt noch zeigen, wie eine inhaltliche Neuaufstellung konkret aussehen soll", meint Mittendorf. Dass Kuban in der CDU noch von sich reden machen wird, davon ist der Experte überzeugt.

Philipp Amthor (28): Konservativer "Merkel-Bubi"

Er galt als Shooting Star der Partei, als "Merkels Bubi" und als "Harry Potter der CDU". Gegen satirischen Spott hat der 28-jährige Philipp Amthor bereits ein dickes Fell. "Das ist nicht unbedingt etwas Negatives, Helmut Kohl war auch oft Zielscheibe, hat die Union aber stark vereint", erinnert Mittendorf. Dass Amthor, der seit 2017 im Bundestag sitzt, allerdings in solche Fußstapfen treten könnte, glaubt der Experte nicht. "Diese Stärke sehe ich bei ihm nicht", sagt er.

Wie auch Kuban zählt der Jurist zum konservativen Flügel seiner Partei, positioniert sich gegen "Gender-Mainstreaming", Schwangerschaftsabbrüche und die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Wegen Lobbyarbeit für Augustus Intelligence stand Amthor in der Kritik: "Sein öffentlicher Umgang mit Skandalen hat Schwächen gezeigt", meint Mittendorf. Er habe in seinem Landesverband besonders viele Stimmen verloren. "Den eigenen Politikstil da als zukunftsweisend zu verkaufen, dürfte in der Partei nicht gut ankommen", so der Experte.

Wer soll Laschet-Nachfolger werden? Umfrage sieht einen Kandidaten vorne

Von den derzeit diskutierten Nachfolgern von Armin Laschet als CDU-Chef stößt einer Umfrage zufolge der Außenpolitiker Norbert Röttgen in der Bevölkerung auf die größte Zustimmung. Unter den CDU/CSU-Anhängern liegt allerdings Ex-Fraktionschef Friedrich Merz demnach vorn. Vorschaubild: imago images/Winfried Rothermel

Paul Ziemiak (36): CDU-Generalsekretär bringt sich in Stellung

Der CDU-Generalsekretär und frühere JU-Chef Paul Ziemiak ist in den letzten Jahren ein immer bekannteres Gesicht in der Union geworden. Als Bundesvorsitzende hatte Annegret Kramp-Karrenbauer ihn nach ihrer Wahl als Generalsekretär vorgeschlagen. Auch unter dem jetzigen Parteivorsitzenden Armin Laschet ist Ziemiak weiterhin Generalsekretär. In der Union gilt der 36-Jährige als Mitte-Vertreter, macht sich vor allem für Bildung und Digitalisierung stark.

"Für Generalsekretäre ist es immer schwierig, wenn die Führungsposition unter ihnen schwächer wird", gibt Mittendorf zu Bedenken. Ziemiak fehle nun das Momentum, aus dem Schatten von Armin Laschet herauszutreten. "Die Wahlniederlage wird auf Laschet und sein Führungsteam konzentriert, wozu auch Ziemiak gehört", sagt Mittendorf. Die Stärke, die er noch als JU-Chef genoss – er habe sie nicht in das Amt des Generalsekretärs tragen können.

Ellen Demuth (39): Die Unbekannte der CDU

Vielen vermutlich noch unbekannt, klettert die 39-jährige Ellen Demuth in den letzten Monaten auf der Karriereleiter Stück für Stück nach oben. Die Landtagsabgeordnete aus Rheinland-Pfalz gehört seit 2020 zur Struktur- und Satzungskommission der CDU, wurde außerdem von Norbert Röttgen zur Chefstrategin seiner Kandidatur als Bundesvorsitzender berufen.

"Sie ist recht profiliert und konnte sich stark mit Röttgens Positionen identifizieren", meint Mittendorf. Er traut Röttgen zu, in der kommenden Übergangsphase wieder eine größere Rolle zu spielen. "Dann könnte auch Demuth Strahlkraft entwickeln und eine Position finden, den klassischen Konservativismus in die Modernität zu überführen". Schwierig könnte es jedoch werden, auch zum Rechtspopulismus neigende Wähler zu integrieren.

Carsten Linnemann (44): Vorstand einer einflussreichen Vereinigung

Der Volkswirt Carsten Linnemann ist bereits seit 2015 Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), einer einflussreichen Vereinigung der Union. Der 44-Jährige gewann in seinem Wahlkreis in Paderborn seit 2009 stets das Direktmandat, auch zuletzt war sein Ergebnis von 47,9 Prozent das landesweit beste Erststimmenergebnis der Direktkandidaten aller Parteien.

"Linnemann hat innerhalb der Partei eine extrem starke Stellung, die er noch ausbauen könnte", sagt Mittendorf. Inhaltlich befasst sich der Wirtschaftspolitiker mit Themen wie Flexi-Rente, Arbeitsmarktreform und Steuerpolitik. Trotz der starken Stellung innerhalb der Partei: "Es bleibt offen, ob Linnemann auch das Wählerpotential der Union zurückführen kann", sagt Mittendorf. Schließlich seien Vertreter der MIT mit zahlreichen Konflikten verknüpft – zuletzt mit der Masken-Affäre.

Mike Mohring (49): CDU-Mann in Thüringen

Gerade noch dürfte Mike Mohring mit seinen 49 Jahren in der Union als "junger Politiker" gelten. Der Landtagsabgeordnete und jahrelange Vorsitzende der CDU Thüringen gilt als besonders pragmatischer Unionspolitiker. Als Stanislaw Tillich und Reiner Haseloff im Nachgang der Wahl 2017 einen "Rechtsruck" der CDU forderten, sprach sich Mohring klar dagegen aus.

"Er hat ein Widerstandsmoment in der CDU stark gemacht. Konflikt nach außen zu tragen, ist in der CDU allerdings verpönt", sagt Mittendorf. Auch wenn Mohring sich inhaltlich viel mit der Frage eines modernen Konservativismus befasst und 2010 einen Sammelband mit dem Titel "Was heißt heute konservativ?" herausgab, sagt Mittendorf: "Mohring hat nicht genug Rückhalt in den westlichen Landesverbänden".

Julia Klöckner (48): Minister-Erfahrung

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ist schon seit langem ein bekanntes Gesicht auf Bundesebene. "Frisch und unverbraucht" ist ihr Image daher sicherlich nicht. Doch die 48-Jährige bringt jede Menge Erfahrung mit, ist stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, war bereits Staatssekretärin und Fraktionsvorsitzende im rheinland-pfälzischen Landtag.

"Sie hat jedoch dasselbe Problem wie Amthor: Sie hat in ihrem Landesverband massiv an Rückhalt verloren", glaubt Mittendorf. Weil sie dort nicht unumstritten sei, traut der Experte ihr nicht zu, die kommende Integrationsfigur der Union zu werden. Jede Menge Gegenwind bekommt die Ministerin auch von Tierschutz- und Verbraucherverbänden – etwa für die verschobene Beendigung der Schweinekastration.

Christoph Ploß (36): Keine Koalitionen mit den Grünen

Das wohl noch unbekannteste Gesicht unter den Nachwuchs-Hoffnungsträgern der Union ist das von Christoph Ploß. Der Bundestagsabgeordnete ist Vorsitzender der Hamburger CDU und zählte zum Unterstützerkreis von Friedrich Merz bei dessen Kandidatur zum Parteivorsitz. Das Wirtschaftsmagazin "Capital" nahm ihn Ende 2020 bei den "Top 40 unter 40" auf – einer Liste der wichtigsten Talente aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Zu den Themen von Ploß zählen vor allem Europa- und Rentenpolitik, er ist außerdem Mitglied im Verkehrsausschuss und im Ausschuss für digitale Infrastruktur.

Was den 36-Jährigen Wählerstimmen kosten dürfte: Ploß steht Koalitionen mit den Grünen skeptisch gegenüber. "Ploß fordert explizit die Kopie des österreichischen Modells", sagt Mittendorf. Die Chance, dass Ploß selbst diese Stelle ausfüllen könnte, schätzt Mittendorf jedoch als gering ein: "Für ihn gilt das Gleiche wie für Amthor und Klöckner: er hat in seinem Landesverband aus dem Wahlergebnis der CDU nicht gerade positiv herausgestochen", so Mittendorf.

Jens Spahn (41): Gesundheitsminister spekuliert schon länger auf Vorsitz

Die letzte Niederlage von Spahn ist noch präsent: In der Bewerbung um den CDU-Bundesvorsitz unterlag er Kramp-Karrenbauer und Merz deutlich. Trotzdem ist die Karriere des 41-Jährigen steil: Parlamentarischer Staatssekretär, Bundesminister, stellvertretender Parteivorsitzender.

"Spahn wird noch eine führende Rolle spielen", glaubt Mittendorf. Er habe in der Pandemie stets versucht, eine moderierende Rolle einzunehmen – genau das, was eine Integrationsfigur braucht. "Es ist problematisch, dass er in der öffentlichen Wahrnehmung mit Themen wie seinem teuren Hauskauf verknüpft wird", gibt Mittendorf zu bedenken. Aber: "Auch wenn er auf demselben Ticket wie Laschet in den Wahlkampf gestartet ist – er hat sich früh genug distanziert", so der Experte. Das könnte Spahn nun zum Vorteil gereichen.

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Keine Kopie von "Modell Kurz"

Das Fazit von Mittendorf ist für die Union jedoch ernüchternd: "Ich sehe bei keinem dieser Akteure inhaltliche Lösungen und das Prestige, um die nötige Führungskraft zu entwickeln", urteilt der Wissenschaftler. Er bezweifele aber generell, dass es für die CDU sinnvoll sei, das "Modell Kurz" zu kopieren.

"Das hat etwas von einer außerweltlichen Führungsstärke und einem Heilsversprechen. Entscheidend wird für die Union aber Programmatik und Politikstil sein", sagt Mittendorf. Hausaufgaben haben die jungen CDUler also noch jede Menge, auch wenn die Schulzeit bei manchen noch nicht sehr lange her ist.

Über den Experten:
Dr. Volker Mittendorf ist Politikwissenschaftler an der Bergischen Universität Wuppertal. Er studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Philosophie an der Philipps-Universität Marburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen das politische System Deutschlands und europäische Demokratien im Vergleich sowie direkte Demokratie und Partizipationsforschung.
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