Im Asylstreit steht die Union von CDU und CSU auf dem Spiel und damit die gesamte Regierungskoalition. Zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer tobt ein Machtkampf, den Merkel nur mit Wohlwollen der Nachbarländer gewinnen kann. Das Thema Migrationspolitik ist reichlich aufgeladen. Umso positiver überrascht die unaufgeregte Diskussion im "Maybrit Illner"-Talk, für den die Moderatorin kurzfristig aus privaten Gründen ersetzt werden musste.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Cornelia Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Was ist das Thema?

Mehr aktuelle News

Der Asylstreit droht die aktuelle Bundesregierung zu zerbrechen. Die CSU um Innenminister Horst Seehofer will künftig Migranten, die bereits in anderen europäischen Ländern registriert wurden, direkt an der deutschen Grenze zurückschicken.

Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt dies ab und strebt nach einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik aller EU-Staaten. Kann sich Merkel durchsetzen? Und was passiert, wenn nicht?

Wer sind die Gäste?

  • Alexander Dobrindt ist Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
  • Volker Bouffier ist stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Hessen.
  • Martin Schulz war Kanzlerkandidat der SPD bei der Bundestagswahl und zuvor Präsident des Europäischen Parlaments.
  • Karin Kneissl ist österreichische Außenministerin (parteilos).
  • Tonia Mastrobuoni ist eine deutsch-italienische Journalistin.

Was war das Rede-Duell des Abends?

Zwischen Martin Schulz (SPD) und Alexander Dobrindt (CSU) ging es mehrmals giftig zu. Größter Streitpunkt: Die Haltung zum ungarischen Präsidenten Viktor Orbán.

Für Schulz brachte die Flüchtlingskrise 2015 vor allem eine "Entsolidarisierung in Europa" mit sich, nach dem Motto: "Euros rüber, bitte, die Flüchtlinge könnt ihr behalten!" Deutschland sei von Ländern wie Ungarn im Stich gelassen worden.

Der SPD-Politiker warf der CSU vor, dessen Präsidenten trotzdem hofiert zu haben: "Orbán war Ehrengast bei Ihrer Partei – warum?" Dobrindt entgegnete, dass Solidarität auch mit Ländern sein müsse, die eine andere Meinung haben.

Als Schulz später den Vorwurf noch einmal aufgriff, wehrte sich Dobrindt mit einem Gegenvorwurf: "Derjenige, der in die Opposition und nicht in die Regierung wollte, waren Sie und nicht wir!"

Was war der Moment des Abends?

Mit seiner tiefen Stimme hätte Volker Bouffier auch Hörspielsprecher werden können. So klang es besonders eindrucksvoll, wenn der hessische Ministerpräsident den Zusammenhalt sowohl der Bundesregierung als auch Europas beschwor: "Die Migration ist eine der großen Herausforderungen für Europa, dem kann sich kein Land entziehen."

Deswegen brauche Deutschland eine handlungsfähige Regierung. "Wir hätten die Wiedervereinigung nie erreicht, wenn wir deutsche und europäische Interessen nicht zusammengebracht hätten", gab Bouffier zu bedenken und warnte vor einem Rückfall in den Nationalismus: "Wir sollten den Leuten nicht vorgaukeln, jeder könnte allein die Weltprobleme lösen."

Wie hat sich der Moderator geschlagen?

Matthias Fornoff moderierte die Sendung als Vertreter von Maybrit Illner, die wegen eines Trauerfalls in der Familie verhindert war.

Fornoff, der sonst Wahl- und Sondersendungen moderiert, stellte kluge und auch süffisante Fragen: "War das eine gute Idee, der CSU das Innenministerium zu übertragen?"

Allerdings hätte er Alexander Dobrindt durchaus stärker in die Mangel nehmen können, etwa, als dieser die europarechtlichen Bedenken des eigens in die Sendung eingeladenen Asylrechtsexperten Constantin Hruschka einfach beiseite wischte: "Für uns ist vollkommen klar, dass Zurückweisungen an der Grenze möglich sind."

Was ist das Ergebnis?

Wem noch nicht klar war, dass die Migrationspolitik eine sehr komplizierte Angelegenheit ist, sollte sich dem spätestens nach dieser Sendung bewusst sein. Einen großen Beitrag dazu leistete die österreichische Außenministerin. Karin Kneissl führte aus, wie eine Visa-Liberalisierung zwischen Serbien und Iran oder ein niedriger Ölpreis die Migration beeinflusst.

Kneissl, die Arabistik studiert und in Kairo und Beirut unterrichtet hat, verwies auch auf die Demografie: In Nordafrika drängt eine große Zahl an jungen Menschen auf den Arbeitsmarkt: "Die Mehrzahl meiner ehemaligen Studenten findet keine Arbeit."

Hinzu kommt der Krieg in Syrien, der für Kneissl eine unmittelbare Folge des Irakkrieges ist: "Durch die Zerstörung von Staaten haben wir die Probleme, die wir jetzt haben."

Bei vermehrten Zurückweisungen an der deutschen Grenze erwartete die österreichische Außenministerin einen möglichen "Dominoeffekt". Österreich wolle daher den Schutz der EU-Außengrenzen an die Spitze seiner EU-Ratspräsidentschaft ab Juli setzen.

Die deutsch-italienische Journalistin Tonia Mastrobuoni warnte, dass Italien wieder anfangen könne, Flüchtlinge durchzuwinken. Sie verstehe nicht, warum die nordeuropäischen Staaten bei den finanziellen Problemen Italiens so streng sei, aber nicht mit den EU-Ländern, die die Quoten bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht einhalten.

"Italien ist alleine gelassen worden", meinte Mastrobuoni. Auch deswegen regiere dort nun eine rechtspopulistische Partei.

Und der deutsche Asylstreit? Volker Bouffier mahnte zur Besonnenheit: "Ohne die Union gibt es keine stabile Regierung." Für ihn ist die Migranten-Zurückweisung ein "Symbolthema".

Bouffier verwies auf das gemeinsame Regelwerk zur Migration, das CDU und CSU nach der Wahl ausgearbeitet haben, und stichelte: "Ich habe noch sehr in Erinnerung, dass Seehofer gesagt hat, er sei sehr zufrieden mit dieser Einigung."

Auf Nachfrage von Fornoff, ob das Vorgehen der CSU auf Angela Merkel abzielt, antwortete Alexander Dobrindt: "Es geht nicht um eine Person."

Der CSU-Politiker sprach von einer "Vertrauenskrise in der Bevölkerung", der man entgegenwirken müsse. "Wir sind in einer Situation, in der politisches Handeln gefragt ist", betonte Dobrindt und verwies auf Umfragen, nach denen es große Zustimmung zur Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze gebe.

Wie sehr die kommenden Landtagswahlen in Bayern eine Rolle spielen, sagte Dobrindt nur indirekt: "Wahlen sind nichts Unethisches."

Immerhin rang Fornoff Alexander Dobrindt ganz am Schluss noch ein Bekenntnis für die Koalition ab: "Es bleibt alles so, wie es ist: Wir wollen stabil weiterregieren."

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.