Reichen die Anti-Corona-Maßnahmen der Ampel? Bei "Anne Will" wählt Karl Lauterbach klare Worte für die Impfpflicht und gegen die Querdenker. Markus Söder will den SPD-Mann im Gesundheitsministerium sehen. Eine Ärztin kritisiert einen zögernden FDP-Mann.
Wäre das schön, wenn die nächsten Wochen einfach mal ganz normale Wochen sein könnten, durchschnittlich wichtig, ein bisschen hektisch vielleicht, wie immer, wenn Weihnachten naht, aber sonst: stinknormale Wochen.
Wäre schön, nur wird nichts daraus, mal wieder stehen "entscheidende Wochen" bevor, ausgerufen von
"Impfpflicht und Lockdown für Ungeimpfte – gewinnen Bund und Länder so die Kontrolle zurück?", fragt Anne Will ihre Runde. Eine Ärztin bezweifelt das und fordert schnelleres Handeln, während Karl Lauterbach harte Worte gegen Querdenker wählt – und wenn es nach
Das sind die Gäste bei "Anne Will"
"Wir impfen jetzt gegen die Zeit", sagt SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Die Daten zur Omikron-Variante seien beunruhigend, von Booster-Impfungen verspreche er sich aber genügend Schutz, um ohne Lockdown durch den Winter zu kommen.
Skeptisch blickt Ärztin und Medizinbloggerin Carola Holzner auf die Maßnahmen der Ampel. Gerade die Kontaktbeschränkungen im Privatbereich seien wirkungslos: "Vielleicht ist ein harter Lockdown besser zu kontrollieren."
Ähnlich argumentiert Cerstin Gammelin von der "Süddeutschen Zeitung": "Die Kontaktbeschränkungen sind praktisch nicht zu überwachen, da brauchen wir uns nichts vormachen." Sie orte eine große Unverständnis darüber, dass
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) räumt ein, dass sich die Regeln im Privatbereich nicht bei "Hausbesuchen" kontrollieren lassen. Trotzdem: "Die Kontaktbeschränkung ist ein klares Signal."
Ampel-Vertreter Konstantin Kuhle (FDP) ist etwa mit der oft fehlenden Überprüfung der 3G-Regeln in Bus und Bahn "nicht zufrieden", setzt aber ohnehin auf die Eigenveranwortung – so würden etwa immer mehr Weihnachtsfeiern abgesagt: "Die Leute merken: Es ist ernst."
Das ist das Rede-Duell des Abends
Unter Schmerzen hat sich die FDP zu einem klaren Jein zur Impfpflicht durchgerungen, eine Position, mit der sich die Parteivertreter seit Wochen zu Prügelknaben in Talkshows machen. Konstantin Kuhle spricht sich für eine freie Abstimmung im Bundestag aus, kann aber noch nicht sagen, wie er abstimmen wird, weil noch kein Konzept vorliege. Man müsse "erstmal schauen", wie eine Impfpflicht aussehen könne, Markus Söder gehe ja schon damit hausieren, und vielleicht könnte man...
"Ich muss den Spielverderber spielen", grätscht die Duisburger Ärztin Carola Holzner dazwischen. "Ich stehe jetzt im Krankenhaus und kriege kein Intensivbett mehr (…). Wir haben keine Zeit mehr, wir fliegen Patienten in andere Bundesländer aus. Wie lange wollen wir noch debattieren?"
Eh nicht lange, versucht Karl Lauterbach zu beruhigen, aber Kuhle widerspricht, nächste Woche werde erst einmal die "einrichtungsbezogene Impfpflicht" beschlossen, also in medizinischen und Pflegebereich, "und dann schauen wir, was Herr Söder mit der allgemeinen Impfpflicht meint".
Der Rüffel vom Koalitionspartner folgt auf dem Fuß: Holzner habe eine "berechtigte Frage gestellt", sagt Lauterbach, der sie aber auch nicht beantworten kann. Für entscheidend hält der SPD-Mann aber bei der allgemeinen Impfpflicht ohnehin nur, dass sie beschlossen wird, weniger wann: "Sie wird wirken, bevor sie gilt, weil sich dann viele impfen lassen, weil eh eine Pflicht kommt."
Das ist der Moment des Abends
Die Spaltung der Gesellschaft – das ist das Argument, das zum Beispiel Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn immer wieder gegen eine Impfpflicht in Stellung brachte. Verfassungsschützer warnen nun sogar vor gesteigerter Aggressivität in den Kreisen von Impfgegnern, wenn ein solches Gesetz käme. Den Gottseibeiuns der Querdenker, Karl Lauterbach, ficht das nicht an: "Der Staat darf sich nicht erpressen lassen." Wenn der Bundestag eine Impfpflicht beschließe, müsse man es auch durchsetzen, unter dem Druck der Straße einzuknicken, wäre "indiskutabel": "Das sind Menschen, die diese Achtung nicht verdienen."
Der bayrische Ministerpräsident greift ebenfalls zu harten Worten: Der Staat müsse "wehrhaft sein" und dürfe sich "von den Hardcore-Leuten" nicht unter Druck setzen lassen, sagt Markus Söder. Eigentlich rechnet er aber ohnehin eher mit einer Befriedung, schon aus Erfahrung – heiß umkämpft sei auch die Gurtpflicht gewesen, die 1976 eingeführt wurde, und am Ende hätten sich alle dran gewöhnt. Nettes Histörchen, nur: von riesigen Demonstrationen und Todesdrohungen gegen den damaligen Verkehrsminister ist nichts überliefert.
So hat sich Anne Will geschlagen
Unterstellen wir mal der Regie keine kalkulierte Bosheit, aber es fällt schon auf, wie oft die Kamera während der Schalten zu Markus Söder ins bayrische TV-Studio auf SZ-Journalistin Cerstin Gammelin und Ärztin Carola Holzner ruht, deren Gesichtsausdrücke sich irgendwo zwischen ungläubig und kurz-vor-einem-unkontrollierten-Lachanfall bewegen. "Sie kriegen die Situation in Bayern nicht in den Griff", sagt Anne Will und startet einen Einspieler mit den traurigen Fakten, was Markus Söder naturgemäß nicht davon abhält, seine entschlossenen Maßnahmen zu loben. Den starken Mann markieren, obwohl zuhause die Inzidenzen durch die Decke gehen, das würde anderen Politikern die Schamesröte ins Gesicht treiben, Söder ist das Konzept "Scham" praktischerweise völlig unbekannt.
Rührend, wie Will den CSU-Chef dann auch noch bittet, die eigene Politik "selbstkritisch" zu hinterfragen, als wüsste sie nicht, mit wem sie da gerade redet.
Überraschung: Markus Söder hat viele Theorien, was da in Bayern schief läuft, einige reichen Jahrhunderte zurück und bis in den österreichischen Alpenraum, nur mit den letzten Monaten und der bayrischen Staatskanzlei hat der ganze Schlamassel natürlich nichts zu tun.
Das ist das Ergebnis
"Wir werden alles tun, um einen Lockdown zu verhindern". So sprach Konstantin Kuhle, wohlwissend, was dieser Satz in einem Monat wert sein kann, wenn sich die schlimmsten Befürchtungen zu Omikron bewahrheitet haben.
Herumschlagen muss sich mit der unsicheren Lage bald der neue Gesundheitsminister – oder die neue Gesundheitsministerin. Noch hat Olaf Scholz den Posten ja nicht vergeben, Anne Will versuchte erfolglos, Karl Lauterbach Neuigkeiten zu entlocken, wer wollte, konnte in Lauterbachs Miene eine gewisse Unzufriedenheit entdecken - ein Zeichen, dass er es nicht wird?
Medizinerin Carola Holzner appellierte an Olaf Scholz: "Ich würde mich freuen, wenn Sie Minister werden (…), es gibt keinen, der das Amt so ausführen kann." Lauterbach bedankte sich artig, "ich finde das sehr schmeichelhaft", und etwas leiser setzte er nach: "Vielleicht schaut er ja zu." Und auch der Segen von ganz oben, also aus der CSU-Zentrale, folgte noch: Markus Söder sprach sich für Lauterbach aus, auch weil der neue Minister "nicht 100 Tage Einarbeitungszeit" benötigen sollte. Auch er weiß: Schon die nächsten Wochen sind entscheidend.
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