- Die EU-Kommission will Facebook, WhatsApp und andere Anbieter verpflichten, private Kommunikation auf Hinweise zu Kindesmissbrauch zu scannen.
- Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP sowie Justizminister Buschmann lehnen die "Chatkontrolle" strikt ab.
- Das Bundesinnenministerium findet in den Plänen der Europäischen Union dagegen auch positive Aspekte.
- Noch ist es der Koalition nicht gelungen, sich auf eine Position festzulegen. Die Union drückt aufs Tempo.
Darf ein Staat sich Einblick in die private Kommunikation seiner Bürgerinnen und Bürger verschaffen, um dort Darstellungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder aufzuspüren? Sollen WhatsApp, Signal, Facebook, Telegram und andere Anbieter dafür Text- und Bildnachrichten durchleuchten?
Über dieses Thema wird gerade in Europa diskutiert. Anlass sind die Pläne der Europäischen Kommission zur sogenannten Chatkontrolle. Auch die deutsche Bundesregierung will dazu bald eine gemeinsame Haltung finden – doch die ist bisher nicht in Sicht.
Chatkontrolle: Das sind die Pläne der EU-Kommission
Im vergangenen Mai hat die EU-Kommission den Entwurf für eine Verordnung vorgestellt, mit der sie gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder vorgehen will. Innen-Kommissarin Ylva Johansson will es Sicherheitsbehörden zum Beispiel erleichtern, kinderpornografisches Material aufzuspüren. Konkret sieht der Entwurf unter anderem vor:
- Die EU will soziale Netzwerke und Messenger wie WhatsApp, Signal, Facebook oder Instagram verpflichten, die private Kommunikation ihrer Nutzerinnen und Nutzer zu scannen: Sie sollen dort gezielt nach Darstellungen sexueller Gewalt gegen Kinder suchen. Dazu müssten sie wahrscheinlich die Verschlüsselung von privaten Nachrichten umgehen oder aussetzen.
- Ein neues EU-Zentrum soll die technischen Möglichkeiten für dieses Scannen schaffen und verdächtige Inhalte prüfen.
- Bekämpfen will die EU nicht nur den Austausch von Fotos und Videos, sondern auch das sogenannte Grooming. Dabei erschleichen sich Erwachsene im Internet das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen, um sie sexuell zu belästigen. Deswegen müssten die Anbieter auch Textnachrichten durchleuchten.
- Anbieter sollen zudem die Möglichkeit bekommen, den Zugang von Minderjährigen zu bestimmten Apps komplett zu beschränken. Kinder und Jugendliche sollen Programme, die für sie gefährlich werden können, dann gar nicht mehr nutzen können.
EU-Kommissarin Johannsson weist auf den hohen Handlungsbedarf hin: Allein 2021 seien rund 85 Millionen Missbrauchsdarstellungen entdeckt worden. Dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder entschiedener bekämpft werden muss, würde wohl jeder unterschreiben. Doch Kritikerinnen und Kritiker sehen in den EU-Plänen einen zu massiven Eingriff in die Privatsphäre. Diese Kritik ist in Deutschland nicht nur von Bürgerrechtsorganisationen zu hören, sondern auch von Parteien aus den Bundesländern und von Datenschützern.
Viel Widerstand von SPD, Grünen und FDP
"Eine europäische Koordination der Strafverfolgungsbehörden ist grundsätzlich sinnvoll. Auch ein EU-Zentrum könnte man so ausgestalten, dass es eine gute Sache wird", sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Tobias Bacherle, Obmann seiner Fraktion im Digital-Ausschuss. Eine Hintertür bei den Messengern einzubauen, würde aus seiner Sicht aber eine neue Sicherheitslücke schaffen. "Damit würde man eine Technologie entwickeln und marktreif machen, die auch auf andere Themen umprogrammiert oder von anderen Staaten eingefordert werden könnte", sagt Bacherle. "Private Kommunikation muss privat bleiben. Auch Opfer müssen zum Beispiel geschützt kommunizieren können."
Die SPD-Abgeordnete und Innen-Politikerin Carmen Wegge hält ein europäisches Vorgehen bei dem Thema ebenfalls für sinnvoll. Trotzdem müsse die Verhältnismäßigkeit gewährleistet sein. "Beim aktuellen Vorschlag der EU-Kommission ist das aus meiner Sicht nicht der Fall", so Wegge. Mit der umstrittenen Verordnung bestehe die Gefahr einer Architektur, "die in den Messengern aktiv Schwachstellen einbaut und eine anlasslose Überwachung von privater Kommunikation an- und ausschaltbar werden lässt".
Der FDP-Europa-Abgeordnete Moritz Körner sieht auch das Scannen von Textnachrichten kritisch: "Dies würde das Ende des digitalen Briefgeheimnisses für die EU-Bürger bedeuten", schreibt er auf seiner Homepage.
Auch Bundesjustizminister
Innenministerin Nancy Faeser: "Rechtsstaatliche Balance halten"
Neben dem Justizressort sehen auch die Bundesministerien für Familie sowie für Verkehr und Digitales die EU-Pläne kritisch. Die Federführung bei dem Thema hat allerdings das Bundesinnenministerium. Dort sieht man die Sache offenbar differenzierter.
Bundesinnenministerin
Faeser hat ihr Ziel folgendermaßen formuliert: "Wir werden erstmals europäische Instrumente schaffen, um Onlineplattformen in die Pflicht zu nehmen, damit Missbrauchsdarstellungen entdeckt, gelöscht und die Täter verfolgt werden." Wie genau das aussehen könnte, ist bisher aber unklar.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums weist auf Anfrage unserer Redaktion zudem darauf hin, dass einige Maßnahmen schon jetzt von den Anbietern auf freiwilliger Basis umgesetzt werden. Aus Sicht des Ministeriums liefern diese Maßnahmen immer wieder wichtige Ansätze für Ermittlungen. Die rechtliche Basis ist eine befristete Verordnung, die im August 2024 ausläuft. "Der Kommissionsentwurf strebt eine rechtssichere und dauerhafte Rechtsgrundlage im Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern an", so der Sprecher.
Die Kritiker der Chatkontrolle sind überzeugt, dass ein größerer Erfolg beim Kampf gegen Missbrauchsdarstellungen auch ohne neue Eingriffsmöglichkeiten des Staates möglich wären. "Mehr Daten allein helfen der Sache noch nicht", sagt der Grünen-Abgeordnete Bacherle. Die Sicherheitsbehörden müssten Daten auch verarbeiten und auswerten, um festzustellen, ob es sich um strafbare Inhalte oder unproblematische Amateurfotos handelt. "Das Bundesinnenministerium hat bisher nicht gesagt, was den Sicherheitsbehörden für eine effektivere Strafverfolgung fehlt."
Mehrheiten auf EU-Ebene unklar
Für die Verhandlungen auf europäischer Ebene braucht die deutsche Bundesregierung eine gemeinsame Position. Diese Position suchen die Ministerien gerade. Die Opposition drückt aufs Tempo. Er begrüße die Zielrichtung des EU-Vorstoßes, teilt Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, mit. Die Union hat auch bei einem anderen umstrittenen Thema – der Vorratsdatenspeicherung – nicht so große Datenschutzbedenken wie die Ampel-Parteien.
Allerdings sieht auch Throm noch technischen und rechtlichen Klärungsbedarf. In der vergangenen Sitzung des Innenausschusses im Bundestag habe man die Bundesregierung um eine Stellungnahme gebeten, sagt er. Die Ampel-Koalition habe den Tagesordnungspunkt aber abgesetzt. "Offenbar, weil die Bundesregierung bei diesem Thema selbst noch keine abgestimmte Position hat."
Die Verhandlungen im Europäischen Rat werden im Januar weitergehen. Ob die Kommissionspläne dort durchfallen oder bestätigt werden, ist noch offen. Das Veto eines einzelnen Staates könnte die Chatkontrolle nicht stoppen, entschieden wir per Mehrheit. Als erstes EU-Mitgliedsland hat sich Anfang November Österreich klar gegen die Pläne der EU-Kommission gestellt. Der EU-Unterausschuss des Nationalrats sprach sich mit großer Mehrheit gegen das Gesetzesvorhaben aus. Auch Polen, die Niederlande und Finnland gelten als skeptisch.
Verwendete Quellen:
- Europäische Kommission: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern
- Pressestellen des Bundesjustizministeriums und des Bundesministeriums für Inneres und Heimat
- Gespräch mit Tobias Bacherle, Bündnis 90/Die Grünen
- Stellungnahmen von Carmen Wegge (SPD) und Alexander Throm (CDU)
- Moritz-koerner.eu: Was bedeutet die Chatkontrolle?
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.