Marco Wanderwitz tickt in vielen Fragen anders als der Mainstream seiner Partei. Der CDU-Bundestagsabgeordnete setzt sich für ein AfD-Verbotsverfahren ein und findet, dass die Grünen besser sind als ihr Ruf. Im Interview spart er nicht mit Kritik an seinem eigenen sächsischen Landesverband.
Marco Wanderwitz kennt den Osten Deutschlands gut. Der CDU-Politiker, in Sachsen geboren und aufgewachsen, war von 2020 bis 2021 Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. In seiner Heimat konnte er mit ansehen, wie sich AfD immer weiter radikalisiert. Seit einer Weile warnt er lautstark: Die Partei hat den Boden des Grundgesetzes längst verlassen.
"Wir Deutsche wollen nicht noch einmal erleben, dass eine rechtsradikale Partei dieses Land übernimmt", sagt Wanderwitz im Interview. Deshalb sucht er im Bundestag nach Verbündeten, um ein AfD-Verbot in die Wege zu leiten. Wir haben mit ihm über die Chancen eines solchen Verfahrens, den Umgang der CDU mit den Grünen und mögliche künftige Koalitionen gesprochen.
Herr Wanderwitz, Sie sind ein Verfechter eines AfD-Verbotsverfahren und rechnen diesem sehr gute Chancen auf Erfolg aus. Was macht Sie da so sicher?
Ich bin Sachse und kann daher vor Ort einen AfD-Landesverband beobachten, der sich de facto nicht mehr von der seinerzeitigen NPD, jetzt "die Heimat", unterscheidet. Zudem ist die Sachsen-AfD sehr dominant innerhalb der gesamten Partei, stellt beispielsweise überproportional viele Mitglieder der Bundestagsfraktion, den Parteivorsitzenden und der Spitzenkandidat der Europawahl. Das bringt mich dazu, dass die AfD eine rechtsradikale, wirkmächtige Partei ist und alle Voraussetzungen für ein gelingendes Verbotsverfahren vorliegen.
Bei Bürgerinnen und Bürgern könnte der Eindruck entstehen, man will mit dem Verbot nur einen unliebsamen politischen Gegner loswerden. Was entgegen Sie darauf?
Das Verbotsverfahren steht seit 1949 mit guten Gründen in unserem Grundgesetz. Es ist eine der Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik und dem, was an Furchtbarem danach gekommen ist. Wir Deutsche wollen nicht noch einmal erleben, dass eine rechtsradikale Partei dieses Land übernimmt. Das ist der große Unterschied zwischen der AfD und den anderen Parteien: Die AfD steht außerhalb des Verfassungsbogens. Das Argument, man wolle mit dem Verbot nur einen politischen Gegner loswerden, ist insofern untauglich, als dass die AfD eben kein demokratischer Wettbewerber ist.
Sie suchen derzeit im Bundestag nach Verbündeten für ein AfD-Verbotsverfahren. Wie weit sind Sie bisher gekommen?
Ich komme sehr gut voran. Die "taz" hat neulich eine Liste mit 49 Bundestagsabgeordneten veröffentlicht, die einem Prüfauftrag für ein Verbotsverfahren an die Bundesregierung oder einem direkten Verbotsantrag aufgeschlossen gegenüberstehen. Auf meiner eigenen Liste stehen noch deutlich mehr und andere Namen, insbesondere auch von Unionsabgeordneten.
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Marco Wanderwitz: "Friedrich Merz lehnt ein AfD-Verbotsverfahren nicht mehr kategorisch ab"
Man hat jedoch den Eindruck, dass in Ihrer eigenen Partei die Skepsis gegen ein AfD-Verbotsverfahren nach wie vor besonders groß ist. Wie überzeugen Sie die anderen Unionspolitiker?
Ich führe viele Gespräche und berichte aus meiner sächsischen Lebenswirklichkeit. Die unterscheidet sich natürlich beispielsweise von der im Sauerland oder in Hamburg. Auch mit meinem Partei- und Fraktionsvorsitzenden
Woher könnten die Informationen kommen?
Vom Verfassungsschutz. Derzeit klagt die AfD vor dem Oberverwaltungsgericht Münster gegen ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Ich gehe davon aus, dass ähnlich wie beispielsweise beim Verfahren in erster Instanz beim Verwaltungsgericht Köln bei der Urteilsverkündung im März viel neues Material des Verfassungsschutzes zur AfD offenbar wird. Meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter und ich sind uns auch einig, dass wir das Ende dieses Verfahrens abwarten wollen, bevor wir im Bundestag weitere Schritte einleiten. In Sachsen ist die AfD bereits "gesichert rechtsextrem" und das Landesamt für Verfassungsschutz hat ein über 100-seitiges Gutachten erstellt, auf dem die Einschätzung fußt, hält es aber unter Verschluss.
Ministerpräsident in Sachsen ist Ihr Parteikollege
Möglicherweise hält man das Gutachten zurück, um bei einem Verbotsverfahren etwas in der Hinterhand zu haben, auf das AfD nicht vorbereitet ist. Gleichwohl halte ich es für besser, wenn solche Informationen öffentlich würden. Ich erwarte von den Landesregierungen, deren Verfassungsschutzämter die AfD als gesichert rechtsextrem einstufen, dass sie im Bundesrat ein Verbotsverfahren anstrengen. Das trifft derzeit auf Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen zu, wo jeweils verschiedenfarbige Konstellationen regieren. Das ist keine parteipolitische Frage.
Mehrheiten ohne die AfD werden nicht nur in den ostdeutschen Bundesländern immer schwieriger. Dennoch bekam Ihr Vorsitzender, Friedrich Merz, Gegenwind aus den eigenen Reihen, als er Schwarz-Grün als Möglichkeit auf Bundesebene ins Spiel brachte. Verrennt sich Ihre Partei gerade bei der Koalitionsfrage?
Ich habe mich sehr gefreut, dass Friedrich Merz das so ausgesprochen hat. Auch ich bin der Meinung, dass grundsätzlich alle Demokraten miteinander koalitionsfähig sein müssen. Natürlich hat man bestimmte Wunschkonstellationen, aber diese Ausschließeritis ist falsch. Es spricht einiges dafür, dass Schwarz-Grün ein Modell für den Bund sein kann. Immerhin koaliert die CDU in fünf Bundesländern, darunter dem mit Abstand größten, erfolgreich mit den Grünen. Leider vergeht in der CDU Sachsen kaum eine Woche, in der die Grünen nicht überhart beschimpft werden.
"Die Linkspartei ist keine mehrheitlich linksradikale Partei mehr"
Ist das ein Fehler von Kretschmer? Immerhin sind die Grünen auch in Sachsen Teil der Regierung.
Ich halte das für einen großen Fehler. Denn diese Koalition funktioniert so schlecht nicht. Wenn man den Ministerpräsidenten fragt, wie er denn künftig regieren will, muss er eben dann zudem doch eingestehen, dass er wieder mit den Grünen koalieren wird, wenn es rechnerisch nicht anders geht. Das ist alles nicht konsistent. Besser wäre es doch, die Gemeinsamkeiten und die Erfolge der Regierung in den Mittelpunkt zu stellen und dann im Nachgang zu betonen, was die CDU trotzdem von den anderen Parteien unterscheidet. Ich erlebe aber leider regelmäßig eine CDU Sachsen, deren Beschimpfung der Grünen sich nicht wesentlich von der Beschimpfung der Grünen durch die AfD unterscheidet. Sprache ist für Demokratinnen und Demokraten, für die Demokratie aber unendlich wichtig. Zudem ist es in der Sache so nicht gerechtfertigt.
In Thüringen könnte es nach den Landtagswahlen für die CDU nur die Wahl zwischen AfD und Linke geben. Die Union hat aber einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei. Was halten Sie davon?
Ich plädiere dafür, das noch einmal zu diskutieren. Vor allem wäre es wichtig, AfD und Linkspartei getrennt zu betrachten. Die AfD ist eine unzweifelhaft rechtsradikale Partei, die Linkspartei aber keine mehrheitlich linksradikale Partei mehr. Ich will der Diskussion aber nicht vorgreifen: Möglicherweise kommt man in der CDU dennoch zum selben Ergebnis wie zuvor, beispielsweise weil in der Linkspartei nach wie vor Menschen Verantwortung tragen, die sich in der SED-Diktatur schuldig gemacht haben, oder weil es dort Politikerinnen und Politiker gibt, die Verbindungen zu Linksradikalen haben, wie es etwa bei uns in Leipzig wohl der Fall ist.
Bis zu den Landtagswahlen im Osten ist es nicht mehr lange. Wie könnte der Zeitplan für eine neue Beschlusslage der CDU aussehen?
Der derzeitige Unvereinbarkeitsbeschluss ist ein Bundesparteitagsbeschluss. Insofern spricht einiges dafür, dass ein Parteitag sich damit befassen muss. Es gibt auch kleine Parteitage, den sogenannten Bundesausschuss. Ebenso gut könnte der Bundesvorstand so einen Beschluss treffen. Ich habe nach vier Jahren Mitgliedschaft nicht mehr für den Bundesvorstand kandidiert und mich auch nicht mehr als Delegierter für den Bundesparteitag aufstellen lassen. Insofern tue ich mich ein bisschen schwer, den Kolleginnen und Kollegen in diesen Gremien jetzt von außen konkrete Zeitpläne vorzulegen. Aber aus meiner Sicht, und da bin ich ja nicht allein, muss die Diskussion geführt werden.
Die CDU muss sich auch darüber verständigen, ob für sie das "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) und die geplante Partei "Werteunion" als Koalitionspartner infrage kommen könnten. Wie denken Sie darüber?
Allerdings müssen wir uns darüber verständigen! Für "Werteunion"-Mitglieder hat der CDU-Bundesvorstand mittlerweile einen Unvereinbarkeitsbeschluss avisiert. Man kann also nicht mehr in beiden Organisationen gleichzeitig Mitglied sein. Ich bin der Meinung, auch eine Koalition mit der Partei "Werteunion" sollte ausgeschlossen werden. Herr Maaßen und seine Truppen haben das konservative demokratische Spektrum verlassen. Über das BSW wissen wir noch nicht viel. Aber die zentrale Person dort ist natürlich die Namensgeberin Sahra Wagenknecht, die eine ziemlich gruselige Vergangenheit hat. Noch 1994 gab sie Interviews, in denen sie sich die DDR, die SED-Diktatur, zurückwünschte. Sie war in der linksradikalen kommunistischen Plattform aktiv. Mittlerweile sitzt sie bei Herrn Putin, einem Diktator, der Blut an den Händen hat, auf dem Schoß. Demnach ist das BSW keine Option für uns.
Über unseren Gesprächspartner
- Marco Wanderwitz ist 1975 in Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz, in der der DDR geboren. Der Rechtsanwalt trat 1998 in die CDU ein und sitzt seit 2002 im Bundestag. Von Februar 2020 bis Dezember 2021 war Wanderwitz Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. 2018 wurde er in den Bundesvorstand der CDU gewählt und war dort vier Jahre lang Mitglied. Wanderwitz lebt in Leipzig und hat vier Kinder.
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