Noch vor dem Start der Koalitionsverhandlungen haben sich die schwarz-roten Sondierer geeinigt: Die Verteidigung bekommt einen nahezu unbegrenzten Spielraum, die Infrastruktur 500 Milliarden. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sieht einen Linksruck bei der Union.

Ein Interview

Die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD haben am Dienstagabend ein Finanzpaket vorgelegt, das im politischen Berlin und darüber hinaus für Überraschung und Erstaunen sorgte.

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Verteidigungsausgaben von mehr als einem Prozent der Wirtschaftsleistung sollen künftig von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Für die Infrastruktur soll es ein aus Schulden finanziertes Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro geben, das im Grundgesetz verankert werden muss. Und: Die Länder sollen von einer gelockerten Schuldenbremse ebenfalls profitieren.

Doch das Paket muss erst noch durch den Bundestag – ginge es nach CDU-Chef Friedrich Merz, durch den alten. Noch in der kommenden Woche. Dafür brauchen die wohl künftigen Regierungsparteien Stimmen von Grünen oder FDP. Christian Dürr, FDP-Fraktionschef, ist allerdings nicht von allen Vorschlägen überzeugt, wie er im Interview mit unserer Redaktion erklärt.

Herr Dürr, aus Ihrer Partei wurde bereits Kritik an dem Vorhaben von Union und SPD laut. Wird Ihre Fraktion im Bundestag mitstimmen?

Christian Dürr: Es ist richtig, mehr Geld für die Verteidigung zur Verfügung zu stellen. Ich wundere mich allerdings über den relativ kleinen Schritt im Verteidigungsbereich. Da ist von einem Prozent der Wirtschaftsleistung im Bundeshaushalt die Rede, also weniger als heute. Unser Vorschlag wäre, das auf mindestens zwei Prozent zu erhöhen. Verteidigungsausgaben außerhalb der Schuldenbremse, die darüber hinausgehen, könnten wir mittragen.

In der Einigung geht es aber auch um ein Sondervermögen für Infrastruktur.

Richtig. Wenn es nach dem Willen von Union und SPD geht, stehen auf der anderen Seite der Medaille eine halbe Billion Euro zusätzliche Schulden, die der Bund für alles Mögliche in Zukunft aufnehmen kann. Dazu sage ich ganz klar: Mit diesem Vorschlag würde einfach nur linke Wirtschaftspolitik gemacht. Ich wundere mich, wie schnell Herr Merz hier umgekippt ist.

"Ich frage mich, wie Friedrich Merz später mit Donald Trump verhandeln will, wenn er bei Saskia Esken schon umfällt."

Christian Dürr

Das könnten Sie für sich nutzen.

Es geht jetzt darum, das Beste für Deutschland daraus zu machen. Ich appelliere dringend an die Union und Herrn Merz, nicht alles zu vergessen, was sie im Wahlkampf gesagt haben. Ich frage mich, wie Friedrich Merz später mit Donald Trump verhandeln will, wenn er bei Saskia Esken schon umfällt. Das bereitet mir erhebliche Sorgen.

Inwiefern?

Die Union kann nicht ernsthaft Schulden für alles Mögliche aufnehmen, unter dem Deckmantel der Infrastruktur. Das wäre ein faktisches Abschaffen der Schuldenbremse, was Friedrich Merz immer ausgeschlossen hat.

Im ZDF sagten Sie gestern Abend bereits, Sie wären unter Umständen gesprächsbereit. Welche Probleme sehen Sie bei den Plänen von Union und SPD?

Man muss sehen, welche Pakete konkret im Bundestag abgestimmt werden. Beim Thema Verteidigung sind wir natürlich gesprächsbereit, denn die Stärkung der Bundeswehr steht für uns an vorderster Stelle. Da würden wir uns sogar noch mehr wünschen. Aber dieses riesige Halbe-Billion-Schuldenprogramm ist nicht nur absurd, sondern auch gefährlich.

Warum?

Das wird nicht nur zu Steuererhöhungen in Zukunft führen, sondern womöglich auch zu einer erheblichen Inflation. Die Menschen in Deutschland müssen am Ende ausbaden, dass die neue Koalition nur durch Schulden zusammengehalten wird.

"Damit ist die Union wirtschaftspolitisch stramm nach links gerückt. Wahrscheinlich noch linker als in der Zeit von Frau Merkel."

Christian Dürr

Mit dem Festhalten an der Schuldenbremse hätte Ihre Partei zumindest ein Alleinstellungsmerkmal in Zukunft.

Das stimmt, und zwar nicht, weil die Freien Demokraten auf Investitionen verzichten wollen. Im Gegenteil: Wir haben gezeigt, wie man Investitionen aus dem Haushalt finanzieren kann. Immer nur alles mit neuen Schulden zu beantworten, kann auch für neue Probleme sorgen. Was passiert denn, wenn wir in vier Jahren eine Währungskrise in Europa bekommen, weil Deutschland sich Hals über Kopf verschuldet hat? Damit wäre niemandem geholfen.

Allerdings sitzt die FDP künftig nicht mehr im Bundestag. Haben Sie angesichts der Vorhaben von Union und SPD Angst, dass in Zukunft das Geld "für alles Mögliche" aus dem Fenster geworfen wird?

Ja! Meine Sorge ist, dass Löcher jetzt einfach mit Geld gestopft werden, statt dringend notwendige Wirtschaftsreformen auf den Weg zu bringen. Ich bin mir sicher, dass es auch Druck aus der Bevölkerung gegen das Vorhaben geben wird. Denn damit ist die Union wirtschaftspolitisch stramm nach links gerückt. Wahrscheinlich noch linker als in der Zeit von Frau Merkel. Das habe ich nicht erwartet. Die Sorge bleibt, dass diese linke Mehrheit mit der Union gemeinsam wirtschaftspolitisch einen falschen Kurs einschlägt.

Über den Gesprächspartner

  • Christian Dürr ist Jahrgang 1977, in Delmenhorst geboren und seit Dezember 2021 der bis dato letzte Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag. Dürr beendete sein Studium an der Leibniz Universität Hannover 2007 als Diplom-Ökonom. Er trat 1995 zuerst den Jungen Liberalen (Julis) bei und kurze Zeit später auch der FDP. Seit 2017 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages.