Wie umgehen mit einer AfD, die immer weiter nach rechts rückt? Es kann nur eine politische Antwort geben, sagen Kritiker eines Verbotsverfahrens. Der Jurist Bijan Moini widerspricht: Der Gang vors Verfassungsgericht muss in Erwägung gezogen werden.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Joshua Schultheis sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Im April 2022 veröffentlicht Björn Höcke einen Beitrag auf Facebook. "Der Krieg in der Ukraine ist schrecklich – aber es ist nicht unser Krieg!", schreibt der einflussreiche Thüringer AfD-Landesvorsitzende. Den "Altparteienpolitikern" wirft er vor, Deutschland in den Konflikt hineingezogen zu haben. "Sie tun das nur, weil sie die Statthalter des US-Establishments im Vasallenstaat BRD sind."

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Steht jemand, der so spricht, auf dem Boden des Grundgesetzes? Nein, glaubt der deutsche Inlandsgeheimdienst – und führt obiges Zitat als Beispiel für die Verächtlichmachung des politischen Systems der BRD sowie die mögliche Verfassungsfeindlichkeit der AfD an.

Die Rechtsaußen-Partei wird vom Verfassungsschutz als "rechtsextremer Verdachtsfall" beobachtet. Ein Grund: Führende Politiker der AfD bedienen verschwörungstheoretische und rassistische Narrative. Die Partei, stellt der Geheimdienst fest, rückt seit ihrer Gründung immer weiter nach rechts.

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Immer mehr Stimmen befürworten ein Verbotsverfahren

Über die Frage, ob die AfD deshalb auch verboten werden sollte, ist eine kontroverse Debatte entbrannt. Seit sie in Umfragen einen Höhenflug erlebt – bundesweit steht die AfD derzeit bei etwa 22 Prozent und in Ostdeutschland wäre sie stärkste Kraft –, mehren sich die Stimmen, die ein Verbotsverfahren befürworten.

"Es ist wichtig, dass über ein AfD-Verbot gesprochen wird und so auch Wählerinnen und Wähler aufgerüttelt werden", sagte etwa SPD-Vorsitzende Saskia Esken der Deutschen Presse-Agentur Anfang Januar.

Marco Wanderwitz, CDU-Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Ostbeauftragter der Regierung, arbeitet gar seit einer Weile an einem überparteilichen Bündnis, das ein Verbotsverfahren anstoßen soll. Er erlebt die AfD als "durchradikalisiert an Haupt und Gliedern", wie er im Interview mit der "Frankfurter Rundschau" sagte. Wanderwitz gehe es darum, der Partei "grundsätzlich den Stecker" zu ziehen.

AfD-Bundessprecherin Alice Weidel hält diese Vorschläge für antidemokratisch. "Frau Esken, Herrn Wanderwitz und Co. sind schon lange die inhaltlichen Argumente gegen unsere politischen Vorschläge ausgegangen", sagte sie auf Anfrage unserer Redaktion. "Deshalb möchten sie jetzt gerne die störende Oppositionspartei AfD verbieten", sagt Weidel. "Wenn sich diese Personen im selben Atemzug auch noch demonstrativ als 'Demokraten' bezeichnen und behaupten, sie verteidigten die Demokratie, wird es vollends absurd."

Von der Zustimmung der AfD wäre ein eventuelles Verbotsverfahren selbstverständlich nicht abhängig. Doch wie genau läuft ein solch ungewöhnlicher Prozess in Deutschland ab?

Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch

Ein Verbotsverfahren können sowohl der Bundestag mit einer Mehrheit der Abgeordneten als auch Bundesregierung und Bundesrat anstoßen. Ob eine Partei tatsächlich verboten wird, entscheidet aber allein das Bundesverfassungsgericht – auch unabhängig von der Bewertung des Verfassungsschutzes.

Ausgangspunkt ist der Artikel 21 des Grundgesetzes. Dort heißt es: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."

Ergänzt wird das Gesetz durch vergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Demnach reicht für ein Verbot die bloße Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen nicht aus. Es müssen eine "aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung" hinzukommen sowie die Aussicht, dass für die Partei die Erfüllung ihrer Ziele nicht gänzlich aussichtslos ist.

Das sind hohe Hürden. Nur zweimal in der Geschichte der BRD wurden diese auch genommen: 1952 verbot das Bundesverfassungsgericht die NSDAP-Nachfolgerin Sozialistische Reichspartei sowie 1956 die Kommunistische Partei Deutschland. Zwei Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD, heute "Die Heimat", scheiterten dagegen. 2003 aus formalen Gründen: In der Führungsriege seien zu viele V-Leute, also Informanten des Verfassungsschutzes, argumentierte das Bundesverfassungsgericht. 2017 lehnte das Gericht einen Verbotsantrag ab, weil es eines der Kriterien als nicht erfüllt ansah: Die NPD sei zu unbedeutend, um ihre Ziele umzusetzen.

Ex-AfD-Chef Meuthen: Verbotsantrag wäre "fataler Fehler"

Um zu dieser Auffassung zu kommen, hatte das Gericht vier Jahre lang alle Beweise und Gegenbeweise geprüft. Das Beispiel zeigt: Ein eventuelles Verbotsverfahren gegen die AfD würde viel Zeit in Anspruch nehmen und kein kurzfristiges Mittel gegen die Partei sein. Politikerinnen und Politiker ganz unterschiedlicher Couleur führen zudem noch weitere Argumente gegen ein AfD-Verbotsverfahren an.

"Politisch hielte ich einen Verbotsantrag für einen fatalen Fehler", sagte der ehemalige AfD-Vorsitzende und heute parteilose Europaabgeordnete Jörg Meuthen auf Anfrage unserer Redaktion. Im Januar 2022 hatte Meuthen die AfD verlassen und ihr einen starken Rechtsruck sowie "totalitäre Anklänge" diagnostiziert. Dennoch glaubt er: Die Auseinandersetzung mit der AfD "muss zwingend inhaltlich erfolgen".

Ähnlich sieht das der SPD-Abgeordnete und aktuelle Ostbeauftragte Carsten Schneider. "Wenn wir eine Partei verbieten, die uns nicht passt, die in Umfragen aber stabil vorne liegt, dann führt das zu noch größerer Solidarisierung mit ihr", sagte er im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Petra Pau (Linke), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, sagte der "Frankfurter Rundschau": "Man muss die AfD politisch stellen und allen sagen, wen sie da wählen."

Jurist Moini: Bisherige Strategien gegen die AfD sind gescheitert

Den Juristen Bijan Moini überzeugen solche Einwände nicht. Die bisherigen Strategien der anderen Parteien gegen die AfD seien gescheitert, glaubt der Legal Director des Vereins "Gesellschaft für Freiheitsrechte", der sich der Demokratieförderung verschrieben hat. "Die AfD im Parlament auszugrenzen und sie inhaltlich zu stellen, wurde die längste Zeit seit ihrer Gründung versucht", sagt er. Heute müsse man die Erfolgslosigkeit dieses Ansatzes eingestehen.

"Mittlerweile ist es sogar vorstellbar, dass die AfD bald in einem ostdeutschen Bundesland den Ministerpräsidenten stellt", konstatiert Moini. Auch eine inhaltliche Annäherung an die AfD, etwa in der Migrationspolitik, habe daran nichts geändert.

Ein Verbotsverfahren müsse daher als Option in Betracht gezogen werden, ist Moini überzeugt. Auch wenn nicht absehbar sei, ob die AfD die strengen Kriterien für ein Verbot auch erfüllen würde. Das müsse das Bundesverfassungsgericht in einem langwierigen Verfahren feststellen. "Dem will ich nicht vorgreifen", sagt der Jurist. "Die politisch Verantwortlichen sollten aber zwingend prüfen, ob ein Verbotsverfahren Aussicht auf Erfolg hat – und dieses dann auch anstreben."

Die Erfolgsaussichten eines AfD-Verbotsverfahrens sind umstritten. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) prognostiziert im Gespräch mit der "Stuttgarter Zeitung" ein "aus Mangel an Beweisen von vornherein aussichtsloses Verfahren" und befürchtet ein "Propagandafest für die AfD". Ganz anders sieht das das Deutsche Institut für Menschenrechte. Die Nichtregierungsorganisation hat einen umfangreichen Bericht zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen der AfD veröffentlicht und kommt zu dem Ergebnis: Die Partei als Ganzes erfüllt alle Kriterien für ein Verbot.

Moini: Verbot von AfD-Teilorganisationen wäre "kluge Möglichkeit"

Bijan Moini weist auf eine alternative Möglichkeit hin: Auch Teilorganisationen der AfD können verboten werden. "Bei den Landesverbänden Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt liegt das nahe." Die drei ostdeutschen Verbände werden vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft.

Zunächst bei ihnen anzusetzen und nicht bei der Bundespartei hält Moini für "eine kluge Möglichkeit, ein Verbot auf das zu beschränken, was möglich und auch der Bevölkerung vermittelbar ist". Dem Eindruck, die anderen Parteien wollten sich nur eines politischen Mitbewerbers entledigen, könnte so entgegengewirkt werden.

Verwendete Quellen

Über unseren Gesprächspartner

  • Bijan Moini (Jahrgang 1984) ist studierter Politikwissenschaftler und promovierter Jurist. Er ist Legal Director bei der Nichtregierungsorganisation "Gesellschaft für Freiheitsrechte" und Vorstandsmitglied der "Stiftung Jeder Mensch". Moini publiziert in renommierten Medien regelmäßig zu juristischen Themen. Von ihm erschienen unter anderem das Sachbuch "Unser gutes Recht. Was hinter den Gesetzen steckt" sowie der Roman "Der Würfel".
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