Ex-Innenminister Gerhart Baum (FDP) wirbt für die Ampel. Von seiner Partei erwartet er mehr Pragmatismus – auch beim Thema Steuererhöhungen. Besorgt zeigt sich Baum über das Erstarken der AfD.

Ein Interview

Gerhart Baum (91) ist seit 1954 Mitglied der FDP. Als Innenminister unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) erlebte er, wie die sozialliberale Koalition zerbrach. Seiner Partei blieb der bekennende Linksliberale auch danach in kritischer Solidarität verbunden – bis heute. Baum meint: Es braucht eine liberale Kraft in Deutschland.

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Im Interview mit unserer Redaktion vor dem traditionellen Dreikönigstreffen der FDP am 6. Januar sagt Baum, warum die FDP in der Ampel zu oft als Neinsager-Partei wahrgenommen wird. Ein Absprung aus der Koalition sei aber keine Alternative. Mit Blick auf die Landtagswahlen im Osten in diesem Jahr warnt Baum vor den Gefahren für die Demokratie. Die etablierten Politiker müssten wieder Vertrauen aufbauen, fordert er.

Herr Baum, bei der Mitgliederbefragung der FDP zum Verbleib in der Ampel hat sich nur eine knappe Mehrheit dafür ausgesprochen. Woher kommt der Frust mit der Koalition?

Gerhart Baum: Für einige ist es schwer zu begreifen, dass eine Dreierkoalition, auch so unterschiedlicher Parteien, eben schwieriger ist als Zweierbündnisse. Die Kompromissfähigkeit der FDP wird hier stärker auf den Prüfstand gestellt. Für die FDP wie für SPD und Grüne gilt: Die Ampel wird eben nur als Ganzes wahrgenommen. Das heißt, wenn sie funktioniert, nützt es allen und wenn nicht, dann zahlen alle Partner den Preis. Es wäre aber komplett falsch, die Koalition platzen zu lassen. Das wäre Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

Die FDP hat also keine Wahl?

Das Land braucht eine handlungsfähige Regierung. Andere Mehrheiten sind nicht in Sicht und auch keine Neuwahlen. Der Mitgliederentscheid mit knappem Ausgang und geringer Beteiligung hat eines wieder ganz deutlich gemacht: Die FDP und ihre Führung müssen Vertrauen bilden – Vertrauen bei den vielen verunsicherten Menschen, also bei den Wählern und den eigenen Mitgliedern.

Altliberaler Baum: "Oft blieb das Bild einer Neinsager-Partei"

Was aber zweifellos stimmt: Seit die FDP im Bund regiert, hat sie in den Ländern verloren.

Das hat unterschiedliche Gründe. Einen habe ich gerade benannt. Ein weiterer war sicherlich eine mitunter zu sorglose Haltung in der Corona-Krise, die viele ältere Menschen, etwa hier in NRW, verschreckt hat. Und natürlich spielt vor allem die Bundespolitik eine Rolle. Die FDP hat ihren Anteil an Entscheidungen nicht immer deutlich gemacht. Oft blieb das Bild einer Neinsager-Partei, was ja so nicht stimmt. Die FDP gestaltet, sie ist ein notwendiges liberales Korrektiv. Aber was hängen bleibt, ist, dass sie überall dagegen ist. Ich rate meiner Partei allerdings davon ab, unerfüllbare Versprechungen zu machen und auf veralteten Positionen zu beharren.

Woran denken Sie?

Nehmen wir die Haushaltskrise. Man geht in Verhandlungen und sagt: Auf keinen Fall Steuererhöhungen. So entsteht bei den Menschen der Eindruck, dass alles bleibt, wie es ist und niemand ein Opfer bringen muss. Das ist aber nicht der Fall und kann es auch nicht sein. Es wäre ehrlich zu sagen: Ja, der Wind weht rauer. Wir haben einen Krieg in unserer Nähe, wir haben die Klimakatastrophe. So zu tun, als könnte alles so bleiben, wie es ist, ist einfach unrealisierbar.

Gilt das auch für das Festhalten an der Schuldenbremse?

Das ist eine Sache, die hochgespielt wird. Ich bin der Meinung, dass es natürlich eine stabile, nachhaltige Finanzpolitik geben muss. Aber die Modalitäten der Schuldenbremse sollten doch zumindest überdacht werden. Und auch die Opposition täte gut daran, sich an dieser Diskussion konstruktiv zu beteiligen. Denn sie will eines Tages wieder regieren.

FDP-Chef Christian Lindner vermittelt mitunter den Eindruck, als verspüre er nur noch wenig Lust, mit SPD und Grünen gemeinsam zu regieren. Was bedeutet das für den Rest der Legislaturperiode?

Eine Koalition ist doch keine Liebesheirat. Sie ist es Zweckbündnis. Und so sollte es auch gesehen werden. Der Wähler hat es so gewollt, eine andere Mehrheit ist nicht zustande gekommen. Und jetzt gilt es, bis zum Ende der Legislatur das Beste daraus zu machen. Viele FDP-Anhänger haben eine Sehnsucht nach einem Bündnis mit der Union, ohne zu sehen, dass die Union keine liberale Partei ist. Ein Handicap der FDP ist, dass sie keine klare Strategie hat: Will sie Wähler von der Union oder gar der AfD zurückholen oder die wirklich liberal gesinnten, aufgeklärten Bürger gewinnen.

Die Ampel hat also noch eine Zukunft?

Ja, warum denn nicht? Jedenfalls gibt es keine Alternative. Nur muss sie besser werden.

Was raten Sie Ihrer Partei, um wieder in die Offensive zu kommen?

Sie muss klarmachen, dass sie die einzige liberale Partei ist, die dieses Land hat und braucht. Der politische Liberalismus hat eine lange Tradition. Es ist wichtig, sich auf die Wurzeln zu besinnen. Wer sind die Liberalen, was bedeutet Liberalismus in einer fundamentalen Weltkrise? Wozu braucht es die Liberalen? Es gibt nur eine Partei, die auf allen Politikfeldern freiheitlich denkt – das ist die FDP. Ich wünsche mir aber, dass sie es mitunter konsequenter tut. Sie muss Freiheit immer auch mit Verantwortung verbinden, mit den Schutzaufgaben, die der Staat zu übernehmen hat, dazu gehört auch das Soziale.

"Die AfD ist der parlamentarische Arm des Rechtsextremismus"

Gerhart Baum

In Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird in diesem Jahr gewählt. Und in allen drei Ländern könnte die AfD stärkste Kraft werden. Was sagt das über den Zustand der Demokratie aus?

Die Demokratie ist wirklich gefährdet. Das müssen die erkennen, die Verfassungsfeinde und Systemverächter wählen. Die AfD ist der parlamentarische Arm des Rechtsextremismus. Und diese Rechtsextremen wollen unsere freiheitliche Ordnung, auch die in Europa, zerstören. Im Mai feiern wir 75 Jahre Grundgesetz. Seine Bindungswirkung schwindet – auch dadurch, dass die Demokraten sich nicht entschieden genug wehren.

Erfolg der AfD "ist kein ostdeutsches Problem"

Warum sind gerade so viele Ostdeutsche anfällig für den Sound der AfD?

Es ist kein ostdeutsches Problem. Die AfD steht im Bund bei 23 Prozent – das ist doch kein Pappenstiel. Für manche Wähler im Osten mag die AfD ein gewisses Heimatgefühl ansprechen. Das rechtfertigt aber doch nicht, Verfassungsfeinde zu wählen. Die etablierten Politiker müssen sich aufraffen und wieder Vertrauen aufbauen. Dazu gehören Klarheit, Wahrheit und Verlässlichkeit – das erwarte ich von allen demokratischen Parteien.

Die Regierungsbildung in den Ostländern wird immer schwieriger. Müssen auch bürgerliche Parteien wie die FDP bereit sein, mit der Linken zusammenzuarbeiten, um eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern?

Das kann man nicht abstrakt beurteilen. Das hängt von den Umständen ab. Ich würde das nicht tabuisieren, es aber auch nicht favorisieren. Wichtig ist, den Menschen klarzumachen, welche Geisteshaltung die AfD vertritt – und dass sie keine Lösungen anbietet. Das ist dasselbe bei Frau Wagenknecht. Beide wollen im Übrigen die um ihre Freiheit kämpfenden Ukrainer Putin überlassen.

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