Um Punkte in der EM-Qualifikation geht es für die deutsche Nationalelf auch gegen Polen nicht - sondern um viel mehr. Der Gastgeber der EM braucht den Sieg beim Nachbarn gegen das anhaltende Stimmungstief. Ansonsten gerät Hansi Flicks Status ins Wanken.

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Hansi Flick wirkte regelrecht aufgeschreckt. Die Ansage von höchster Stelle hatte wohl auch den angeschlagenen Bundestrainer alarmiert. "Mehr Herz und mehr Leidenschaft" forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf dem steinigen Weg zur Heim-EM von Flick und den zutiefst verunsicherten Nationalspielern - und der Bundestrainer lebte diese Tugenden sofort vor. Flick weiß: Eine Pleite im kniffligen Länderspiel bei Robert Lewandowskis Polen hätte weitreichende Folgen. Auch für ihn.

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Der massiv in die Kritik geratene Chef stand am Tag vor dem Treffen mit Polen schon zehn Minuten vor dem Abschlusstraining am Frankfurter Campus auf dem Platz. Die rote Trillerpfeife wie gewohnt vor der Brust, gestikulierte er engagiert im Gespräch mit seinen Assistenten. Später tätschelte er Rückkehrer Robin Gosens väterlich den Bauch, genau zwei Minuten sprach er mit seiner Mannschaft, ruhig und sachlich, dann auch mit Triple-Held Ilkay Gündogan. Bei den folgenden Sprints feuerte er seine Spieler energisch an.

Der Bundespräsident würde an Flick festhalten

Flick trat die Reise an die Weichsel immerhin auch mit der Rückendeckung des Staatsoberhauptes an. Trotz der klaren Ansage: Von einer vorzeitigen Entlassung nur ein Jahr vor der Heim-EM hält Steinmeier nichts, vielmehr sollte man sich "mit den vorhandenen Spielern und dem Trainer so aufstellen", dass man eine erfolgreiche EM spiele. Nur wie?

Flick beteuert gebetsmühlenartig, er habe einen "Plan". Der sieht für Polen am 16. Juni in Warschau (20:45 Uhr/ARD) und das letzte Länderspiel der Saison am 20. Juni gegen Kolumbien in Gelsenkirchen (20:45 Uhr/RTL) weitere Experimente vor - inklusive Dreierkette. Trotz des völlig missglückten Versuchs beim besorgniserregenden 3:3 gegen die Ukraine im 1.000. Länderspiel. Erst ab September soll der volle Fokus darauf liegen, sich für die EM einzuspielen.

Müller und Neuer sollen für den EM-Ernstfall zurückkehren

Und zwar voraussichtlich wieder mit zwei alten Bekannten. Manuel Neuer und Thomas Müller habe Flick "signalisiert", sie sollten sich "bereithalten" für die Länderspiele gegen Japan und Frankreich, schrieb die "Bild"-Zeitung. Dann will Flick den Turnier-Ernstfall simulieren.

Doch nicht zuletzt wegen des Hin und Her beim Personal wachsen die Zweifel am Bundestrainer. Der "kicker" schlug am Tag vor der Partie in Warschau "EURO-Alarm" und fragte resigniert: "Wie soll das gut gehen?" Wie der Boulevard forderte das Fachblatt, Flick müsse auf Gündogan setzen - als Kapitän anstelle des schwächelnden Joshua Kimmich.

Ilkay Gündogan bringt den Triple-Schwung mit

Gündogan wurde nach dem dreifachen Triumph mit Manchester City mit Applaus und Jubel der Kollegen empfangen. "Hoffentlich kann ich ein bisschen positiven Schwung durch die ganzen Erfolge reinbringen, damit wir dieses Jahr als Nationalmannschaft gut abschließen können", sagte er. Doch in Polen werden der Mittelfeldmann und der angeschlagene Timo Werner noch nicht spielen. Beide fehlten im Gegensatz zu Gosens im Teamtraining. Werner verließ das DFB-Quartier wegen anhaltender Beschwerden am Sprunggelenk.

Dennoch wird Flick den ein oder anderen Wechsel vornehmen. Neuer-Vertreter Marc-Andre ter Stegen rückt ins Tor, viel wichtiger ist es aber, die löchrige Dreierreihe davor zu stabilisieren. Lewandowski, warnte Jonas Hofmann, sei schließlich "einer der weltbesten Stürmer, die wir in unserer Zeit haben. Dass er brandgefährlich ist, ist klar."

Robert Lewandowski lässt keine Emotionen zu

Und der frühere Münchner würde seine alten Kumpels nur zu gerne ärgern. Es werde "viele Emotionen geben, nicht nur sportliche, sondern auch private", sagte der Ausnahmestürmer des FC Barcelona. Doch in diesem "prestigeträchtigen" Spiel sollten die "Emotionen beiseite geschoben werden", ergänzte er gnadenlos.

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Was also tun? "Wir müssen kompromissloser verteidigen", forderte Flick. Thilo Kehrer ist eine Alternative für die Dreierreihe, auf den Außen könnte Hofmann helfen. Lukas Klostermann fällt als weitere Option aus. Der 27-Jährige zog sich im Abschlusstraining eine Muskelverletzung im rechten Oberschenkel zu. Der DFB-Pokalsieger reiste wie sein Leipziger Teamkollege Werner nicht mit nach Warschau.

Jamal Musiala Dass Flick erneut mit dem formschwachen Leon Goretzka als Sechser beginnen wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Emre Can stünde für mehr Stabilität. Davor drängen die gegen due Ukraine eingewechselten Jamal Musiala und Florian Wirtz ins Team. Kai Havertz, der mit seinem Tor und dem herausgeholten Foulelfmeter in der Partie gegen die Ukraine als Einwechselspieler noch das Remis rettete, sollte neben Niclas Füllkrug stürmen. Nicht nur Steinmeier wird genau hinschauen. (sid/hau)

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