Thomas Tuchel gewinnt seine ersten beiden Spiele als England-Trainer, doch statt Lob hagelt es Kritik. Neben der Presse gingen zuletzt auch zwei Legenden des FC Bayern hart mit dem ehemaligen Münchner Coach ins Gericht.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Schleicher sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein 2:0 gegen Albanien, ein 3:0 gegen Lettland – macht vorübergehend Platz eins in der Qualifikationsgruppe für die WM 2026: Auf den ersten Blick scheint für die englische Nationalmannschaft und ihren neuen Trainer Thomas Tuchel alles nach Plan zu laufen.

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Doch der ehemalige Trainer des FC Bayern sieht sich trotz der beiden erfüllten Pflichtaufgaben scharfer Kritik ausgesetzt, vor allem die oft wenig charmante britische Presse meckerte über die beiden Auftritte der "Three Lions". Bereits vor seinem Antritt als England-Coach zu Beginn des Jahres war die Presse nicht sonderlich gut auf den Deutschen zu sprechen und auch weiterhin wird es Tuchel im Mutterland des Fußballs vorerst wohl ziemlich schwer haben.

"Egal, wo er arbeitet, irgendwann scheint es zu Spannungen zu kommen."

Philipp Lahm über Thomas Tuchel

Allerdings scheint es Tuchel nicht nur der Presse nicht wirklich recht machen zu können. Denn auch zwei ehemalige Spieler des FC Bayern kritisierten den 51-Jährigen zuletzt teils deutlich. Dabei ging es jedoch weniger um den Spielstil der Engländer, der von heimischen Medien als "langweilig und träge" bezeichnet wurde. Vielmehr war die Person Tuchel selbst beziehungsweise sein Charakter Gegenstand der Kritik.

So äußerte sich mit dem ehemaligen Bayern-Kapitän Philipp Lahm zuletzt jemand, der eigentlich eher dafür bekannt ist, wenig Brisantes oder Kritisches öffentlich mitzuteilen. Vielmehr fiel Lahm durch sachliche und diplomatische Aussagen auf, nicht zuletzt in seiner Funktion als Turnierdirektor für die Fußball-EM 2024.

In seiner Kolumne bei "The Athletic" zeigte Lahm nun allerdings eine ganz andere Seite – der ehemalige Weltklasse-Rechtsverteidiger und 2014er-Weltmeister kritisierte Tuchel deutlich: "Egal, wo er arbeitet, irgendwann scheint es zu Spannungen zu kommen. Abgesehen von Mainz (2009 bis 2014) ist Tuchel nirgendwo drei Jahre lang geblieben", schreibt Lahm unter anderem und deutet damit den teilweise nicht ganz einfachen Charakter Tuchels an.

Tuchel mit vielen Baustellen als Bayern-Trainer

"Es läuft nicht immer gut für ihn, und wenn es scheitert, liegt es nie an der Taktik, sondern eher an den zwischenmenschlichen Beziehungen", führt Lahm weiter aus, ehe er noch genauer auf Tuchels Zeit beim FC Bayern eingeht. "Sein größtes Problem bei Bayern war auch kein sportliches, sondern die fehlende Verbindung zu Führungsspielern wie Thomas Müller oder Leon Goretzka, und die Chemie mit Harry Kane war wohl auch nicht perfekt." Tuchel neige Lahm zufolge dazu, Unzufriedenheit öffentlich zu äußern, was in der Folge zu Problemen führen könne.

In der Tat hatte Tuchel während seiner kurzen Zeit beim FC Bayern (März 2023 bis Juni 2024) immer wieder Baustellen zu beheben, die er teilweise jedoch auch selbst verursacht hatte. Etwa im Sommer 2023, als er öffentlich und vehement eine neue "Holding Six" im Mittelfeld der Münchner forderte – und Joshua Kimmich sowie Leon Goretzka die Eignung dafür quasi im selben Atemzug absprach.

Tuchel-Clinch mit Bayern-Patron Hoeneß

Auch mit Ehrenpräsident Uli Hoeneß lieferte sich Tuchel einen Schlagabtausch in der Öffentlichkeit. Großes Streitthema war damals die Aussage von Hoeneß, Tuchel würde zu wenig mit jungen Spielern arbeiten und diese einsetzen. Aus seiner Empörung und Verärgerung machte der Bayern-Coach anschließend keinen Hehl – nach der Trennung trat Hoeneß gegen Tuchel nach, bezeichnete ihn unter anderem als "Katastrophe".

Mit Bayern-Legende Lothar Matthäus hatte Tuchel ebenfalls Reibereien, während er Trainer des deutschen Rekordmeisters war. Auf Aussagen der TV-Experten Matthäus und Didi Hamann reagierte Tuchel immer wieder äußerst dünnhäutig und mit sehr viel Ironie. Sowohl in Live-Interviews als auch auf Pressekonferenzen.

Tuchel rechnet mit Vorgänger Southgate ab

Erst kürzlich kritisierte Matthäus Tuchel deutlich – Auslöser waren diesmal Aussagen des neuen England-Trainers über seinen Vorgänger Gareth Southgate. In einem Interview mit dem britischen Sender ITV rechnete er unverhohlen mit dem Ex-Coach der "Three Lions" ab. So antwortete Tuchel auf die Frage, ob England bei der EM einen klaren Spielstil verfolgt habe: "Nein im vergangenen Sommer nicht." England habe "die Identität, die Klarheit, der Rhythmus, die Wiederholung von Spielmustern, die Freiheit der Spieler, die Ausstrahlung der Spieler, der Hunger" gefehlt, zählt Tuchel auf und ergänzt: "In meinen Augen hatten sie mehr Angst, aus dem Turnier auszuscheiden, als dass sie die Begeisterung und den Hunger hatten, zu gewinnen."

Für Matthäus ein Unding. Nach dem Nations-League-Spiel zwischen Deutschland und Italien (3:3) erklärte er bei RTL: "Das gehört sich nicht. Da kriegt ein Trainer normalerweise die Rote Karte." Tuchel solle die Fehler "auch mal bei sich selbst suchen", sagte Matthäus weiter, ehe er nachlegte: "Aber das ist typischer Thomas Tuchel: Der hat auch in München Fässer aufgemacht, die eigentlich zu waren. Er musste immer etwas sagen oder machen." Ob Matthäus damit auch auf seinen persönlichen Zwist mit Tuchel anspielt? Gut möglich.

Tuchel bekommt Unterstützung von Hamann

Nun springt Tuchel jedoch einer zur Seite, von dem man es wohl mit am wenigsten erwartet hätte: Didi Hamann. Der TV-Experte, mit dem Tuchel als Bayern-Trainer ähnlich häufig aneinandergeriet wie mit Matthäus, stützt den England-Coach. Der "Sport Bild" sagte er: "Er hat das gesagt, was viele denken oder gedacht haben. Ob er das als Nationaltrainer sagen sollte, lasse ich mal dahingestellt. Vielleicht wollte er so einen Denkprozess anregen, dass Halbfinale oder Finale nicht genug sind: 'The winner takes it all!' Ich verstehe, warum er es gesagt hat."

Bislang hat Tuchel nicht auf die Kritik aus Deutschland reagiert. Vielmehr lobte er seine Mannschaft nach den beiden Auftritten für die "Einstellung, die Energie und den Willen". Er sieht sich mit seiner Mannschaft auf dem "richtigen Weg", so Tuchel. Und das trotz pestender Presse und kritischen Ex-Spielern.

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