Das Kapitel von Thomas Tuchel beim FC Bayern München endet bereits im kommenden Sommer. Verschiedene Fehler, die der Trainer in knapp elf Monaten Vereinszugehörigkeit begangen hat, wurden ihm zum Verhängnis.

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Thomas Tuchel wird beim FC Bayern nur als kurzes Kapitel in Erinnerung bleiben. 334 Tage, nachdem er das Traineramt beim deutschen Rekordmeister antrat, wurde die Trennung nach Saisonende bekanntgegeben. Vereinsboss Jan-Christian Dreesen möchte "eine sportliche Neuausrichtung" vornehmen – ohne Tuchel.

Die Zwischenbilanz des Trainers war ernüchternd: Es gab zuletzt drei Pflichtspiel-Niederlagen in Serie. Der Rückstand auf den Tabellenführer Bayer Leverkusen beträgt acht Punkte. Im DFB-Pokal scheiterte der FC Bayern am Drittligisten 1. FC Saarbrücken. Auch in der Champions League droht nach der 0:1 Hinspiel-Niederlage gegen Lazio Rom das Aus.

Matthäus über Tuchel und den FC Bayern: "Es war ein Missverständnis"

Schlussendlich hat es Tuchel nicht geschafft, aus den vielen guten Einzelspielern eine funktionierende Mannschaft zu formen. "Es hat von Anfang an nicht gepasst, es war ein Missverständnis", sagt der Sky-Experte Lothar Matthäus bei "Sky Sport News". "Bayern München hat etwas Anderes von Thomas Tuchel erwartet, Thomas Tuchel hat etwas Anderes von Bayern München erwartet."

Tuchel erlebte am 1. April 2023 einen guten Trainereinstand, als der FC Bayern gegen den Meisterschaftskonkurrenten Borussia Dortmund mit 4:2 gewann. Doch die Ernüchterung folgte schnell: Drei Tage später scheiterte der FC Bayern im DFB-Pokal am SC Freiburg, 15 weitere Tage später in der Champions League an Manchester City.

Die Deutsche Meisterschaft wurde nur gewonnen, weil Dortmund den Titel am letzten Spieltag unerklärlich verspielte – und Jamal Musiala ein Last-Minute-Treffer gelang.

Immer wieder gab es Leistungseinbrüche, die Tuchel selber nicht erklären konnte. Als der FC Bayern zum Saisonstart im Supercup mit 0:3 gegen RB Leipzig verlor, sagte er: "Ich bin konsterniert und extrem enttäuscht. Ich erkenne nichts mehr wieder. Das ist erschreckend." Immer wieder gab er ähnliche Aussagen von sich, distanzierte sich dadurch von der Mannschaft.

Tuchel und das Problem mit den Führungsspielern

Ein weiteres Problem: Tuchel redete die vermeintlichen Führungsspieler öffentlich schlecht. In der Sommervorbereitung bemängelte er: "Wir haben keinen Holding-Six-Mittelfeldspieler." Damit demontierte er Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Konrad Laimer, die als defensive Mittelfeldspieler eigentlich hohe Qualitäten haben.

Überhaupt scheint das Verhältnis zwischen Kimmich und Tuchel angespannt zu sein. Beim Top-Spiel gegen Bayer Leverkusen ließ Tuchel Kimmich 60 Minuten auf der Bank, bei der Niederlage gegen den VfL Bochum nahm er ihn nach 70 Minuten aus dem Spiel. Kimmich saß danach fassungslos auf der Bank, legte sich auf dem Weg in die Kabine sogar verbal mit Co-Trainer Zsolt Löw an.

Der Trainer weckte den Anschein, mit dem Kader nie richtig zufrieden gewesen zu sein. "Thomas Tuchel hat viele Spieler (auf dem Transfermarkt, Anm.d.Red.) gefordert, die nicht gekommen sind. Damit gab er den anderen Spielern nicht die Sicherheit, die sie brauchen", sagt Matthäus und meint damit, "ein Joshua Kimmich, ein Thomas Müller, ein Leon Goretzka oder ein Mathys Tel, der überragend gespielt hat und dann trotzdem keine Einsatzzeiten bekommen hat."

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Kaum Spieler verbessert, die Defensivschwäche nicht in den Griff bekommen

Insgesamt gibt es im Kader kaum einen Spieler, der unter Tuchel wirklich besser wurde. Im vergangenen Jahr traf dies immerhin auf Leroy Sané zu. Doch auch der steckt mittlerweile in einem Formtief. Selbst bei Jamal Musiala und Harry Kane ging die Formkurve zuletzt bergab.

Überhaupt lag Tuchel mit seinen taktischen Kniffen, an denen ein Trainer bemessen wird, oft daneben. Ein gutes Beispiel: Bei der 0:3-Pleite in Leverkusen stellte er in der Abwehr von einer Vierer- auf eine Dreierkette um, setzte zudem Rechtsverteidiger Sacha Boey als Linksverteidiger ein. Die Folge war ein defensives Debakel.

Tuchel bekam die Defensivschwäche trotz individuell guter Einzelspieler nicht in den Griff. Drei der sechs teuersten Transfers der Vereinsgeschichte sind derzeitige Abwehrspieler des FC Bayern – und zwar Matthijs de Ligt (ca. 67 Millionen Euro), Dayot Upamecano (ca. 42,5 Millionen Euro) und Min-jae Kim (ca. 42 Millionen Euro). Dennoch gab es in den letzten fünf Pflichtspielen zehn (!) Gegentore.

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Die Verunsicherung in der Mannschaft nahm zu

Die Mannschaft wirkte zunehmend verunsichert, traute sich in der Offensive kaum noch etwas zu und spielte lieber Sicherheitspässe nach hinten. Zweifelsohne gibt es auch positive Statistiken: Von allen Bundesligisten erzielte der FC Bayern bislang laut "bundesliga.com" die meisten Tore (61), gab die meisten Torschüsse ab (429), hatte die meisten Spielanteile (60 Prozent) und die beste Zweikampfquote (53 Prozent).

Doch die Tendenz ging in eine negative Richtung: In Leverkusen und bei Lazio Rom brachte der FC Bayern in 180 Minuten nur einen einzigen Schuss auf das gegnerische Tor. Ein katastrophaler Wert! Bei der 2:3-Niederlage in Bochum hingegen ging die Mannschaft bei 26 Torschüssen verschwenderisch mit den Chancen um.

Schwache Außendarstellung, unnötiger Experten-Streit

Ein weiteres Problem von Tuchel war die Außendarstellung. Auf die Kritik von Experten wie Matthäus oder Didi Hamann, die zumindest teilweise sehr berechtigt war, reagierte er dünnhäutig und empfindlich. Im Herbst sagte Tuchel noch über die kritischen Aussagen von Hamann: "Er ist nicht wichtig genug, dass wir uns darüber ärgern."

Tatsächlich aber schien er sich sehr darüber zu ärgern. So sehr, dass er Anfang November nach dem 4:0 gegen Borussia Dortmund nicht die Leistung der eigenen Mannschaft in den Vordergrund stellte, sondern stattdessen seinen Streit mit den namhaften Experten öffentlich austrug. Dabei war dies das vielleicht beste Spiel in der Amtszeit von Tuchel.

Seine Erklärungen nach schlechten Spielen wurden hingegen immer rätselhafter. Nach der 2:3-Niederlage gegen den VfL Bochum oder dem 1:5 Debakel bei Eintracht Frankfurt im Dezember verwies er darauf, dass seine Mannschaft mehr "expected Goals" gehabt hätte und eigentlich nicht hätte verlieren dürfen.

Zur Erklärung: Das Expected-Goal-Modell zeigt, wie hoch die Chance auf das Tor wirklich war und berechnet für jeden Abschluss anhand mehrerer Faktoren einen Wert. Doch welche Relevanz hat solch ein statistischer Wert, wenn die Spiele schlussendlich verloren gehen?

Erfolgt die Trennung früher als geplant?

Samstag im Top-Spiel gegen RB Leipzig wird sich zeigen, wie die Mannschaft nun auf die Bekanntgabe der Trennung reagieren wird. Erfolgt eine positive Reaktion? Oder bricht die Mannschaft völlig auseinander?

Sollte Letzteres zutreffen, hält Matthäus es für möglich, dass Tuchel noch früher als geplant den FC Bayern verlässt: "Wenn die nächsten Spiele verloren gehen, weiß ich nicht, ob er das bis zum Ende noch durchzieht. Man wird das weiterhin beobachten. Das ist ergebnisabhängig."

Verwendete Quellen

Thomas Tuchel

FC Bayern und Tuchel trennen sich im Sommer

Die jüngsten Misserfolge haben Spuren hinterlassen. Der FC Bayern München und Trainer Thomas Tuchel werden im Sommer getrennte Wege gehen. Über die Nachfolge kann nur spekuliert werden. (Photocredit: picture alliance/empics/Richard Sellers)
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