Der Rumäne Călin Georgescu soll durch russische Gelder seinen TikTok-Wahlkampf finanziert haben. Sein Sieg in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl im November wurde vom Verfassungsgericht annulliert. Nun wird er nicht mehr zur Wahl zugelassen, was in der Hauptstadt für Unruhe sorgt.
Ein Land, in dem ein mysteriöser Kandidat plötzlich die relative Mehrheit bei der Präsidentschaftswahl gewinnt, in dem Verschwörungstheorien und Hass gegen die sogenannte Elite grassieren und das im Fokus der russischen Einflussnahme steht. Was klingt wie ein Agententhriller aus der Zeit des Kalten Krieges, beschreibt die Nachrichtenlage, die derzeit aus Rumänien nach Deutschland dringt.
In Bukarest hat bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen November der bis dahin in großen Teilen unbekannte Kandidat Călin Georgescu die erste Runde gewonnen. Mithilfe eines TikTok-Wahlkampfes, dessen Finanzierung ungeklärt ist und hinter dem Experten Russland vermuten, konnte er das politische Establishment schlagen.
Ermittlungen wegen Gründung einer faschistischen Organisation
Im Dezember hat das rumänische Verfassungsgericht Georgescus Wahlsieg annulliert und ihn nun auch von der zweiten Durchführung der Präsidentschaftswahlen am 4. Mai ausgeschlossen. Die Gründe hierfür wurden bisher nicht bekannt gegeben. Aber klar ist: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Georgescu. Ihm wird vorgeworfen, einen Staatsstreich geplant zu haben und eine faschistische Organisation mitbegründet zu haben.
Georgescu glorifiziert die Eiserne Garde, eine faschistische Bewegung aus der Zwischenkriegszeit. Rumänien war während des Zweiten Weltkriegs als Verbündeter des Hitlerdeutschlands am Angriffskrieg gegen die Sowjetunion beteiligt und spielte eine aktive Rolle bei der Durchführung des Holocausts. Diese Verharmlosung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit spielt nun eine zentrale Rolle bei der Anklage gegen Georgescu.
Außerdem ist nach wie vor unklar, wie Georgescu seine Wahlkampagne auf TikTok finanziert hat. Er selbst gab an, kein Geld investiert zu haben. Trotzdem gingen seine Inhalte kurz vor der Wahl in den Sozialen Medien viral. Auch hier ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Hinweise auf Unterstützung aus Russland
Noch gibt es keine Beweise hierfür, aber vermutet wird, dass der zuvor politisch weitgehend unbekannte Kandidat aus Russland unterstützt wurde. Kurz vor der Wahl wurden zahlreiche sogenannte Schläfer-Konten in den sozialen Medien aktiviert, die den unbekannten Kandidaten unterstützten. Das Vorgehen ähnelt dem, welches man von russischer Einflussnahme in der benachbarten Republik Moldau kennt.
Rumänien-Experte Peter Mario Kreuter vom Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung erklärt gegenüber unserer Redaktion: "Georgescu ist meiner Meinung nach eindeutig eine russische Strohpuppe, die durch Geld aus Moskau groß gemacht wurde." Ihm zufolge sei die russische Einflussnahme auch allen anderen politischen Akteuren klar, auch wenn man bisher keine Beweise hierfür vorlegen konnte.
"Man hat ihn am Anfang nicht ernst genommen", sagt Kreuter. Obwohl Georgescu ein anerkannter Experte im Bereich Agrarwirtschaft ist und auch bei internationalen Behörden gearbeitet habe, wurde seine Kampagne nicht als relevant eingestuft. Die Überprüfung der Wahlkampffinanzierung sei daher fahrlässig von den rumänischen Behörden gehandhabt worden: "Keiner hat gefragt, woher das Geld kommt."
Wichtiger Nato-Partner
Rumänien ist als Nato-Mitglied mit direkter Grenze zur Ukraine strategisch wichtig. Am Rande der Metropole Constanța an der Schwarzmeerküste entsteht gerade der europaweit größte Nato-Stützpunkt. 5.000 Nato-Soldaten aus anderen Ländern sind als Teil der Nato-Ostflanke in Rumänien stationiert.
Ein großer Teil der Unterstützung für die Ukraine wird durch Rumänien transportiert. Auch bei einem Angriff auf ein anderes Nato-Mitgliedsland wäre Rumänien Teil der Verteidigung. Lange Zeit war es daher Staatsräson der Regierung in Bukarest, prowestlich für eine stärkere Einbindung in die EU und die Nato zu werben.
"Es gibt kein ost- oder südosteuropäisches Land, außer vielleicht Polen und das Baltikum, das so sehr anti-russisch eingestellt ist wie Rumänien", sagt Kreuter. Schon das gesamte Staatswesen ist an Frankreich orientiert und mit der romanischen Sprache gibt es ebenfalls auch kulturelle Gemeinsamkeiten mit Westeuropa.
Georgescu fordert Austritt aus EU und Nato
Georgescu hingegen gilt als prorussisch und Putin-freundlich, nannte den russischen Präsidenten einen "Patriot und Anführer" und fordert den Austritt aus der EU und der Nato. Außerdem erklärte er, den "erfundenen" Staat Ukraine zwischen Russland, Rumänien, Ungarn und Polen aufteilen zu wollen.
Doch auch auf die andere Seite des Atlantiks gibt es politische Verbindungen. So ist Elon Musk bekennender Unterstützer Georgescus. Der US-amerikanische Vize-Präsident
Einflussnahme Moskaus auf Wahlen
Das genaue Gegenteil sei der Fall, erklärt Kreuter, hier hätten endlich die rechtsstaatlichen Mechanismen einer funktionierenden Demokratie gegriffen. "An Rumänien lässt sich sehen, was passiert, wenn man Moskau ungehindert einen Kandidaten instrumentalisieren und durch eigene Finanzmittel und hybride Kriegsführung in Form von Einflussnahme im Netz eine Wahl gewinnen lässt." Dass dieser nun nicht mehr antreten darf, sei der funktionierenden Rechtsstaatlichkeit des Landes geschuldet.
Vergleichbare Versuche finden sich auch im Rest von Europa. Auch in Deutschland versuchte Russland bei der Bundestagswahl 2021, durch eine Desinformationskampagne Einfluss zu nehmen. "Insofern kann Rumänien als ein Beispiel dienen, was passiert, wenn die Behörden nicht aufpassen", sagt Kreuter.
Ärger über die EU
"Ein guter Teil des Erfolgs von Georgescu hängt damit zusammen, welche Vorurteile gegenüber Rumäniens Beitritt zum Schengen-Abkommen im Rest Europas bestanden", sagt Kreuter. Lange Zeit hatte sich Österreich gegen einen Beitritt des Landes gewehrt – obwohl Rumänien bereits seit 2007 EU-Mitglied ist.
Das habe man in Rumänien durchaus wahrgenommen, erklärt Kreuter, nun habe Georgescu diesen Frust instrumentalisiert und unter anderem gegen Kommissionspräsidentin
"Die EU ist einfacher zu hassen als ein Land wie Österreich, welches damals mit seinem Veto gegen den Schengen-Beitritt eine üble Rolle gespielt hat." Daher lade sich der Unmut aktuell bei der Person Ursula von der Leyens ab. Diese sei aber letztlich ein Sündenbock für allen Unmut gegen die Europäische Union und dessen Mitglieder.
Wie geht es weiter in Rumänien?
Nun sollen statt Georgescu der Rechtspopulist George Simion von der Partei AUR sowie Anamaria Gavrilă, Vorsitzende der Partei der Jungen (POT), antreten. Simion drohte laut "Spiegel" bereits den Regierenden damit, dass ihre Zeit abgelaufen sei und man die Verantwortlichen hinter der Annullierung des Wahlsiegs von Georgescu im Zentrum der Stadt häuten solle.
Auch andere Kandidaten zeigen sich antiwestlich: Der populistische Politiker Victor Ponta war lange Vorsitzender der Sozialdemokraten. Nun tritt er mit einer Politik an, die er selbst als inspiriert durch Donald Trump beschreibt. Er brüstet sich damit, bereits in Mar-e-Lago gewesen zu sein und den US-Präsidenten dort getroffen zu haben.
Ponta vertritt ähnliche Positionen wie der slowakische Premier Robert Fico und ist verbündet mit dem autokratisch regierenden Präsidenten Serbiens, Aleksandar Vučić. Auch mit Ponta ist eine pro-westliche, die Ukraine unterstützende Politik eher unwahrscheinlich.
Ärger auf die politischen Eliten
Auf der anderen Seite stehen der Konservative Crin Antonescu und der liberale Nicușor Dan, Bürgermeister von Bukarest. Sie treten für einen prowestlichen Kurs an. Es ist allerdings unsicher, ob sie damit eine Chance auf einen Wahlsieg haben. Die Stimmung im Land ist aufgeheizt und gegen das bisherige politische Establishment gerichtet.
Laut Keuter auch einer der Gründe, warum Georgescu die Wahl gewinnen konnte: "Georgescus Erfolg ist auch seiner Rolle als Außenseiter geschuldet. Er hat sich als Kandidat inszeniert und etabliert, der außerhalb des Systems steht."
Die Unzufriedenheit mit der politischen Elite des Landes sei hoch und die Sehnsucht nach einem "echten" Volksvertreter, der aus dem alltäglichen Leben kommt, ebenso. Georgescu gerierte sich öffentlich als frommer Christ und Macher, eine Rolle, die nicht nur in Rumänien gut ankommt, wie ein Blick in die USA offenbart.
Was droht bei einem erneuten Wahlsieg der Rechtspopulisten?
Laut Umfragen könnten bei der erneuten Wahl am 4. Mai der konservative Nicosur Dan und der Rechtspopulist George Simion in die Stichwahl kommen. Sollte Simion die Wahl gewinnen, so wäre eine ähnliche Linie wie bei Georgescu denkbar. Allerdings verfügt der Präsident in Rumänien über eher wenig Macht, nicht vergleichbar mit seinem Pendent in den USA oder Frankreich. "Allerdings könnte sich nach einem Wahlsieg der Rechtspopulisten die Stimmung in Rumänien drastisch verändern", erläutert Kreuter.
Das Land ist bereits jetzt politisch gespalten. Noch sei das Land zwar stabil, aber der Einfluss Moskaus steige. Zwar ist ein Austritt aus der EU undenkbar – Rumänien ist abhängig von EU-Geldern, es ist nach Polen das Land mit dem höchsten Bezug an EU-Fördergeldern, der Haushalt ist überhaupt nicht zu stemmen ohne die Zugehörigkeit zur EU. "Aber was passieren könnte, ist die dauerhafte Aufrechterhaltung eines konstanten Unruhe-Herdes an der EU-Außengrenze", analysiert Keuter. Das wäre ganz im Sinne Moskaus.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde fäschlicherweise berichtet, dass Călin Georgescu im November zum Präsidenten Rumäniens gewählt wurde. Stattdessen ist richtig, dass er nur den ersten Wahlgang gewonnen hat.
Über den Gesprächspartner
- Peter Mario Kreuter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung. Sein Fachbereich umfasst Rumänien.
Verwendete Quellen
- spiegel.de: Ein Mann für Vance und Putin
- dw.com: Staatskrise in Rumänien: Warum sind die Rechten so stark?
- euractiv.de: Rumänien: NATO erweitert ihren Luftwaffenstützpunkt am Schwarzen Meer
- bundestag.de: Ausländische Desinformation im Kontext der Bundestagswahl
- bpb.de: Nettozahler und Nettoempfänger in der EU