• Die AfD ist wieder in den Bundestag eingezogen.
  • Allerdings hat die Partei an Zustimmung verloren – vor allem in Westdeutschland.
  • Damit steigt der Druck auf Co-Parteichef Jörg Meuthen weiter an.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marco Fieber sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Minus 2,3 Prozentpunkte, bundesweit über eine Million weniger Stimmen: Die AfD hat bei der Bundestagswahl an Zustimmung verloren, relativ und absolut. Nur knapp wurde die in Teilen rechtsextreme Partei wieder zweistellig, sie verlor elf Sitze im Parlament – und das trotz merklich gewachsenem Bundestag. Jubel bei ihrer Wahlparty blieb dementsprechend aus.

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Doch das ist nur das eine Bild. Denn die AfD hat ihre Macht in Ostdeutschland zementiert, Protestwähler wurden zu Stammwählern. Die Partei wurde stärkste Kraft in Sachsen und Thüringen, sie bekam die zweitmeisten Stimmen in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Dazu gewann die AfD 16 Direktmandate in drei Bundesländern und damit eines mehr als die Grünen und 13 mehr als vor vier Jahren.

Während die AfD in einigen westdeutschen Bundesländern im Vergleich zu 2017 teils massiv an Rückhalt in der Wählerschaft verlor, darunter auch in den einstigen süddeutschen Hochburgen Bayern (minus 25,8 Prozent weniger Wähler) und Baden-Württemberg (minus 21,8 Prozent), blieben die Werte im Osten vergleichsweise stabil - die größten Verluste hatte die AfD mit minus 9,4 Prozent in Sachsen. In Thüringen konnte die Partei sogar leicht hinzugewinnen, trotz oder gerade wegen Björn Höcke.

Dementsprechend hat sich auch das Gefüge innerhalb der AfD-Bundestagsfraktion leicht verschoben: 27 der 83 Abgeordneten kommen nun aus den fünf ostdeutschen Bundesländern; 2017 waren es 28 von 94. Erste Äußerungen aus der Parteispitze zeigen: Der seit Jahren schwelende Richtungsstreit innerhalb der AfD könnte nun wieder aufflammen, die Partei sogar zerreißen.

Tino Chrupalla will auch Fraktionschef werden

Nur einen Tag nach der Bundestagswahl leitete Co-Parteichef Tino Chrupalla, der sein Direktmandat in Sachsen verteidigten konnte, aus der Entwicklung einen klaren Machtanspruch ab: Er will sich um den Fraktionsvorsitz der AfD im Bundestag bewerben, gemeinsam mit der bisherigen Vorsitzenden Alice Weidel.

Dieser Schritt sei nach dem Ergebnis der Bundestagswahl "folgerichtig", sagte Chrupalla am Montag im ARD-"Morgenmagazin". Chrupalla und Weidel waren die Spitzenkandidaten ihrer Partei bei der Bundestagswahl, Weidel teilte sich den Fraktionsvorsitz bisher mit Alexander Gauland.

Als Grund für den Erfolg seiner Partei im Osten führte Chrupalla an, seine Partei habe dort "die Probleme der Bürger" angesprochen, etwa "sichere Renten" und "soziale Probleme". Vor allem dürfte die AfD aber von der bundesweiten Schwäche der CDU profitiert haben.

Die regionalen Unterschiede innerhalb der Partei "müssen wir anerkennen" und man müsse sich diesen "ein Stück weit anpassen", sagte Chrupalla später auf einer Pressekonferenz in Berlin mit Blick auf das unterschiedliche Abschneiden der AfD in Ost und West. Er drängte darauf, "regionalen Unterschieden mehr Gewicht zu verleihen". In NRW oder Bayern müsse thematisch ein anderer Wahlkampf als in Sachsen oder Thüringen gemacht werden.

Attacken auf Parteichef Jörg Meuthen

AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, Schlüsselfigur im rechtsextremen Parteiflügel und vom Verfassungsschutz beobachtet, sah sich derweil in seinem Kurs bestätigt: "Der Thüringer Weg setzt sich durch!", schrieb Höcke am Montagmittag auf seiner Facebook-Seite.

Indirekt griff er Co-Parteichef Jörg Meuthen an, der öffentlich deutlich moderatere Töne anschlägt, als sie in vielen ostdeutschen AfD-Verbänden gepflegt werden. In "einzelnen Bundesländern", gemeint ist damit etwa Meuthens Heimat Baden-Württemberg, "wo man bemüht war, sich den Altparteien anzugleichen, wurde das Vorschußvertrauen unserer Wähler verspielt", kritisierte Höcke.

Sein Stellvertreter Stefan Möller drängte ebenso auf mehr Programmtreue. Es wäre "gut, wenn man vom Osten lernt", sagte Möller der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Höcke argumentiert seit Langem, der Zuspruch im Osten sei ein Beleg dafür, dass die AfD mit noch größerer Abgrenzung zu anderen Parteien bessere Ergebnisse erzielen könne. Das gemäßigte Lager um Meuthen hält dagegen, im Westen sei damit nichts zu gewinnen. Ein Erfolgsrezept für die westlichen Bundesländer hat aber auch er offenbar nicht parat.

Meuthen wirkt angezählt

Im parteiinternen Gerangel sitzt Meuthen nicht mehr fest im Sattel, das zeigte sich einmal mehr am Montagmittag. Meuthen, der neben Chrupalla auf der Pressekonferenz saß, wirkte angezählt. Er mahnte an, nicht den gleichen Fehler wie die Linkspartei und deren Fokussierung auf Ostdeutschland zu machen. "Wahlen werden im Westen gewonnen", erklärte Meuthen. Würde man dort die gleichen Themen wie im Osten bespielen, würde sich die AfD "verzwergen", meinte der Europaabgeordnete.

Meuthen will seine Partei "in gewisser Zeit" in Regierungsverantwortung sehen – auch das ein Punkt, der diametral der Haltung des Höcke-Flügels entgegensteht, der eine Fundamentalopposition pflegt.

Wird Meuthen wiedergewählt?

Mit den auseinanderdriftenden Zustimmungswerten in Ost und West steigt der Druck auf Meuthen weiter. Der Konflikt wurde am Montag nur allzu deutlich, die Wiederwahl des Co-Parteichefs auf dem Parteitag in Dezember wackelt gewaltig.

Meuthen blies bereits beim letzten Parteitag im vergangenen Dezember kräftiger Gegenwind entgegen. Dieser dürfte wohl wegen sprudelnder Gelder in die Kassen der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung nicht weniger werden. Bildet doch die Stiftung laut Alice Weidel alle Strömungen der Partei ab – und damit auch alle internen Konflikte.

Bisher bekam die Stiftung keine Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt, trotz mehrfacher Klagen bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht. Das könnte sich nun ändern. Denn laut den Leitlinien einer sogenannten gemeinsamen Erklärung der etablierten politischen Stiftungen von 1998 gilt als Mindestvoraussetzung für eine Zuwendung, dass die korrespondierende Partei "wiederholt" im Bundestag vertreten ist.

Mit dem Wiedereinzug hat die AfD nun diese Hürde übersprungen. Experten zufolge könnten ab 2022 jährlich mehrere Millionen Euro Steuergelder an die Stiftung fließen – egal wer an der Parteispitze sitzt.

Mit Material von dpa und AFP.

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