Die Sozialdemokraten sind sich einig: Olaf Scholz ist der beste Kanzler für Deutschland und ihre Partei das Beste für die "normalen" Menschen. Beim Parteitag wollen sie ihr Wahlprogramm verabschieden und schwören ihre Mitglieder auf einen kurzen, kalten Wahlkampf ein. Der Tenor: Alle für Olaf und keinen Merz im Februar.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Rebecca Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Standing Ovations, lautes Grölen und Jubeln. Die Sozialdemokraten feiern ihren Kanzler, sie feiern Olaf Scholz. 6:39 Minuten, so lange hält der laute Applaus nach dessen Rede an. Scholz hat auf den Putz gehauen, er ist im Wahlkampfmodus. Mit einer starken Betonung des Wortes Kampf in diesem Konstrukt.

Bundestagswahl

Er malt düstere Bilder, die eine CDU-Kanzlerschaft für die Zukunft des Landes bedeuten würde. Entlastungen für Superreiche, Steuergeschenke, die Milliardenlöcher im dreistelliger Höhe in die Staatskassen reißen würden. "Wir haben vorgezogene Bundestagswahlen, weil eine viel kleinere Summe fehlte", stellt er fest.

Unter einer weiteren SPD-geführten Regierung, das ist auf einem Parteitag der Sozialdemokraten wohl erwartbar, würde alles viel besser. Ein wenig Selbstkritik hatte der Kanzler ebenfalls dabei: Vielleicht, räumt er ein, hätte er die FDP früher rauswerfen müssen. Nämlich dann, als es losging mit der Blockadehaltung der Liberalen. Vielleicht hätte er auch öffentlich kräftiger auf den Tisch hauen müssen, meint er.

Der große Streit bleibt aus

Trotzdem ist klar: Er hält sich selbst für den Besten für den Posten an der Spitze der Regierung – und seine Partei macht es ihm leicht. Viel Lob, viel Liebe. Kritik bleibt eher leise an diesem Tag. Womöglich auch, weil eine der Hauptforderungen der SPD-Jugendorganisation ihren Weg ins Wahlprogramm gefunden hat. Konkret hatten die Jusos auf ihrem Bundeskongress eine WG-Garantie beschlossen. Das Leben, meinen die Jungsozialisten, muss bezahlbar bleiben. Und Preisbremsen braucht es eben nicht nur für die eigenen vier Wände, sondern auch für Zimmer in WGs.

Er hätte viele Debatten geführt – und am Ende hätten ihn die Jusos überzeugt. Vielleicht war das so, vielleicht hatte Scholz aber auch keine Lust auf Streitereien. Knapp 150 Delegierte stellen die Jusos auf dem Parteitag, also knapp ein Viertel. Was der Kanzler im vergangenen Wahlkampf 2021 gelernt haben dürfte: Erfolg geht nur zusammen. Und noch besser, wenn die Konkurrenz weniger geeint steht. Konkret: Wenn CSU und CDU sich uneinig sind und sich im Wahlkampf selbst im Weg stehen.

Die SPD mobilisiert alle Kräfte, das wird deutlich. Dem Wahlprogramm attestiert SPD-Parteichef Lars Klingbeil eine "klare Haltung". Der Grundsatz: "Mehr für dich. Besser für Deutschland."

Entlastung der Mitte, Investitionen in Infrastruktur, Sicherung von Arbeitsplätzen, Sicherung der Renten und die Sicherung von Wohlstand. Neben einem Mindestlohn von 15 Euro und der steuerlichen Entlastung der arbeitenden Mitte gehört dazu für die SPD auch eine Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf Nahrungsmittel, die Verlängerung der Mietpreisbremse und der Erhalt des modernen Einbürgerungsrechts. Aus dem selbsternannten Respektkanzler wird in diesem Wahlkampf der Sicherheitskanzler.

Abgrenzung von Union und Grünen

Was Scholz zudem wichtig ist: Die nächsten Jahre würden entscheidende Jahre, "es geht um Erfahrung und Besonnenheit." Es sei nicht die Zeit für "Sprücheklopfer", wie Scholz sie nennt – und womit er offenbar die politische Konkurrenz aus der Union meint.

Es ist ganz klar: Die Sozialdemokraten setzen auf ein zugespitztes Duell. Auf ein Entweder-Oder, eine Richtungsentscheidung. "Es macht einen Unterschied, ob Olaf Scholz Bundeskanzler ist – oder Friedrich Merz", kaum ein anderer Satz fällt an diesem Tag so häufig wie dieser. "Keiner will, dass in diesem Jahr bereits Mitte Februar der Merz kommt", erklärt die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Anke Rehlinger (SPD).

Auch der Kanzler macht in seiner Bewerbungsrede die Unterschiede deutlich, die er ausgemacht haben will: Scholz kümmert sich um die arbeitende Mitte – Merz nicht, Scholz kümmert sich um die Gleichberechtigung von Frauen – Merz nicht, Scholz will erneuerbare Energien – Merz nicht, Scholz kümmert sich um den FachkräftemangelMerz nicht, Scholz will Entlastungen für die 95 Prozent der Gesellschaft – Merz nicht, Scholz kann in einer schwierigen Zeit Regierungserfahrung aufweisen – Merz nicht. Im Grunde: Scholz toll, Merz doof.

Ähnlich drückt es auch Scholz‘ einstiger Kontrahent um den Kandidatenstatus Boris Pistorius aus: Merz sei einer, der sich zutraue, mit den Mächtigen der Welt klarzukommen, aber nicht einmal Söder und Günther eingefangen bekomme. "Was haben wir? Wir haben den Bundeskanzler, wir haben einen Krisenmanager, wir haben Olaf Scholz!"

Weniger laut fällt die Abgrenzung zum grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck aus – oder auch "der, der am Küchentisch anderer Leute sitzt und Geschichten erzählt", wie Pistorius ihn nennt. Hier hat die SPD die Samthandschuhe offenbar anbehalten. Auch Scholz kommt nur in Sachen Klimaschutz darauf zu sprechen, dass die Sozialdemokraten besser sind als die grüne Konkurrenz. Pragmatischer. Man nehme die Menschen mehr mit, sonst würde das alles nichts. Ein kleiner Stich, die große Watsche bleibt aus.

Genossen bleiben optimistisch

Unter den Genossen wird sich untergehakt an diesem kurzen Parteitag. Die verbleibenden 43 Tage sollen optimal genutzt werden, Flyer verteilt und Bürgergespräche auf den kalten Marktplätzen geführt werden. Und noch etwas wirkt ehrlich: die Sorge vor den aktuellen Entwicklungen in anderen demokratischen Nationen. Namentlich werden die USA und Österreich genannt. Die Genossen berufen sich auf ihre 162-jährige Tradition und sehen sich offenbar als letzte Bastion gegen den Rechtsruck.

Die Umfragen zeichnen aktuell ein anderes Bild: Mit 14 bis 17 Prozent liegt die SPD abgeschlagen hinter Union (29 Prozent bis 36 Prozent) und AfD (18 Prozent bis 22 Prozent). Dass entgegen der Befürchtung der Genossen doch bereits "Mitte Februar der Merz" kommen wird, ist nicht unwahrscheinlich.

Womöglich also könnten Olaf Scholz und seine Genossen letztlich mit dem von ihnen gezeichneten Schreckgespenst Friedrich Merz koalieren und zusammenarbeiten müssen. Was aus der vergangenen Wahl aber ebenfalls gelernt werden konnte: Am Ende entscheiden keine Umfragen, sondern der Gang zur Urne.

Auf dem Parteitag hat Scholz auf jeden Fall ein klares Votum eingefahren: Mit nur fünf Gegenstimmen bestätigen die Delegierten ihn als Kanzlerkandidat. "Wir werden gewinnen, vielen Dank", sagt er und winkt in die Menge.

Wahlprogramm fast einhellig beschlossen

Nach der Bestätigung von Amtsinhaber Olaf Scholz als Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten hat der SPD-Bundesparteitag in Berlin auch das Wahlprogramm der Partei beschlossen. Der gut 60-seitige Text wurde fast einhellig befürwortet. Darin legen die Sozialdemokraten den Schwerpunkt auf mehr Investitionen und auf soziale Gerechtigkeit.

Mit einem "Deutschlandfonds" mit 100 Milliarden Euro Grundkapital will die SPD staatliches und privates Kapital für Zukunftsinvestitionen mobilisieren. Unternehmen sollen für Investitionen in Deutschland einen "Made-in-Germany-Bonus" erhalten können.

Das Rentenniveau will die SPD langfristig bei 48 Prozent stabilisieren. Menschen mit 45 Versicherungsjahren sollen weiterhin zwei Jahre vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter abschlagsfrei in Rente gehen können – ab dem Geburtsjahrgang 1964 mit 65 Jahren. Die Regelaltersgrenze soll nicht über 67 Jahre hinaus erhöht werden.

Den Mindestlohn will die SPD auf 15 Euro pro Stunde erhöhen. Die Mietpreisbremse will die SPD unbefristet verlängern. Karenztage bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall werden abgelehnt. Stromkosten sollen sinken, vor allem durch eine Halbierung der Netzentgelte. Der Union wird in dem Text vorgeworfen, sie wolle "erreichte Fortschritte rückgängig machen", etwa im Staatsbürgerschaftsrecht oder in anderen gesellschaftspolitischen Fragen.

Verwendete Quellen

  • Besuch des außerordentlichen SPD-Parteitags
  • Material von der afp
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