Die Wahl von FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD gilt als Tabubruch. Auch der anschließende Macht-Hickhack kennt daher mehr Verlierer als Gewinner.
Selten sind in Deutschland Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen die Wahl eines Ministerpräsidenten zu protestieren. Anders dieser Tage.
Nur wenige Stunden nachdem sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU und AfD zum neuen Thüringer Regierungschef wählen ließ, machten deutschlandweit mehrere Tausend Menschen ihrem Ärger Luft.
Die Proteste gingen auch weiter, nachdem
Die letzten Tage haben vor allem CDU und FDP gehörig unter Druck gesetzt. Statement reihte sich an Statement, Kleinreden an Zurückrudern. Verlierer gibt es daher viele - klare Gewinner hingegen nur wenige.
Die Gewinner und Verlierer im Bund
CDU: War die Parteivorsitzende
Stattdessen eilte Kramp-Karrenbauer am Donnerstag selbst nach Erfurt. Doch nach mehrstündigen Beratungen mit der Thüringer CDU-Fraktion musste sie in der Nacht von ihrer ursprünglichen, eindringlichen Forderung nach Neuwahlen abweichen. Nach den Krisengesprächen räumte sie der Thüringer CDU Zeit ein, einen parlamentarischen Weg aus der Krise zu finden.
FDP: FDP-Chef
Das liegt auch am Vorgehen der FDP, "sich immer an der Macht zu beteiligen, wenn es irgendwie geht – außer, wenn die Grünen beteiligt sind", wie Politikwissenschaftler Wolfang Schroeder in einem Interview mit unserer Redaktion erklärt. Er sagt: "Der Preis für dieses abgekartete Spiel ist hoch, auch für Lindner." Denn die Taktiererei in Thüringen wird die schon spürbare Unzufriedenheit bei manchen FDP-Mitgliedern nicht unbedingt ausräumen.
SPD: Die Sozialdemokraten könnten - trotz aller Bestürzung über den indirekten Erfolg der AfD - von dem Wahl-Eklat profitieren. Bei den Reaktionen liest man zwischen den Zeilen: Wir haben es doch immer gesagt. Parteichef Walter-Borjans betonte gleich, die SPD müsse sich keine Vorwürfe machen und bleibe ein Bollwerk gegen rechts. Vor allem kann die SPD nun aber im Bund wieder mehr Druck auf die den Koalitionspartner ausüben.
Mehr noch: Die Parteispitze sieht gar die GroKo durch die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen beschädigt. "Es gibt eine Menge Fragen, die beantwortet werden müssen, um das Vertrauensverhältnis zu klären", sagte Parteichefin Saskia Esken der Deutschen Presse-Agentur. Derzeit wüssten sie nicht, "woran wir sind mit der CDU". Um das zu klären, hat die SPD für Samstag einen Koalitionsausschuss durchgesetzt.
Linkspartei und Grüne: Ebenso wie die SPD haben auch sie in Thüringen ihre Regierungsmacht verloren. Dabei trifft es die Linken aber am härtesten: Sie verlieren mit der Abwahl von Bodo Ramelow ihren ersten Ministerpräsidenten. Entsprechend gedrückt und geschockt war die Stimmung vor allem am Mittwoch.
Auf der anderen Seite sind sie fein raus bei der Diskussion, wer Verantwortung für den Wahlausgang trägt. Sie haben versucht, mit Rot-Rot-Grün eine Regierung ohne AfD-Beteiligung auf die Beine zu stellen - und haben vergeblich um Unterstützung von FDP oder CDU geworben.
Die Gewinner und Verlierer in Thüringen
FDP: Seit der überraschenden Wahl Kemmerichs hat Thüringen kein Ministerkabinett mehr. Das ist auch der Grund, warum Landeschef und FDP-Politiker Kemmerich noch nicht seinen Rücktritt eingereicht hat. Ein solcher Schritt sei "nicht geboten", da es wichtige Entscheidungen der Landesregierung gebe, "für die es zumindest ein amtierendes Regierungsmitglied braucht", sagte Kemmerich am Freitag. Der 54-Jährige steht seit zwei Tagen unter Druck: Kritik kommt dabei auch massiv aus den eigenen Reihen. "Man lässt sich nicht von AfD-Faschisten wählen. Wenn es doch passiert, nimmt man die Wahl nicht an", rügte der FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff auf Twitter.
CDU: Nach einer am Freitag veröffentlichten Forsa-Umfrage verliert die Thüringer CDU fast die Hälfte ihrer Wähler: Die Christdemokraten stürzen von 21,7 Prozent der Wählerstimmen, die die Partei bei der Wahl im Oktober erreichte, auf nur noch 12 Prozent ab. "Mit der Wahl Kemmerichs hat die CDU viel Kapital verspielt", sagt Politologe Schroeder.
Im Zentrum dieses Niedergangs steht das einstmals größte Nachwuchstalent der Thüringer CDU: Mike Mohring. Dessen Machtbasis in der eigenen Partei zerbröckelte in den vergangenen Monaten dermaßen, dass der 48-Jährige nun die Konsequenzen zog. Der Druck war offenbar so groß, dass der einst so machtbesessene Apoldaer sein Amt zur Verfügung stellen will. Bei der Wahl des neuen Fraktionsvorstands Ende Mai wird er nicht mehr antreten. Mohring soll aber vorerst Thüringer CDU-Chef bleiben.
Linkspartei, SPD und Grüne: Schaut man sich die bereits erwähnte Forsa-Umfrage an, so geht Rot-Rot-Grün als klarer Gewinner aus dem Thüringer Debakel hervor. Alle drei Parteien gewinnen an Wählergunst, die Linke gar um sechs Prozentpunkte. Da die FDP zugleich wieder aus dem Landtag fallen würde, käme die alte und womöglich neue Landesregierung nun auf eine komfortable absolute Sitzmehrheit.
Diese Position der Stärke zeigte sich bereits in den Statements: Nachdem die CDU-Chefin am Freitag vorschlug, dass Grüne oder SPD einen eigenen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten aufstellen, erklärte der Thüringer Grünen-Fraktionschef Dirk Adams: "Ich glaube nicht, dass Frau Kramp-Karrenbauer in der Position ist, Vorschläge oder Aufträge zu erteilen." Linkspartei und Grüne drängen weiterhin auf eine Wahl Ramelows, der weiterhin für das Ministerpräsidentamt zur Verfügung steht, die SPD strebt hingegen Neuwahlen an.
Die größte Verliererin: Die Demokratie
"Die rechtsextreme Szene ist derzeit völlig berauscht. Sie sind der große Gewinner der Wahl am Mittwoch", sagt der Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena, Matthias Quent. Insbesondere der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke freute sich über das "taktische Geschick" seiner Partei, welches zu "Ramelows Sturz" führte.
Das Verhalten von CDU, FDP und AfD sei "für ein auf Vertrauen und Kooperation angewiesenes System indiskutabel" gewesen, betont auch Politikwissenschaftler Schroeder. "Es untergräbt weiter das Vertrauen in die politische Elite und zeigt stattdessen Kaltschnäuzigkeit und Machtorientierung." (dpa/afp/mf)
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