Sahra Wagenknecht rechtfertigte sich bei "Maischberger" für die Abwesenheit der BSW-Abgeordneten bei der Selenskyj-Rede im Bundestag. Für Waldemar Hartmann war der Auftritt einfach nur "stillos". Klaus Wowereit erklärte, warum er "Negativ-Koalitionen" gegen die AfD fürchtet.

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Eine Kritik
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Das war das Thema bei "Maischberger"

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Der Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Berlin hat die Bruchlinien in der deutschen Ukraine-Unterstützung offengelegt. Die Abgeordneten des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und Großteile der AfD blieben der Rede im Bundestag fern. Beide Parteien gewannen bei den zurückliegenden Europawahlen gut 22 Prozent der Wählerinnen und Wähler für sich - beide fordern einen schnellen Friedensschluss und einen Stopp der Waffenlieferungen an Kiew. Sandra Maischberger sprach mit ihren Gästen über die Konsequenzen der Wahl, bei der die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP jeweils Stimmen einbüßten, die AfD, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die deutsche Unterstützung für die Ukraine.

Das waren die Gäste

  • Sahra Wagenknecht: Die BSW-Parteivorsitzende rechtfertige die Abwesenheit bei Selenskyjs Rede mit dem Setting im Bundestag, das "nur Standing Ovations" zugelassen habe. "Es gab keine Möglichkeit zur Aussprache, es gab keine Möglichkeit zur Debatte. Ich finde, es ist nicht die Zeit für Jubelveranstaltungen." Sie kritisierte die aus ihrer Sicht absoluten Positionen Selenskyjs (keine Abtretung der besetzten Gebiete, kein Verlust der Krim) vor möglichen Friedensverhandlungen mit Russland und nannte Ängste vor weiteren gewaltsamen Grenzverschiebungen durch Moskau nach einem Friedensschluss "Spekulationen". Deutsche Bodentruppen in der Ukraine lehnte sie strikt ab. "Wenn wir Soldaten hinschicken, dann ist der Krieg hier, dann sind wir in diesem Krieg." Für Wagenknecht ist der Krieg im Übrigen "ein Stellvertreterkrieg" zwischen den USA und Russland. "Und die Ukraine wird im Grunde dafür geopfert und die Menschen in der Ukraine."
  • Marina Weisband: Die in der Ukraine geborene Publizistin und Autorin warnte dagegen vor einem Friedensschluss mit Putin unter der Bedingung, dass Russland ukrainische Gebiete behalten darf. "Wenn jetzt dieser Konflikt eingefroren wird, ist das, was danach kommt, kein Frieden." Das habe sie schon 2014 nach der Krim-Besetzung gesagt – und letztlich Recht behalten. Ein "Belohnen des Aggressors" müsse unbedingt verhindert werden. Weisband vertrat zudem die These, dass der Krieg schon seit 2022 hätte beendet sein können, wenn die Nato-Staaten von Anfang an jene Waffen und Munition geliefert hätten, die die Ukraine bis heute nur stückchenweise bekommen hat.
  • Klaus Wowereit: Der langjährige Regierende Bürgermeister von Berlin (SPD) sah mit seiner gesunden Gesichtsfarbe aus, als sei er gerade aus dem Urlaub gekommen. Die Urlaubsstimmung verflog aber schnell beim Blick auf das schlechteste Wahlergebnis für die Sozialdemokratie seit 1887, wie Sandra Maischberger feststellte. Wie viel hat das mit dem Kanzler Scholz zu tun? "Das hat natürlich auch mit dem Kanzler zu tun. Das hat aber nicht nur mit dem Kanzler zu tun", sagte Wowereit diplomatisch. Er bemängelte, dass Scholz zu wenig kommuniziert, zu wenig erklärt. "Er wird nicht mehr der Volkstribun", prophezeite Wowereit. "Aber es wäre schön, wenn er bis zur nächsten Wahl etwas mehr aus sich herauskommt." Zur AfD vertrat er eine klare Meinung. Er sieht die Partei nicht auf einem Weg, der zur Normalität führt. "Sie radikalisieren sich ja eher." Bange hat der Polit-Rentner vor "Negativ-Koalitionen" in den Ost-Ländern, die nur gebildet werden müssten, um die AfD zu verhindern. Solche Konstellationen – etwa eine Zusammenarbeit zwischen CDU und Linkspartei oder BSW – könnten die AfD noch mehr stärken.
Maischberger
Klaus Wowereit (SPD, langjähriger Regierender Bürgermeister von Berlin) hofft, dass Scholz etwas mehr aus sich herauskommt. © WDR/Oliver Ziebe
  • Waldemar Hartmann: Der Moderator und Sportjournalist wies darauf hin, dass die große Mehrheit der Wähler – nämlich rund 80 Prozent – den Ukraine-Kurs von AfD und BSW nicht unterstützen. Pläne, die Bundeswehr wieder deutlich zu vergrößern, gehen seiner Meinung nach nicht "über die Freiwilligkeit". Und auch bei Neuwahlen, wie vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) nach dem SPD-Debakel bei den Europawahlen gefordert, ist Hartmann skeptisch. "Der Sportkamerad Scholz hätte einen Job zu verlieren."
  • Julie Kurz: Die ARD-Journalistin nannte den Boykott der Selenskyj-Rede durch BSW und AfD "Symbolpolitik", um Aufmerksamkeit zu erregen. Zuzuhören, auch wenn man anderer Meinung ist, "ist eine Frage des Respekts". Für sie lässt das Fernbleiben der Rede eines Präsidenten, "der unsere freiheitlichen Werte verteidigt", Rückschlüsse auf die beiden Parteien zu. Sollte wohl heißen: Mit genau diesen Werten können sich die Parteien teilweise nicht so richtig identifizieren.
  • Vassili Golod: Der in Charkiw geborene Ukraine-Korrespondent der ARD schilderte die schrecklichen Folgen eines russischen Angriffs auf einen Baumarkt in seiner Geburtsstadt. "Kinder mussten DNA-Proben abgeben", berichtete er. Weil von den eigenen Eltern nach dem Angriff nichts mehr zu erkennen war. Als Folge der Entscheidung, dass militärische Ziele in Russland nun auch mit westlichen Waffen angegriffen werden dürfen, habe es zuletzt keine Raketenangriffe mehr auf Charkiw gegeben. "Das zeigt, dass die militärische Unterstützung sehr wohl Folgen hat für das Leben in der Ukraine." Wagenknechts Ausführungen, wonach Selenskyj den Bürgerkrieg in der Ostukraine vor 2022 mit Drohnenangriffen ebenfalls eskaliert habe und heute keine Verhandlungen wolle, nannte Golod "Täter-Opfer-Umkehr".

Das war der Moment des Abends

2003 war Waldemar Hartmann Ziel der "Weißbier-Wutrede" des damaligen Bundestrainers Rudi Völler, bei Sandra Maischberger setzte die Reporter-Legende selbst zu einer kleinen Wutrede an. Grund war der Selenskyj-Boykott der Wagenknecht-Partei. "Ich halte es für bodenlos, sie kann die Meinung haben, sie kann sie auch äußern, aber das ist stillos. Man muss in den Bundestag gehen und zumindest mal zuhören." Er habe im Wahlkampf von BSW-Wählern oft gehört: 'Die Großen in Berlin hören uns nicht zu.' Nun haben die BSW-Abgeordneten dasselbe getan: nicht zugehört. "Ich muss keine Standing Ovations liefern, ich muss keine Lichterketten bilden, aber der Anstand gebietet doch, dass ich da bin und zuhöre."

Das war das Rededuell des Abends

Will Wolodymyr Selenskyj die Nato in den Ukraine-Krieg hineinziehen? Welche Belege es für ihre Behauptung gebe, wollte Maischberger von Wagenknecht wissen. Sie berichtete, dass die Ukraine zuletzt zweimal das Frühwarnsystem der russischen Nuklearstreitkräfte angegriffen habe und beklagte: "Das ist kein Kriegsziel, das mit der Verteidigung der Ukraine zu tun hat." Außerdem habe Selenskyj in der Vergangenheit eine Flugverbotszone mithilfe der Nato gefordert. "Dann müsste die Nato direkt auf russische Flugzeuge schießen", empörte sich Wagenknecht.

Marina Weisband widersprach der Nato-These: "Ich glaube, das ist nicht der Punkt." Selenskyj suche einfach Hilfe und Unterstützung – verständlicherweise als Präsident eines angegriffenen Staates. "Weder Putin noch Selenskyj haben ein Interesse daran, dass die Nato in den Krieg eintritt, in den konventionellen Krieg", sagte die Publizistin. Einen hybriden Krieg gegen einzelne Nato-Länder führe Putin ohnehin schon.

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Die Gastgeberin fühlte Sahra Wagenknecht immer wieder auf den Zahn. Das überraschte nicht, war sie doch der einzige Gast, der Angriffsfläche bot. Warum sie die Selenskyj-Rede nicht einfach im Bundestag ohne zu klatschen verfolgt habe? "Das geht auch, Frau Wagenknecht!" Die BSW-Gründerin antwortete: "Das wäre uns genauso als Affront ausgelegt worden." Auch ihre Relativierungen (Aber die USA machen auch ...) unterband Maischberger weitgehend.

An einigen Stellen der Sendung hatte sie dennoch merklich Schwierigkeiten, den Redefluss des früheren SED- und Linken-Mitglieds zu stoppen. Bei einigen kontroversen Thesen (Stichwort: Stellvertreterkrieg) ging sie gar nicht dazwischen. Das wäre auch bei Wagenknechts Vorschlag nach einem von der UN beaufsichtigten Referendum in den von Russland besetzten Gebieten zu ihrer künftigen Staatsangehörigkeit geboten gewesen. Nach Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlungen bzw. Neuansiedlungen hat sich die Bevölkerungszusammensetzung dort deutlich verändert. Wie stellt sich Wagenknecht dann ein Referendum konkret vor?

Das ist das Fazit

Marina Weisband setzt zwar ein klein wenig Hoffnung in die Friedenskonferenz am kommenden Wochenende in der Schweiz. Aber da Russland dort nicht mit am Tisch sitzt, dürften die Ergebnisse überschaubar bleiben. Ohnehin befürchtet sie, dass Russland "ohne Krieg nicht mehr regierbar" ist. Das Land habe sich unter Putin auf eine Kriegswirtschaft eingestellt. "Er braucht Krieg." Auch um davon abzulenken, dass es der Bevölkerung "beschissen geht". Putin erzähle seit zehn Jahren von seinen Plänen im Baltikum und in Moldawien. Weisband empfahl allen Menschen, ihm genau zuzuhören.

Angesichts solcher pessimistischen Töne könnte doch die Fußball-EM in Deutschland die schlechte Laune durch die Weltlage und die schlechte Performance der Ampel-Regierung etwas aufhellen. Waldemar Hartmann hat bislang keine Anzeichen für ein neues Sommermärchen entdeckt, kaum Deutschland-Fähnchen, keine EM-Stimmung. "Der Funke ist noch nicht übergesprungen." Könnte aber passieren, wenn die Nagelsmann-Elf am Freitag gegen Schottland gewinnt, hoch gewinnt, mit ein paar schönen Toren. Entscheidend ist für Hartmann, ob die deutschen Einzelkönner zu einer Mannschaft zusammenfinden. Maischberger meinte dazu. "Da wären wir wieder bei der Politik." Stellt sich die Frage, was wahrscheinlicher ist: ein deutscher EM-Sieg oder eine Regierung, die bis zur Bundestagswahl 2025 endlich mal als Team agiert?

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