Sandra Maischbergers Gäste stritten am Dienstagabend über die Deutung der CDU-Abstimmung mit der AfD im Thüringer Landtag. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert äußerte dabei eine große Sorge. Comedian Oliver Kalkofe überzog derweil alle, die nicht bei drei auf den Bäumen waren, mit seinem Spott: Allen voran den Bundeskanzler und die CDU.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das war das Thema

Die Migration führt in Deutschland wieder zur Überforderung vieler Kommunen, die den Zustrom nicht bewältigen können. Sandra Maischberger diskutierte mit ihren Gästen, ob es einen neuen Kurs in der Migrationspolitik braucht. Auch das Thema Obergrenze spielte dabei eine Rolle. Das zweite große Thema war die gemeinsame Abstimmung der CDU und AfD in Thüringen, die damit einem Gesetzentwurf zur Absenkung der Grunderwerbsteuer zugestimmt. Steht die von der CDU viel beschworene Brandmauer nach rechts noch oder braucht es einen neuen Pragmatismus im Umgang mit der AfD? Schließlich war auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine Thema.

Das waren die Gäste

  • Carsten Linnemann: Der neue CDU-Generalsekretär stellte bei der Migration drei Forderungen auf. Grenzkontrollen in allen Bundesländern mit Grenzen zu Tschechien und Polen, mehr Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, insbesondere in Nordafrika, und Geldleistungen für abgelehnte Asylbewerber in Sachleistungen umwandeln. "Wenn wir uns überfordern, hat niemand was davon", sagte Linnemann mit Sorge um noch größere Zustimmungswerte für die AfD. Zudem bot er beim Asyl eine parteiübergreifende Zusammenarbeit wie in den 90er Jahren an, "die die Probleme bei der Zuwanderung löst."
  • Kevin Kühnert: Der SPD-Generalsekretär sah Linnemanns Vorschläge und insbesondere die Forderung von CDU-Chef Friedrich Merz nach einer Obergrenze von 200.000 Asylbewerbern pro Jahr kritisch. Stattdessen sprach sich Kühnert mit feiner Ironie für eine "Obergrenze für untaugliche politische Vorschläge" aus. Die müsse bei null liegen. Eine Asyl-Obergrenze erklärte er für wirkungslos, weil man der 200.001. Frau, die aus dem Iran nach Deutschland geflohen ist, schlecht in das Mullah-Regime zurückschicken könne. Zudem müsse jeder Asylantrag geprüft werden, daran würden auch Grenzkontrollen nichts ändern. "Populistische Parolen helfen nicht weiter", sagte Kühnert.
  • Oliver Kalkofe: Der Comedian und Schauspieler sieht in den hohen Umfrageergebnissen der AfD ein Zeichen, wie leicht Menschen manipulierbar und radikalisierbar sind. Zur viel beschworenen Brandmauer der CDU sagte er nach der gemeinsamen Abstimmung im Thüringer Landtag: "Je größer man die Fresse aufmacht, desto mehr kommt das Gesagte zurück". Also desto größer ist die Kritik, wenn man sich doch nicht daran hält. Das neue CDU-Logo hatte es dem Comedian besonders (nicht) angetan. Für ihn ist es ein klassisches Ablenkungsmanöver und ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu bekommen, nach dem Motto: "Wir wissen sonst gerade nicht, was wir sagen sollen, und ein Schrei nach Liebe." Auch zu Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Kalkofe einen Spruch auf den Lippen: Er sei bei der Verkündung des sogenannten Deutschlandpaktes "aufgepumpt durch die Augenklappe mit Wagemut versehen" gewesen.
  • Yasmine M’Barek: Die Journalisten von "Zeit Online" wollte die CDU-Abstimmung mit der AfD, bei der gegen die rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Thüringen die Grunderwerbssteuer gesenkt wurde, "nicht größer machen, als es ist". Auch wenn der Fall in einem Landtag und gerade in Thüringen mit dem rechtsextremen AfD-Landeschef Björn Höcke eine andere Bedeutung habe als eine gemeinsame Abstimmung auf kommunaler Ebene. Eine Debatte um individuelle Recht auf Asyl aufzumachen, findet M'Barek historisch bedingt und auch vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges "peinlich".
  • Paul Ronzheimer: Der stellvertretende Bild-Chefredakteur erlebt bei der CDU-AfD-Abstimmungsdebatte "eine Menge Heuchelei". Er erklärte auch, warum: "Wenn wir ehrlich sind, ist es doch schon passiert". Ein Verweis auf gemeinsame Abstimmungen anderer Parteien mit der AfD, vor allem auf kommunaler Ebene. "Was soll die CDU machen?", fragte Ronzheimer, "wenn die CDU eine Abstimmung vorgibt und die AfD zustimmt?". Er stimmte M'Barek zu, dass die Christdemokraten natürlich Oppositionspolitik machen dürfen, unabhängig vom Abstimmungsverhalten der AfD. Schließlich gab der Bild-Mann noch dem schleswig-holsteinischen CDU-Ministerpräsidenten einen mit. "Daniel Günther will am liebsten Kanzlerkandidat werden." Er zeige sich auf der moralisch richtigen Seite. Günther hatte die CDU in Thüringen scharf kritisiert. Beim Thema individuelles Recht auf Asyl zeigte sich Ronzheimer offen für Diskussionen.
  • Reinhold Beckmann: Der Fernsehmoderator und Autor berichtete am Ende der Sendung bewegend vom Schicksal seiner Mutter Aenne, die alle vier Brüder, seine Onkel, im Zweiten Weltkrieg verloren hatte. Beckmann machte daraus das Buch "Aenne und ihre Brüder". Seine Schlussfolgerung für die Gegenwart: Man kann Russlands Machthaber Wladimir Putin im Ukraine-Krieg nicht friedlich stoppen. "Der Pazifist in mir hat sich sehr gewandelt und sehr verändert in dieser Frage", gab Beckmann zu. Man hätte damals gegen Hitler auch nichts mit einer Friedensdemo auf dem Trafalgar Square ausrichten können.

Das war der Moment des Abends

Klare Worte von Yasmine M’Barek. Ob sie Angst vor einem Weltkrieg habe, sollte der Krieg in der Ukraine weiter eskalieren, wollte Sandra Maischberger wissen. Zuletzt hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Putin vor der UN-Vollversammlung mit Hitler verglichen und vor einem weiteren Weltkrieg gewarnt. Er habe das Recht, den Hitler-Vergleich zu benutzen, weil er Unterstützung für sein Land aufrechterhalten will. Aber: "Ich finde, dass Journalisten das Narrativ eines Dritten Weltkriegs nicht verwenden sollten", sagte M'Barek. "Diese Angst zu schüren, macht es außerhalb der Ukraine einfach schlimmer."

Das war das Rededuell des Abends

Carsten Linnemann und Kevin Kühnert lieferten sich beim Thema Thüringen ein ausdauerndes Rededuell. "Am Ende des Tages darf man die eigenen Überzeugungen nicht aufgeben, nur weil andere zustimmen", betonte Linnemann. Entscheidend sei, dass es keine Absprachen gegeben habe mit der AfD. "Nicht im Geringsten. Und die gab es nicht." Kühnert hielt dagegen: "Ein Anliegen muss durch Demokraten eine Mehrheit finden". Denn überall im Land gebe es eine Mehrheit gegen die AfD. Den Sozialdemokraten treibt um, ob es nach den Landtagswahlen im Osten 2024 einen neuen Standard geben wird und "Minderheitsregierungen der CDU von der AfD toleriert werden".

Dem Thema wich Linnemann trotz mehrfacher Nachfrage von Maischberger aus. Wie will die CDU kommendes Jahr im Osten Mehrheiten organisieren, wenn die AfD in den Landtagen von Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen stärkste Kraft sein sollte? "Ich will nächstes Jahr die Landtagswahlen gewinnen", sagte Linnemann nur dazu. Er will sich nicht schon vorher mit einer Niederlage beschäftigen. Kühnert war mit der Antwort nicht zufrieden.

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Die Gastgeberin nahm Linnemann ordentlich in die Mangel. Sie konnte aus ihm aber auch nicht herausquetschen, wie sich die CDU künftig verhält, wenn die AfD in einem Landtag stärkste Kraft ist. Hier wäre eine weitere Stufe auf der Hartnäckigkeitsskala gut gewesen. Angesichts der Schwäche der CDU in Ostdeutschland war natürlich schon die Personalie Linnemann interessant. Denn er ersetzte auf seinem jetzigen Posten Mario Czaja, einen der wenigen sichtbaren CDU-Bundespolitiker aus Ostdeutschland mit einer hohen Funktion in der Partei. Die Frage, wie die CDU personell im Osten punkten und für Identifikation sorgen will, war eine der ungenutzten Frage-Gelegenheiten der Sendung. Gewohnt empathisch zeigte sich die Gastgeberin, als sie Paul Ronzheimer nach seinen Erlebnissen im Ukraine-Krieg befragte.

Das ist das Fazit

Hart in der Sache, versöhnlich im persönlichen Umgang: Carsten Linnemann und Kevin Kühnert kennen und schätzen sich. Das hatte dann trotz der Unterschiede bei den Themen Migration, Steuern oder Mindestlohn fast einen Hauch von GroKo 2025. Dann findet die nächste Bundestagswahl statt. Besonders als es um das mögliche gemeinsame Vorgehen bei der Asylpolitik ging, das Linnemann ins Spiel brachte. Und als Kühnert forderte, dass Demokraten mit Demokraten vernünftig umgehen und damit der AfD das Wasser abgraben sollen. Im Umgang mit den Populisten wird sich erst noch zeigen, ob die markigen Worte von CDU-Chef Friedrich Merz gegen die Rechtsaußenpartei mit der Realpolitik in den drei ostdeutschen Landtagen nach den Wahlen 2024 in Einklang zu bringen sind.

Apropos Merz: Paul Ronzheimer stellte fast etwas überrascht fest, dass sich die Lage für Merz in den in letzten Monaten verbessert hat. Sein potenziell größter Konkurrent um die Kanzlerkandidatur, der Bayer Markus Söder, wird bei der Landtagswahl am 8. Oktober wohl ein eher schwaches Ergebnis einfahren und würde dann als angeschlagen gelten. Daniel Günther aus Schleswig-Holstein ist in seinen Augen nicht durchsetzbar und hat bisher auch keine Ambitionen angemeldet. Und NRW-Landeschef Hendrik Wüst habe sich zu Thüringen gar nicht erst geäußert.

Und die Lage in der Ukraine? Ronzheimer berichtete von Gesprächen mit Soldaten vor Ort, die immer wieder nach deutschen Waffenlieferungen fragen und warum Kanzler Scholz so zögert. Der Alltag mit Tod, Verwundung, Verstümmelung: Wie halten die Menschen das eigentlich aus? Ronzheimers Fazit: "Sie halten es eigentlich nicht aus." Vor diesem Hintergrund wirken die innerdeutschen Politik-Debatten manchmal schrecklich unbedeutend.

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