Die Niedersachsen-Wahl ist vorbei, nun können sich CDU/CSU, FDP und Grüne ganz den Koalitionsverhandlungen widmen. Bei Anne Will wurde deutlich: Das wird schwierig werden. Ein Politologe erwartet vor allem für die Grünen eine Zerreißprobe. Doch eigentlich streitet jede Partei auch ein bisschen mit sich selbst.

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Drei Wochen nach der Bundestagswahl und direkt im Anschluss an die Landtagswahl in Niedersachsen ist der Wahlkampf endgültig vorbei, nun könnte eigentlich wieder regiert werden.

Doch eines wurde in der Talkshow von "Anne Will" schnell deutlich: Bevor wieder Politik gemacht werden kann, müssen sich die vier potenziellen Koalitionsparteien CDU, CSU, FDP und Grüne erst noch durch zähe Verhandlungen manövrieren.

Politologe stichelt, Jamaika steht zusammen

Umso mehr nach einer Landtagswahl, die mit einem etwas überraschendem Wahlsieg der SPD in Niedersachsen endete.

"Die Kanzlerin ist sicher nicht gestärkt worden. Das macht die Verhandlungen noch einmal schwieriger", meinte der Politologe Albrecht von Lucke, der bei der Beschreibung der derzeitigen politischen Großwetterlage von einem Superlativ zum nächsten sprang.

So sprach er von einer Koalitionsbildung, die das Land "so noch nicht gesehen hat", einem Zustand der "Fast-Regierungsunfähigkeit". Eine Zuspitzung, die die anwesenden Parteienvertreter so nicht stehen lassen wollten und lieber auf Tuchfühlung gingen.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) betonte, dass alle Partner sich angemessen behandeln müssten und sich angemessen behandelt fühlen müssten. Darauf habe er als Chef eines schwarz-grünen Bündnisses immer geachtet.

Der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki betonte in Richtung der Grünen, dass beim strittigen Asylthema ein Kompromiss möglich sei.

Deren Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, sagte pragmatisch, es gebe ein "Wahlergebnis, das wir alle nicht wollten, mit dem wir nun aber arbeiten müssen".

Göring-Eckardt sorgt für erhöhten Blutdruck

Weil alles so harmonisch wirkte, sorgte die Redaktion von "Anne Will" zumindest für ein bisschen Zündstoff - und zeigte einen Einspieler von Kubicki. Darin beschwerte er sich über die "moralische Attitüde" der Grünen-Politikerin Göring-Eckardt, die seinen Blutdruck in die Höhe treibe.

Damit konfrontiert wollte er die Aussage nicht zurücknehmen, verwies aber darauf, dass es eine ganze Reihe von Frauen gebe, die sich freuten, "wenn mein Blutdruck in die Höhe geht". Da konnte sich auch Göring-Eckhard ein Lachen nicht verkneifen.

Dann wurde es wieder ernster, aber keineswegs streitbar. Denn Kubicki versicherte Göring-Eckardt, dass die Zusammenarbeit gut funktionieren werde.

Es wird doch noch diskutiert

Erst als es inhaltlich wurde, flammte dann doch so etwas wie eine Diskussion auf - beim Thema Familiennachzug für Flüchtlinge.

Während Bouffier von einer begrenzten Integrationskraft des Landes sprach und die Entscheidung verteidigte, den Familiennachzug gesetzlich ausgesetzt zu haben, verdeutlichte Göring-Eckhard, dass ihre Partei eine Verlängerung der derzeitigen Regelung nicht mittragen werde.

Auf die Frage, ob dies ein Grund sein könne, die Koalitionsverhandlungen platzen zu lassen, antwortete die Grüne nicht eindeutig.

Eine doppeldeutige Bemerkung leistete sich Volker Bouffier. Angela Merkel sei mit ihrer Erfahrung "eigentlich die Richtige" für eine solch komplizierte Koalition.

"Eigentlich die Richtige?", fragte Will nach. Bouffier musste sich korrigieren: "Sie ist die Richtige."

Politologe: Grüne könnten sich spalten

Dann schlug erneut die Stunde von Politologe Lucke, der erneut eine gewagte These aufstellte: Er sieht die Gefahr, dass die Grünen "ein Schisma" erleben und "zerteilt werden".

Sein Argument: Die Grünen, die traditionell aus einem linken (Fundis) und einem gemäßigten (Realos) Flügel bestehen, hätten die Frage nie beantwortet, "ob sie noch eine linke Partei oder Teil einer vielfältigen Mitte" seien wollen.

Widerspruch kam - wenig überraschend - von Göring-Eckhard, die von einem so geschlossenen Wahlkampf ihrer Partei "wie noch nie" berichtete.

"Machen Sie sich keine Sorgen, dass die Grünen auseinanderfallen", sagte sie zum Parteien-Kenner.

Bekenntnis zu Schulz wenig überzeugend

Ganz entspannt gab sich bis dahin Olaf Scholz, SPD-Bürgermeister von Hamburg. Nur einmal mischte er sich in das vorkoalitionäre Geplänkel ein, watschte erst die Grünen grinsend als Partei "für Besserwisser", dann die FDP als Partei "für Besserverdiener" ab. Allein das würde schon zeigen, dass sie gut zusammenpassen würden.

Schmallippig wurde Scholz hingegen bei der Frage, ob der SPD-Wahlsieg in Niedersachsen Parteichef Martin Schulz gestärkt habe.

Überzeugend wirkte sein Treuebekenntnis nicht. "Es gibt keinen, der nicht glaubt, dass wir einen Erneuerungsversuch brauchen", sagte Scholz stattdessen etwas unkonkret.

Das zeigt: Die Kritiker des obersten Sozialdemokraten, der das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 zu verantworten hat und einer wirklichen personellen Erneuerung ihrer Meinung nach im Weg steht, kommen nicht aus der Deckung. Aber sie sind da.

So dürfte es nicht nur zwischen den potenziellen Jamaika-Partnern noch viele Diskussionen geben, bis tatsächlich mal wieder richtig Politik gemacht wird. Sondern eben auch in der SPD.


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