Die Bundesregierung will zusätzlich mehr als 400 Familien von den griechischen Inseln aufnehmen. Während in Deutschland weiter um die richtige Lösung gerungen wird, verschlechtert sich der Zustand vieler Migranten auf Lesbos.
Dass obdachlose Migranten in Europa unter freiem Himmel schlafen, finden viele Menschen in Deutschland skandalös. Die griechische Regierung pocht aber darauf, dass die Zerstörung des Flüchtlingslagers Moria nicht durch die Aufnahme der Brandstifter in Deutschland belohnt werden dürfe.
Sie drängt die Schutzsuchenden, ein neues Zeltlager auf Lesbos zu beziehen. Fragen und Antworten zu einem Plan, der jetzt zwischen Union und SPD und mit Athen abgestimmt wurde.
Was haben die Regierungen in Berlin und Athen besprochen?
Bundeskanzlerin
Es handelt sich dabei um Familien mit Kindern, die in Griechenland bereits als schutzbedürftig anerkannt wurden. Das wurde mit der griechischen Regierung, die einer Aufnahme zustimmen muss, auch schon so besprochen.
Auch die SPD ist dafür. Diese Familien - insgesamt rund 1.550 Menschen - leben zurzeit verteilt auf fünf griechischen Inseln. Dass es jetzt nur Familien sind und auch nicht nur Menschen aus Moria, soll sicherstellen, dass unter denjenigen, die nach Deutschland kommen, niemand ist, der zu den Brandstiftern gehörte.
"Bereits erfolgt ist die Aufnahme von 53 unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden", erklärte Regierungssprecher
Dies betreffe insgesamt voraussichtlich mindestens 1.000 Personen, von denen mehr als 500 schon in Deutschland seien. "Die Gesamtzahl der Menschen, die Deutschland von den griechischen Inseln übernimmt, beläuft sich dementsprechend auf etwa 2.750 Personen."
Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria: Machen andere Europäer mit?
Bei der Aufnahme der unbegleiteten Minderjährigen machen bisher zehn EU-Staaten und die Schweiz mit. Nachdem vor allem Politiker der Union mehrfach betont haben, es dürfe keinen "nationalen Alleingang" bei der Aufnahme weiterer Geflüchteter aus Moria geben, schickten
Darin fragen sie, welche anderen Mitgliedstaaten bereit wären, auch Familien mit Kindern von den Inseln aufzunehmen. Eine finanzielle Unterstützung der EU für diese Umsiedlung sei möglich. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bekräftigte aber seine ablehnende Haltung zur deutschen Linie.
"Wir werden dem deutschen Weg hier nicht folgen", sagte Kurz am Dienstag bei einem Kasernenbesuch in Niederösterreich. "Ich gehe auch davon aus, dass sehr viele europäische Länder diesem Weg - Flüchtlinge in großer Zahl aus Griechenland aufnehmen - nicht folgen werden."
Als Gegenentwurf zur deutschen Strategie bringt Österreich einen umfangreichen Hilfstransport für die Menschen aus dem weitgehend zerstörten Migranten-Lager Moria auf Lesbos auf den Weg
Könnte dadurch eine Situation wie 2015 auf der Balkanroute entstehen?
Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster glaubt, dass - wenn man sich auf die Aufnahme der Familien mit Schutzstatus beschränkt - keine Sogwirkung entsteht wie damals. Er sagt: "Für die Union hat Priorität, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholen darf und wir unsere europäischen Partner nicht vor den Kopf stoßen.
Das könnte für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) ansonsten fatale Folgen haben." Die Lösung könne also nicht der politische Wettkampf um die höchste Aufnahmezahl sein, sondern Griechenland durch einen sinnvollen Aufnahmemechanismus in einer Notlage zu entlasten.
Die Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Andrea Lindholz (CSU), erklärt: "Ein deutscher Alleingang wie Teile von SPD und Grüne es fordern, wäre nur kontraproduktiv. Damit würde Deutschland sein primäres Ziel eines europäischen Asylsystems selbst aufgeben."
In welchem Zustand befinden sich die Migranten auf Lesbos?
Viele von ihnen fürchten sich davor, in das neue provisorisch errichtete Zeltlager zu ziehen. "Sie haben Angst, dort dauerhaft eingesperrt zu werden, und trauen mittlerweile niemandem mehr", sagt der Psychologe Dukas Protogiros, der auf Lesbos für die Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) arbeitet.
Er und seine Kollegen sehen eine Verschlimmerung bereits vorhandener Probleme: Ängste, Wut, Stress, Schlafstörungen, Essensverweigerung, Selbstmordabsichten. "Diese Menschen haben keine Sicherheit, keine Freiheit, keine anständige Versorgung, keine Hoffnung", sagt Protogiros.
"Sie müssen aufs Festland gebracht werden." Nicht zuletzt, weil es zunehmend Aggressionen seitens der völlig überlasteten Inselbewohner gebe.
Wie viele Migranten befinden sich auf den griechischen Inseln?
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks leben derzeit gut 27.000 Migranten in den Hotspots auf den ostägäischen Inseln Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros. Mit 47 Prozent stammt fast die Hälfte von ihnen aus Afghanistan. Syrer machen als nächstgrößte Gruppe 19 Prozent aus, sechs Prozent stammen aus der Demokratischen Republik Kongo.
Bei mehr als 50 Prozent der Migranten handelt es sich um Frauen und Kinder, viele davon unter zwölf Jahren. In diesem Jahr haben nach UNHCR-Angaben bisher 8.860 Menschen illegal von der türkischen Küste zu den Inseln übergesetzt. 2019 waren es fast 60.000, beim Ausbruch der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 sogar mehr als 850.000 Menschen.
Es kommen also weniger Migranten - heißt das, dass der Flüchtlingspakt mit der Türkei funktioniert?
Nicht unbedingt. Der Pakt sieht vor, dass Migranten ohne Asylanspruch von Griechenland in die Türkei zurückgeschickt werden. Für jeden Zurückgeschickten nimmt die EU dann einen Syrer aus der Türkei auf.
Verlassen dürfen die Migranten die griechischen Inseln aber nicht, solange ihr Asylverfahren läuft. Die Zahlen der illegal Übersetzenden nahm nach Inkrafttreten des Pakts stark ab.
Richtig funktioniert hat das Vorgehen trotzdem nie - in erster Linie, weil in Griechenland nicht genug Personal und Übersetzer bereit standen, um die vielen Asylanträge zu bearbeiten.
Wieso bringt die Regierung die Menschen nicht einfach aufs Festland?
Zunächst einmal ist Athen durch den Flüchtlingspakt gebunden, der besagt, dass die Schutzsuchenden so lange auf den Inseln bleiben, bis über ihren Asylantrag entschieden wird. Darüber hinaus gibt es neben dem Lager auf Lesbos auch Hotspots auf anderen Inseln.
Die Befürchtung der griechischen Regierung ist, dass dort ebenfalls Unruhen und Brände entstehen könnten, wenn dem Druck der Situation auf Lesbos nachgegeben wird und die Menschen von dort etwa aufs Festland oder gar nach Deutschland gebracht werden. (dpa/thp)
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