Auf Sylt singen Partygäste rassistische Parolen – nicht nur Politiker reagieren schockiert. Aus Expertensicht belegt das Video: Rechtsextremismus ist auch ein Problem höherer Schichten.
Es ist ein Handyvideo, nur wenige Sekunden lang und doch steckt es voller Fremdenfeindlichkeit: Die rassistischen Gesänge junger Partygäste auf der Nobelinsel Sylt alarmieren die Politik und schüren Ängste vor einem Rechtsruck bis hinein in die gesellschaftlichen Eliten.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte am Wochenende, menschenfeindliche Ideologie sei inzwischen ganz offensichtlich "Teil der Popkultur". Und sie sei in Milieus salonfähig, denen klar sein müsse, dass Ausländer maßgeblich zum Wohlstand beitrügen. Vizekanzler
Die bekannte Bar Pony im Inselort Kampen auf Sylt hatte nach Bekanntwerden des kurzen Videos Strafanzeige gestellt, der Staatsschutz der Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen.
Beteiligter: "Ganz schlimmen Fehler" gemacht
Einer der Beteiligten, der in dem Video eine Geste andeutet, die an den Hitlergruß denken lässt, schrieb laut "Bild" in sozialen Medien: "Alle, die wir damit vielleicht verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung." Er habe einen "ganz schlimmen Fehler" gemacht und schäme sich. Er gab demnach an, sich der Polizei gestellt zu haben und die rechtlichen Konsequenzen tragen zu wollen.
In dem Video, das am Donnerstag viral gegangen war und zu Pfingsten entstanden sein soll, ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen zur Melodie des mehr als 20 Jahre alten Party-Hits "L'amour toujours" von
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Bundestagspräsidentin
Am Sonntagnachmittag versammelten sich nach Polizeiangaben etwa 70 bis 80 Menschen in Kampen zu einer Mahnwache. Zu dem Protest hatte ein Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Gruppen von Sylt aufgerufen. Auf einem Plakat war etwa zu lesen: "Sylt. Oben links. Nicht rechts!"
"Ausländer raus"-Rufe: Kündigungen für Beteiligte
Für einige Beteiligte hatte das Gegröle ein schnelles Nachspiel: Die Werbeagentur-Gruppe Serviceplan Group erklärte, sie habe einen beteiligten Mitarbeiter fristlos entlassen. Auch die Hamburger Influencerin Milena Karl entließ nach eigenen Angaben eine Mitarbeiterin, die dabei war. "Ich bin selbst Migrantin und als werdende Mutter steht alles, was in diesem Video zu sehen ist, für eine Gesellschaft, in der ich mein Kind nicht großziehen möchte."
Die Betreiber des Lokals schrieben dazu auf Instagram: "Hätte unser Personal zu irgendeinem Zeitpunkt ein solches Verhalten mitbekommen, hätten wir sofort reagiert." Bei der Party waren mehrere Hundert Gäste. Am Sonntag berichteten die Betreiber zudem, sie hätten nach Bekanntwerden des Vorfalls Beleidigungen und Morddrohungen erhalten. Sie veröffentlichten als Reaktion eine Sequenz aus einem Überwachungsvideo, das die Szene aus einem anderen Blickwinkel zeigt. "An alle, die ständig fragen: 'Hat man das nicht mitbekommen?' Ihr seht selbst, dass die Mehrheit auf dem Video ihren Spaß hat, während eine kleine Gruppe etwas skandiert, das mit unseren Grundwerten nicht vereinbar ist."
DJ Gigi D'Agostino, dessen Song verhunzt wurde, stellte klar, dass sich dieser ausschließlich um Liebe drehe. "In meinem Lied 'L'amour toujours' geht es um ein wunderbares, großes und intensives Gefühl, das die Menschen verbindet", teilte D'Agostino mit. Zentral sei zudem die Freude über die Schönheit des Zusammenseins.
Robert Habeck: Video-Szenen sind verstörend und inakzeptabel
Wirtschaftsminister Habeck nannte die Video-Szenen verstörend und absolut inakzeptabel. Den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte er, Deutschland habe es geschafft, zu einer starken Demokratie zu werden, die auf Respekt und Pluralität gebaut sei. "Das zu schützen, ist unsere Aufgabe." Der CDU-Bundesvorsitzende
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich mit Blick auf die rassistischen Gesänge besorgt über die Verrohung der politischen Umgangsformen. Weiter sagte er beim Demokratiefest in Bonn, offensichtlich seien es nicht nur "die Randständigen, Abgehängten", die sich radikalisieren. "Sondern das ist eine Radikalisierung, die mindestens in Teilen in der Mitte der Gesellschaft auch stattfindet." Am Freitag hatte schon Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Parolen als "ekelig" und "nicht akzeptabel" bezeichnet.
Auch aus Sicht der Expertin Pia Lamberty zeigt das Sylt-Video eine Normalisierung rechtsextremer Inhalte in der Gesellschaft. "Ohne dass es irgendeine Form von Widerspruch gibt, werden die sozialen Normen einfach gebrochen", sagte die Co-Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht.
Schüler auf Internat singen rassistische Parolen
Nach Angaben des schleswig-holsteinischen Bildungsministeriums sollen sich auch Schülerinnen und Schüler bei einer Party in einem Internat rassistisch geäußert haben. Bei der Feier am Donnerstag hätten minderjährige Schüler zur Melodie von "L'amour toujours" rassistische Parolen gesungen, teilte das Ministerium am Montag mit. Daraufhin hätten die Lehrkräfte die Feier abgebrochen und Schülerinnen und Schüler ins Bett geschickt. Zudem habe das Ministerium eine Überprüfung durch die Schulaufsicht veranlasst. Das Internat selbst wolle sich im Laufe des Montags zu dem Vorfall äußern.
"Allen Schülerinnen und Schülern muss klar sein, dass es kein Scherz ist, solche Parolen zu singen", sagte Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Jugendlicher Überschwang oder auch Alkohol seien keine Rechtfertigung für rassistische Gesänge. Prien befürchte weitere Nachahmungen: "Jugendliche haben schon immer bewusst gesellschaftliche Tabus gebrochen." Es sei daher Aufgabe, mit den jungen Menschen ins Gespräch zu kommen, um ihnen zu verdeutlichen, welche Tragweite solche Gesänge haben.
Weitere Vorfälle in anderen Bundesländern
Auch anderswo kam es zu rassistischen Vorfällen. Der Club Rotes Kliff im Nobelort Kampen berichtete von einem "Rassismus-Vorfall" zu Pfingsten. Die betroffenen Personen seien des Clubs verwiesen worden und hätten jetzt Hausverbot, schrieben die Betreiber am Freitag auf Instagram. Daneben soll es noch einen weiteren rassistischen Vorfall auf der Insel gegeben haben: Eine schwarze Frau erhob auf Instagram den Vorwurf, sie sei an Pfingsten in einem Restaurant in Kampen beleidigt und ins Gesicht geschlagen worden. Die Polizei bestätigte, dass eine Anzeige vorliege.
Der Missbrauch des Lieds "L'amour toujours" auf Sylt ist kein Einzelfall. In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Vorfälle, bei denen zu dem Lied Nazi-Parolen gerufen wurden - etwa in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern.
In Erlangen skandierten zwei Männer auf der Bergkirchweih rassistische Parolen zu "L'amour toujours". Wie die Polizei am Samstag mitteilte, bekamen die Verdächtigen im Alter von 21 und 26 Jahren am Freitagabend ein Betretungsverbot - der Staatsschutz leitete Ermittlungen ein.
Schon am Freitag wurde bekannt, dass es ebenfalls an Pfingsten in Niedersachsen zu einem ähnlichen Fall kam. Auch auf dem Schützenfest im niedersächsischen Löningen westlich von Cloppenburg wurden rassistische Parolen gegrölt, auch zu "L’amour toujours", auch dort ermittelt der Staatsschutz.
D'Agostino-Lied soll auf dem Oktoberfest verboten werden
Unterdessen ist seit Montag klar, dass "L'amour toujours" auf dem Münchner Oktoberfest in diesem Jahr nicht gespielt wird. "Wir wollen es verbieten und ich werde es verbieten", sagte Oktoberfest-Chef Clemens Baumgärtner der Deutschen Presse-Agentur. Und weiter: "Auf der Wiesn ist für den ganzen rechten Scheißdreck kein Platz."
Das Lied an sich sei zwar nicht rechtsradikal, aber es habe eine "ganz klare rechtsradikale Konnotation" bekommen, sagte Baumgärtner. Die Betriebsbedingungen des Oktoberfests machten es möglich, derlei Parolen oder Inhalte zu verbieten. Die Wiesn sei ein "leichtfüßiges und schönes" Fest mit vielen ausländischen Gästen. Rechte Parolen seien in der Vergangenheit verhindert worden und sollen auch in Zukunft nicht vorkommen. "Die Wiesn ist unpolitisch." (dpa/fah)
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