Jeder zwölfte Deutsche hat laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung inzwischen ein rechtextremes Weltbild. 6,6 Prozent wünschen sich demnach gar eine Diktatur. Vertreter von Beratungsstellen und Initiativen fordern mehr Unterstützung: für den gesellschaftlichen Dialog – und für Menschen, die sich Extremisten entgegenstellen.
Die politische Mitte ist ein seltsamer Raum. Sie ist schwer zu beschreiben, am ehesten als eine Absage an radikale Einstellungen ganz links und ganz rechts. Mitte klingt nach Mäßigung und Pragmatismus. Eigentlich verorten sich viele Menschen deshalb genau dort. Doch es gibt Anzeichen dafür, dass dieser Raum in Deutschland kleiner wird.
Das jüngste Beispiel: die Mitte-Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Stiftung untersucht alle zwei Jahre rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung. Basis ist eine repräsentative Telefonumfrage, für die zwischen 2. Januar und 28. Februar dieses Jahres insgesamt 2.027 Personen befragt wurden.
Mitte-Studie: Rechtsextremes Gedankengut verbreitet sich
Zu den Ergebnissen der Studie mit dem Titel "Die distanzierte Mitte" gehören:
- Jeder zwölfte Deutsche (8,3 Prozent der Bevölkerung) hat ein rechtsextremes Weltbild. Das ist mehr als eine Vervierfachung im Vergleich zum Wert von 2020/21 (1,7 Prozent). Als zentrales Merkmal des Rechtsextremismus definieren die Autorinnen und Autoren "eine Ideologie der Ungleichwertigkeit und Gewalt beziehungsweise die Billigung von Gewalt zur Durchsetzung der Ideologie".
- 17 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu: "Wenn sich andere bei uns breitmachen, muss man ihnen unter Anwendung von Gewalt zeigen, wer Herr im Haus ist." 13 Prozent äußerten Verständnis für Gewalt gegenüber Politikerinnen und Politikern.
- 30 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu: "Die regierenden Parteien betrügen das Volk." Das sind fast doppelt so viele wie zwei Jahre zuvor.
- 6,6 Prozent der Befragten befürworteten eine Diktatur in Deutschland. 2020/21 waren es 2,2 Prozent.
Der Rechtsextremismus hat sich der Studie zufolge in den vergangenen Jahren zudem enorm gewandelt. "Er hat sich in bestimmten lokalen Räumen festgesetzt und dort seine Verbindungen in die Mitte gestärkt", schreiben die Autoren Andreas Zick und Nico Mokros. Rechtsextreme würden inzwischen in Elternvertretungen oder Sportvereinen, als Schöffinnen und Schöffen an Gerichten, in der Feuerwehr oder im Naturschutz gegen die Demokratie mobilisieren.
Das fällt in einer angespannten Gesellschaft offenbar leichter. Deutschland und die Welt sind in den vergangenen Jahren von einer Krise in die nächste gerutscht: Finanzkrise, Fluchtbewegungen, Corona-Pandemie, der russische Krieg gegen die Ukraine, Inflation. Die Entscheidungen der Politik werden dabei zunehmend schwerer überschaubar.
Zu diesem Befund kommt nicht nur die Friedrich-Ebert-Stiftung. "Die allgemeine Krisenstimmung und die Komplexität der politischen Herausforderungen und Entscheidungen führen offenbar dazu, dass sich Menschen zurückziehen", sagt Anja Ostermann. Sie leitet das Programm "Miteinander reden", das sich für die Stärkung des gesellschaftlichen Dialogs im ländlichen Raum einsetzt. "Einige Partner vor Ort spiegeln uns, dass es schwieriger wird, Menschen zu erreichen. Die Motivation, sich auch mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen, sinkt offenbar."
Beratungsstellen berichten von spürbar mehr Fällen
Wenig überrascht von den Ergebnissen ist auch Dominik Schumacher, Sprecher des Bundesverbands Mobile Beratung. Der Verband vertritt rund 50 Teams, die in ganz Deutschland Opfer und ehrenamtlich Engagierte zu Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus oder Verschwörungserzählungen beraten. Schumacher selbst ist im Regierungsbezirk Düsseldorf aktiv.
Noch gebe es keinen Jahresbericht, noch beruhe alles auf Erfahrungen, betont Schumacher. Aber: "Die Zahl der Beratungsfälle hat spürbar zugenommen."
Das gelte vor allem für das private Umfeld: Sprüche im Hausflur, Drohanrufe oder nächtliches Sturmklingeln, Belästigungen und Beschimpfungen der eigenen Kinder durch die Nachbarn bis hin zu angezündeten Autos und körperlicher Gewalt. All das erfahren Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren oder selbst Zielscheibe von Rassisten sind, offenbar immer stärker. Im Westen wie im Osten des Landes.
Eine zermürbte Zivilgesellschaft
Was folgt aus diesem Befund? "Das nachhaltigste Mittel gegen diese Entwicklung ist die Unterstützung der Engagierten", sagt Schumacher. "Wir brauchen eine Kultur des Miteinanders, eine deutliche Absage an Rechtsextremismus in der Nachbarschaft, in Schulen, am Arbeitsplatz."
Das ist einerseits eine gesellschaftliche Aufgabe. Allerdings sagt Schumacher auch: "Die Zivilgesellschaft ist müde, zermürbt nach den Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre. Das höre ich aus allen Bundesländern." Nötig sei daher auch mehr Personal für Organisationen und Initiativen gegen Rechtsextremismus.
Dieses Thema wird gerade auch im politischen Berlin diskutiert. Ein "Demokratiefördergesetz" hatte sich die Bundesregierung eigentlich vorgenommen. Es soll dazu führen, dass Projekte zur Förderung von Demokratie und zur Extremismusprävention dauerhaft staatlich unterstützt werden – nicht nur für ein Jahr oder eine Wahlperiode. Doch das Gesetz ist bisher nicht verabschiedet, sondern hängt im Bundestag fest. Unter anderem, weil sich Grüne und FDP bisher nicht auf Einzelheiten einigen konnten.
"Politische Bildung und Demokratieförderung sind mehr gefordert denn je", hatten SPD, Grüne und FDP Ende 2021 noch in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Doch in Zahlen schlägt sich das bisher kaum nieder.
Im Gegenteil: Laut Entwurf für den Bundeshaushalt wird das Bundesinnenministerium die Mittel für die Bundeszentrale für Politische Bildung im kommenden Jahr um 20 Millionen Euro auf dann 76 Millionen Euro kürzen. Das könnte das Aus für manche Projekte zur Stärkung von Demokratie und Zivilgesellschaft bedeuten.
Auch das Projekt "Miteinander reden" von Anja Ostermann steht dadurch vor einer ungewissen Zukunft. Das falsche Zeichen, findet sie. "Die Politik müsste ihre Entscheidungen besser und in verständlicher Sprache erklären. Man muss die Leute mitnehmen und Räume anbieten, in denen Menschen ins Gespräch kommen können", sagt Ostermann. "Das müsste man eigentlich intensivieren anstatt nachzulassen."
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Anja Ostermann
- Gespräch mit Dominik Schumacher
- Friedrich-Ebert-Stiftung: Die distanzierte Mitte
Über die Studie
- Für die repräsentative Studie "Die distanzierte Mitte" der Friedrich-Ebert-Stiftung hat das UADS Institut in Duisburg bundesweit 2.027 Menschen telefonisch befragt. Der Zeitraum war 2. Januar bis 28. Februar dieses Jahres. Die Befragten waren aufgefordert, sich zu bestimmten Aussagen zu positionieren, etwa ob sie eine Diktatur befürworten würden. Von der Gesamtstichprobe ausgehend liegt die Fehlergrenze nach Angaben der Autoren bei +/- 2,2 Prozent.
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