Der mutmaßlich rassistische Anschlag in Hanau am Mittwochabend, bei dem ein 43 Jahre alter Deutscher zehn Menschen erschoss, hat ein großes internationales Medienecho hervorgerufen. Eine Auswahl der Pressestimmen.

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Niederlande

NRC Handelsblad: "Feindseligkeit in der Mitte der Gesellschaft"

"Es wirkt ironisch, dass Politiker der rechtsradikalen AfD selbst gern argumentieren, ihre Partei sei 'in der Mitte der Gesellschaft' angekommen. Sie meinen das positiv und wollen damit sagen, dass ihr Anhang aus breiten Kreisen der Bevölkerung kommt.

Doch parallel zum Aufschwung der AfD gilt in der Mitte der deutschen Gesellschaft die Feindseligkeit gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund immer weniger als ein Tabu. Das zeigt sich vor allem in einer unverblümt hasserfüllten Sprache - im Internet sowie bei politischen Versammlungen."

Österreich

Der Standard: "Weil Hass nicht vom Himmel fällt"

"Der Selbsthass derer, die sich völkisch oder männlich zurückgesetzt fühlen, lebt vom Phantom der Gefahrenabwehr. Man wird sehen, ob die Auswertung der Hanauer Bekennerprosa neue Einsichten zutage fördern wird.

Doch ist es endlich an der Zeit, von der Chimäre der Äquidistanz Abschied zu nehmen. Denn noch immer wird der Extremismus in Mitteleuropa in linke und rechte Anteile aufgespalten. (...) Die Ergebnisse einer solchen Geografie der Indifferenz kann man zurzeit in Thüringen besichtigen.

Mithilfe der Mitte-Parteien wird der Rechtsextremismus durch die Hintertür auf das Parkett der gesetzgebenden Kammern gebeten. Gleichmacherei ist diesfalls Ausdruck von Hilflosigkeit. Sie stärkt bloß den rechts vom rechten Rand befindlichen Narrensaum."

Schweiz

Tages-Anzeiger: "Zeit für Aufstand der weltoffenen Mehrheit"

"Die Gefahr ist aber auch gewachsen, weil rassistische Hetze in der Gesellschaft heute verbreiteter und sichtbarer ist als vermutlich jemals zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik. Im Internet wird Einwanderern, vor allem Muslimen, tausendfach Deportation, Gewalt oder Tod angedroht.

Bei Pegida in Dresden, bei den Neuen Rechten, bei den sogenannten Reichsbürgern und auch bei manchem Politiker der Alternative für Deutschland werden Woche für Woche rassistische Parolen laut, die nicht viel weniger aggressiv und menschenverachtend tönen als jene des rechten Terroristen von Hanau. [...]

Die potenziellen Terroristen zu fassen und die gewaltbereiten Szenen in den Griff zu bekommen, genügt deshalb nicht. Die Behörden müssen auch stärker gegen Hetze und Übergriffe im Internet und auf der Straße vorgehen, notfalls mit schärferen Gesetzen.

Der Gefahr aber, dass der immer hemmungslosere Hass auf 'Fremde' schleichend das Gemeinwesen vergiftet, kann nur die deutsche Gesellschaft als Ganzes begegnen. Für einen Aufstand der weltoffenen Mehrheit ist es höchste Zeit."

Neue Zürcher Zeitung: "Zwischen Terroristen und Populisten unterscheiden"

"Die wehrhafte Demokratie vermag allerdings zu unterscheiden zwischen rechter Demagogie im Stil eines Björn Höcke und Rechtsterrorismus wie in Hanau, Halle oder Kassel. Sie konnte das in den siebziger Jahren, als eine vernünftige Mehrheit Linksterrorismus nicht mit Linksextremismus gleichsetzte.

So wurde die Grundlage gelegt, um die Täter der Rote-Armee-Fraktion gesellschaftlich zu isolieren und den Linksterrorismus zu vernichten. Vielleicht ist das die größte Tugend des Rechtsstaats: dass er Grenzen definiert, wo andere sie zum Zweck der Propaganda verwischen. Heute wird Deutschland ebenfalls klug genug sein, nicht alles aus einer verständlichen Empörung heraus in einen Topf zu werfen – Terroristen und Populisten."

Italien

La Repubblica: "Das Monster wacht auf"

"Das Monster wacht auf, und Deutschland macht uns wieder Angst. Es macht uns noch mehr Angst, denn es sieht uns ähnlich. Seine soziale Krankheit ist unsere. [...]

Die Anbindung an die Europäische Union, und damit an eine übernationale Struktur, die jede Bestrebung des wiedervereinigten Deutschlands in Richtung Großmacht abwenden sollte, schürt das Wiederaufleben eines aggressiven Nationalismus in einer zerrissenen Gesellschaft, die sich in ihrem Wohlergehen bedroht fühlt. Genau davor hatte Angela Merkel Angst, als sie das Zusammenwirken ihrer Partei, der CDU, und der Liberalen in Thüringen mit den anti-europäischen Fremdenhassern der Alternative für Deutschland als 'unverzeihlich' bezeichnete.

Aber der von der Bundeskanzlerin erwirkte Widerruf der Kooperation hat Teile der deutschen Christdemokraten nicht daran gehindert, weiter der Versuchung zum Dialog mit der extremen Rechten zu erliegen, wie es bereits in Italien und Österreich geschehen ist. Deutschland steht heute bestürzt vor dem Massaker in den Shisha-Bars von Hanau. Und hoffen wir, dass es nicht zu spät ist."

Corriere della Sera: "Diffuse Erzählung des Hasses hat Folgen"

"Das Massaker von Hanau ist ein weiterer rassistischer Terrorakt gegen ethnische oder religiöse Minderheiten, der in einem deutschen Bundesland verübt wird. Zu lange unterschätzt, zeigt das weite Spektrum der neonazistischen Ultrarechten so, dass diese eine diffuse Erzählung von Hass, Fremdenfeindlichkeit und Aufstachelung zur Gewalt geschaffen haben, die Früchte trägt und die Gruppen oder Einzelpersonen dazu bringt, blutige kriminelle Pläne wahr zu machen."

Großbritannien

The Times: "Sicherheitsapparat hat extreme Rechte lange unterschätzt"

"Das deutsche Innenministerium schätzt, dass es im Land jetzt 12.700 Rechtsextremisten mit einer Neigung zur Gewalt gibt. Das allein wäre schon eine große Herausforderung. Aber zwei Faktoren machen die Sache noch schwieriger.

Der erste ist, dass verschiedene Stränge der extremen Rechten sich anscheinend im Internet kreuzen und dass Einzelgänger leicht Zugang zu einem Arsenal an Kontakten, Anleitungen für Waffen und rassistischen Doktrinen finden. Der zweite besteht darin, dass Deutschlands Sicherheitsapparat viele Jahre lang darauf ausgerichtet wurde, sich auf die vom islamistischen Terrorismus ausgehende Bedrohung zu konzentrieren.

Kritiker argumentieren, dass er lange Zeit zu selbstgefällig - oder gar vorsätzlich blind - auf das Aufkommen einer flexiblen, heterogenen und internationalisierten extremen Rechten reagierte und es daher versäumte, angemessene Ressourcen für deren Überwachung bereitzustellen."

The Guardian: "AfD muss weiter isoliert werden"

"Eine der Schlüsselfragen unserer Zeit besteht darin, inwieweit das Ausmaß der Wiederauferstehung des Nationalismus den Rechtsextremismus und tödlichen Rassenhass angefacht und legitimiert hat. Die Sache ist kompliziert. In gewisser Weise ähnlich wie (die rechtspopulistische britische Partei) Ukip hatte die AfD als eine vor allem euroskeptische Partei begonnen.

Doch seit der Migrationskrise von 2015 hat sie sich in eine breitere Bewegung mit starken Elementen verwandelt, die bewusst Islamophobie und Rassismus schüren. [...] Angela Merkels bevorstehender Abschied von der Bühne bedeutet, dass eine Periode politischer Turbulenzen unvermeidlich ist.

Doch während die erfolgreichste Partei der Nachkriegsära in Deutschland über ihre künftige politische Richtung nachdenkt, sollten die Ereignisse von Hanau all jenen stark zu denken geben, die versuchen möchten, die äußerste Rechte zu zähmen, einzubinden oder zu imitieren. Der Sperrgürtel zur Isolierung der AfD und ihresgleichen muss aufrechterhalten werden."

Frankreich

L'Alsace: "Keine Hierarchie im Schrecken eines Anschlags"

"Sein Name war Tobias, er war 43 Jahre alt und studierte Management. Hinter dem reibungslosen Image dieses in jeder Hinsicht scheinbar guten Deutschen steckte in Wirklichkeit ein offen rassistischer Mann, ein Anhänger von Verschwörungstheorien.

Tobias R. ging von der Ideologie zur Praxis über und ermordete neun Menschen aus rassistischen Motiven [insgesamt zehn, inklusive seiner Mutter; Anm.d.Red.] [...]. Islamismus auf der einen Seite, Glaube an die Vorherrschaft der Weißen auf der anderen... Es gibt keine Hierarchie im Schrecken eines Terroranschlags [...]."

La Voix du Nord: "Ultra-rechter Terror ist real"

"Der ultra-rechte Terrorismus ist eine westliche Realität, die tief in den dunklen Tiefen unserer Gesellschaften verwurzelt ist. Der Anschlag in Hanau bei Frankfurt hat am Mittwochabend neun Tote unter den Gästen der Shisha-Bars gefordert, und der Mörder hat Nachrichten hinterlassen, die seine rassistischen Beweggründe bezeugen.

Deutschland wird von diesem Phänomen getroffen, das bereits durch den Aufstieg der ultra-rechten Partei Alternative für Deutschland (AfD) und Pegida erschüttert ist, die jeden Montag in Dresden ihren Hass zum Ausdruck bringt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel räumt ein: 'Dieses Gift existiert in unserer Gesellschaft.' Im Juni wurde ein einwanderungsfreundlicher CDU-Politiker ermordet. Im Oktober kamen bei einem Anschlag auf die Synagoge von Halle zwei Menschen ums Leben. Es wäre falsch, sich auf Deutschland zu konzentrieren. Der giftige Glaube an die Vorherrschaft der Weißen breitet sich aus."

Spanien

El Periódico: "Anschläge sind in Deutschland kein Einzelfall mehr"

"Das Schlimmste an dem Anschlag ist, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Deutschland, dessen Kanzlerin Angela Merkel sich in der Migrationskrise von 2015 vorbildlich verhalten hat, lebt in bewegten Zeiten mit der Vermehrung von Neonazi-Gruppen und den Wahlzugewinnen der ultrarechten Alternative für Deutschland (AfD). Das Phänomen ist nicht neu, aber in letzter Zeit hat es sich verschlimmert. [...]

Die Anschlagswelle, die Merkel mit dem Satz 'Rassismus ist Gift, Hass ist Gift und dieses Gift existiert in unserer Gesellschaft' verurteilt hat, fällt mit dem Riss im cordon sanitaire in Thüringen zusammen, den die rechten Parteien in Deutschland immer gegen die extreme Rechte aufrechterhalten hatten."

(msc/dpa)

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