Extremwetter werden in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Schuld ist der Klimawandel. Auch auf viele Küstenstädte und Inseln wird er erhebliche Auswirkungen haben. Wie viel Prozent der deutschen Fläche vom Meeresspiegelanstieg betroffen sein und ob wir die Klimaziele erreichen werden, hat uns der Klimaphysiker Torsten Albrecht im Interview erklärt.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Erde relativ schnell erwärmt. Das kann überall beobachtet werden: Im Sommer nehmen die Hitzewellen zu, es gibt immer häufiger Dürren und auch im Winter wird das Wetter extremer. Der Klimawandel bedroht zunehmend Inseln und Küstenstädte - auch in Deutschland.
Die Ziele vom Pariser Klimaabkommen werden wir nach aktuellen Schätzungen bis Ende des Jahrhunderts nicht erreichen. Der Klimaphysiker Torsten Albrecht hat im Interview erklärt, wie schnell die Erderwärmung tatsächlich voranschreitet, wie sich die Extremwetter voraussichtlich entwickeln werden und welche Auswirkungen der Klimawandel auf Deutschland haben wird.
Herr Albrecht, zu Beginn der Pandemie haben wir bei den CO2-Emissionen einige Erfolge erzielt. Warum sind diese aber nicht so vielversprechend, wie man zunächst denken möchte?
Torsten Albrecht: Weil es nur eine Delle im Aufwärtstrend der Treibhausgase ist. Im Vergleich zum Vorjahr gingen die CO2-Emissionen im ersten Halbjahr 2020 um acht bis neun Prozent zurück. Das kommt vor allem durch den Straßenverkehr. Die Leute sind kaum noch gereist und weniger zur Arbeit gefahren. Das war in den ersten Monaten sehr signifikant. An der CO2-Kurve ändern die acht bis neun Prozent aber relativ wenig. Es ist nicht so viel, wie es sich im ersten Moment angefühlt hat. Wir müssen bis Mitte des Jahrhunderts 100 Prozent weniger Emissionen haben, also netto Null, wenn wir die Klimarisiken wirksam begrenzen wollen. Dafür braucht es also ein bisschen mehr. Wir brauchen keinen Abbau von Wirtschaft, der allen schadet, sondern einen Umbau, der allen nützt. Die Strukturen unseres Wirtschaftens haben sich in der Pandemie aber nicht grundlegend geändert. Wir sind gerade wieder ziemlich auf dem alten Emissions-Pfad gelandet, obwohl wir die Pandemie noch gar nicht beendet haben. Außerdem macht der gesamte Verkehrssektor bei den globalen Emissionen nur ungefähr 14 Prozent aus. Das ist ein gar nicht so großer Teil. Die Landwirtschaft und der Energiesektor sind wesentlich größere. Da ist nicht viel passiert, die haben trotz Corona im Wesentlichen einfach weitergemacht.
Wie schnell ist die Erderwärmung in den vergangenen Jahrzehnten vorangeschritten?
Seit 1950 sind wir in einer Phase, die oft als "Große Beschleunigung" bezeichnet wird. Im Prinzip eine Beschleunigungskurve in ganz vielen Bereichen: bei den Emissionen von Treibhausgasen und der Temperaturentwicklung, aber auch in der Wirtschaft und der Bevölkerungszahl. Und wir sind bis heute in einer relativ schnellen Erwärmungsphase mit relativ starken Emissionszuwächsen. Wir haben bislang nicht den Höhepunkt erreicht, wo man langsam Emissionen zurückfährt und sich die Temperaturen wieder stabilisieren können. Solange wir die Emissionen nicht auf netto Null gedrückt haben, wird auch die Temperatur weiter steigen. Wenn das CO2 einmal in der Atmosphäre ist, bleibt es dort Jahrhunderte lang, und hat den Treibhauseffekt. Wenn man einen Referenzwert nimmt, zum Beispiel 1880 bis 1900, hat sich die Erde bis heute um 1,1 Grad erwärmt. In Deutschland interessanterweise ein bisschen mehr, da sind wir schon bei 1,5 Grad.
Warum sich Deutschland stärker erwärmt hat
Wie kann das sein?
Da gibt es mehrere Effekte. Einerseits ist die Erwärmung über der Meeresoberfläche, die den Großteil unseres Planeten ausmacht, ein bisschen weniger stark als über den Landflächen. Andererseits haben Rauchabgase neben dem erwärmenden Effekt mit dem langlebigen CO2 auch einen kühlenden Effekt mit ihren Partikeln von Ruß und Schwefel. Diese blocken einen Teil des Sonnenlichts ab und beeinflussen die Wolkenbildung, sind aber viel kurzlebiger als CO2. Dadurch, dass die Industrie in Mitteleuropa dank Filteranlagen weniger Rauchabgase mit Ruß ausstößt, ist deren kühlender Effekt regional über Europa geringer als zum Beispiel über China, wo die Schlote noch richtig qualmen. Das sind natürlich relativ kleine Effekte, so 0,2 bis 0,3 Grad. Und wenn wir 1,1 Grad global gemittelt messen, sind wir dann schon relativ nah an den 1,5 Grad dran.
Welche Auswirkungen des Klimawandels können wir bereits heute beobachten?
Wetterextreme zum Beispiel haben sich über die letzten Jahrzehnte stark gehäuft. Eine ganz wichtige Komponente dabei ist der Jet-Stream oder Strahlstrom. Er ist ein Windband, das sich immer vom Westen her über die mittleren Breiten zieht, also über die USA, Europa, Russland. Diese Luftströmung wird durch den Temperaturunterschied zwischen den warmen Tropen und der kalten Arktis angetrieben. Die Arktis erwärmt sich im Klimawandel allerdings schneller als die Tropen. Wenn sich im globalen Mittel die Temperatur um 1 Grad erwärmt, hat man im hohen Norden eher 2 bis 3 Grad Erwärmung. Wenn sich im globalen Mittel die Temperatur um 3 Grad erwärmt, sind es rund um den Nordpol zwischen 6 und 9 Grad Erwärmung. Das ist eine ganz andere Hausnummer.
Und was ist die Folge?
Der Temperaturunterschied wird geringer und der Jet-Stream fängt an, größere Bögen zu machen. Das sind die Hoch- und Tiefdruckgebiete bei uns. Kommt es dazu, dass zum Beispiel im Sommer diese Muster der Bögen einfach länger stehenbleiben, dann bleiben auch die darin gefangenen Wettersituationen länger an einem Ort. Aus ein paar warmen Tagen wird eine Hitzewelle, und wenn die Feuchtigkeit verdunstet ist, eine Dürre. Im Winter kann es ähnlich sein. Kalte Luftmassen gelangen dann von Norden mitunter sehr weit nach Süden. Hitze- und Kältewellen werden also beide durch einen sehr schwachen Jet-Stream begünstigt. Und damit hört die Liste der Klimafolgen nicht auf. Auch bei tropischen Wirbelstürmen sieht man, dass die Intensität zunimmt. Es gibt nicht unbedingt häufiger Hurrikans oder Taifune, aber mehr starke – und das sind die, die die großen Schäden anrichten.
Extremwetter können zu gesellschaftlichen Verwerfungen führen
Wie werden sich diese Anzeichen in den kommenden Jahrzehnten noch verändern?
Höhere Temperaturen im Allgemeinen führen zu mehr extremen Wetterereignissen. Diese werden sich immer weiter häufen. Bei Extremereignissen, die früher vielleicht alle paar Jahrzehnte aufgetreten sind, kann man davon ausgehen, dass sie nun vielleicht alle fünf Jahre vorkommen werden. Ganz viel hängt aber natürlich auch davon ab, ob wir es schaffen, das Klima zu stabilisieren.
Und welche Folgen haben Extremwetter?
Extremwetter haben Folgen für die Landwirtschaft, klar. Aber auch auf die Industrie, wenn deren Lieferketten unterbrochen werden. Bei Hitzewellen sterben außerdem mehr Alte und Kranke, bei Starkregen laufen die Keller voll, anderswo gefährden Schlammlawinen Dörfer. Bereits jenseits von 2 Grad Erwärmung können Extremwetter so heftig werden, dass es zu gesellschaftlichen Verwerfungen kommen kann. Migration und Klimawandel ist da ein großes Thema. Man kann bereits abschätzen: Wenn manche Gebiete für den Menschen nicht mehr bewohnbar werden sollten, weil sie zu trocken werden oder dem langfristigen Anstieg des Meeresspiegels zum Opfer fallen, werden viele wandern müssen. Da wird es automatisch Konflikte geben. Ein Beispiel ist bereits heute Syrien. Der Krieg dort hat eine ganze Reihe von Ursachen. Aber man muss eben sehen, dass es dort sieben Jahre lang eine Dürre gab und die Landwirtschaft litt. Viele Bauern drängten in die Städte und hatten keine wirkliche Existenzgrundlage mehr. Da gab es dann ethnische Konflikte, und das war auch ein Beitrag dazu, dass es zum Krieg kam. Ganz wichtig: Der größte Teil der Migration findet regional statt, die Menschen wandern dann vielleicht noch in die Nachbarländer aus, aber nur ein kleiner Prozentsatz drängt zu uns, in die großen Wirtschaftsnationen.
Das Thema interessiert Sie? Lesen Sie hier, warum der Klimawandel nicht das größte Problem ist.
Die Malediven werden langfristig vermutlich nicht bewohnbar sein
Der Anstieg des Meeresspiegels ist auch eine Folge des Klimawandels. Von welchen Größenordnungen sprechen wir hier?
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts haben wir einen Meeresspiegelanstieg von 20 Zentimetern. Dieser Anstieg ist global gemittelt, regional aber sehr unterschiedlich. Es gibt zum Beispiel Regionen entlang der US-Ostküste, in denen der Meeresspiegel bereits doppelt so stark gestiegen ist. Dafür ist er in einigen wenigen Regionen sogar gefallen, zum Beispiel rund um Stockholm. Man geht davon aus, dass der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts um zusätzliche 50 bis 100 Zentimeter steigen wird, vielleicht aber auch mehr. Beim Meeresspiegel werden die meisten Auswirkungen der Entscheidungen, die wir heute treffen, aber erst sehr viel später sichtbar. Wir schauen uns da das Jahr 2500 oder sogar 3000 an. Was wir heute innerhalb weniger Jahrzehnte an Treibhausgasen ausstoßen, das bestimmt den Meeresspiegel über viele Jahrhunderte.
Vor allem für Inseln ist die Größenordnung ja wichtig.
Für viele Inseln ist es eine ganz wichtige, existentielle Frage. Kleine Inselstaaten sind schon bei verhältnismäßig geringem Meeresspiegelanstieg akut betroffen, wenn sie flach sind. Die meisten davon befinden sich in Ozeanien, Tonga zum Beispiel, oder die Malediven im Indischen Ozean. Die Politiker rechnen bereits damit, dass die Menschen dort langfristig nicht mehr leben können. Und selbst wenn wir das Klima erfolgreich bei 1,5 Grad Temperaturanstieg stabilisieren, wird es auf vielen Inseln nicht so einfach sein, weiterhin normal leben zu können. Ein Meeresspiegelanstieg von ein paar Zentimetern führt bereits dazu, dass das Grundwasser im Inselinneren hochgedrückt wird und versalzt. Und viele Inseln können sich nicht einfach mehr Wasserentsalzungsanlagen leisten.
Und was können die Inseln dann tun?
Die Menschen auf den Malediven zum Beispiel haben vorgesorgt. Für ihre 450.000 Einwohner haben sie tatsächlich schon eine Exit-Strategie vorbereitet und Gelder zurückgelegt, um sich gegebenenfalls bei Sri Lanka oder Indien einzukaufen. Aber viele andere können das nicht.
Bislang erreichen wir 3 Grad bis Ende des Jahrhunderts
Welche Länder und Städte werden einmal vom Meeresanstieg betroffen sein?
Da sind große Städte dabei, also zum Beispiel Mumbai oder Teile von New York. Ein erheblicher Teil von Bangladesch ist wegen seiner Lage in einem riesigen Flussdelta bedroht. Wo große Ströme in die See münden, ist es nicht einfach, Dämme zu bauen. Bei uns sind vor allem Teile von Nord-Westdeutschland bis Hamburg betroffen. Da gibt es einige Gebiete, die sehr niedrig liegen. Allerdings kann bei einem Meeresspiegelanstieg von einem Meter auch eine Region betroffen sein, die eigentlich über fünf Meter über dem Meeresspiegel liegt – wenn zum Beispiel eine Kombination aus Sturmflut mit extremen Winden aus einer bestimmten Richtung kommt. Ich denke, bei einem Meter Meeresspiegelanstieg werden etwa vier Prozent der deutschen Fläche betroffen sein. Das ist nicht wenig, wir haben ja auch eine recht flache Küste. Da gibt es aber natürlich auch Länder wie die Niederlande oder den US-Bundesstaat Florida, bei denen die Zahl wesentlich höher ausfallen wird. Auch hier ist alles sehr flach, und große Bereiche können relativ schnell überflutet werden. Es gibt Schätzungen, dass bei einem Anstieg von 0.5 bis 2 Metern bis 2100 zwischen 72 und 187 Millionen Menschen betroffen sein könnten.
Wie realistisch sind die gesteckten Ziele?
1,5 bis 2 Grad, das ist die im Pariser Klimaabkommen gesteckte Grenze für die weltweite Erwärmung, die wollen wir nicht überschreiten. Jede einzelne Nation legt unter dem Pariser Vertrag über einen bestimmten Zeitraum nationale Ziele fest, wieviel Ausstoß von Treibhausgasen sie zu reduzieren verspricht. Wenn man die in ein Klimamodell einrechnet, kann man abschätzen, bei welcher Temperatur wir am Ende des Jahrhunderts landen. Da sind wir im Moment so bei 3 Grad. Damit sind wir noch ziemlich weit von den 2 Grad entfernt. Aber man muss auch dazu sagen, dass noch vor ein paar Jahren die Emissionen so waren, dass wir 2100 bei über 4 Grad gelandet wären. Es bewegt sich also etwas. Auch auf EU-Ebene wird immer wieder nachgebessert, und das ist gut. Kürzlich wurde beschlossen, die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Das ist ein großer Schritt. Allerdings müssen wir bis Mitte des Jahrhunderts auf minus 100 Prozent. Das ist natürlich noch einmal ein ganz schöner Sprung.
In den USA ist bereits viel passiert
Aber wenigstens sind die USA wieder dem Klimaabkommen beigetreten.
Das ist ein ganz wichtiges Signal. Auch für viel andere Nationen, die sich daran orientieren. In den vergangenen vier Jahren hätte schon viel mehr passieren können. Aber diese Zeit ist auch nicht völlig verloren. Das wurde in der Öffentlichkeit oft so dargestellt, aber viele von den Bundesstaaten der USA haben sehr stringent auf regenerative Energien und lokale Klimaziele hingewirkt. Die einzelnen Senatoren und Städte nehmen das sehr ernst. Da ist schon viel passiert, obwohl auf der übergeordneten Ebene der Klimawandel geleugnet wurde.
Was muss getan werden, um die Ziele zu erreichen?
Entscheidend ist am Ende, was die Wählerinnen und Wähler wollen, denn sie bestimmen über das Mandat der Politik. Um die drängenden Fragen rund um das Klimageschehen kann eigentlich keine Partei und kein Kandidat mehr drum herumkommen. Generell brauchen wir aber einen grundlegenden, strukturellen Wandel des Energiesektors, des Transportsektors, des Wirtschaftssektors, des Bausektors. Im Prinzip muss unser ganzes Wirtschaften neu gedacht werden, damit wir bis Mitte des Jahrhunderts emissionsneutral werden. Ein bisschen einsparen reicht leider nicht, wenn man die Klimaziele einhalten möchte. Und es geht auch nicht nur um Deutschland, das muss alles global stattfinden. Natürlich kann man mit einem Bauern in Indien schwer über das Jahr 2100 sprechen – dem geht es zunächst um den nächsten Tag, die nächsten Monate, in denen er zurechtkommen muss. Als Industrienation darf man da nicht überheblich werden. Es ist eine unglaublich schwierige Aufgabe, aber mit den richtigen Anreizen und mit einem richtigen Fahrplan kann viel geschafft werden.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.