Er gilt als "Schrecken der Automobilindustrie", aber auch der Politik: Jürgen Resch ist seit 1988 Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Im Interview spricht er darüber, wie Großkonzerne in Deutschland die Politik bestimmen, ob die Grünen besser in der Opposition aufgehoben wären und was er von den Aktionen der "Letzten Generation" hält.
Vor seinen Klagen fürchtet sich nicht nur die Automobilindustrie, sondern auch die Politik: Jürgen Resch gilt als Schrecken aller institutionalisierten Umweltsünder. Zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe e.V. hat er 2015 maßgeblich zur Aufdeckung des Diesel-Skandals beigetragen. Seine Geschichte als Umweltlobbyist begann schon in den 1980er-Jahren, als er als Zivildienstleistender am Bodensee nicht nur ein mysteriöses Vogelsterben aufdeckte, sondern auch das Verbot des dafür verantwortlichen Pestizids Endrin in Rekordzeit durchsetzte.
Auch nach rund 40 Jahren Einsatz für den Umwelt- und Klimaschutz wird Resch trotz teils massiver Drohungen nicht müde, vor Gericht die Einhaltung von Umweltschutzgesetzen einzuklagen und Missstände wie die rekordverdächtige Luftschafstoffbelastung in deutschen Großstädten anzuprangern. Denn ohne Druck einer starken Zivilgesellschaft werde es keinen Wandel geben, ist der 63-Jährige überzeugt.
In Ihrem Buch "Druck machen!" beschreiben Sie anhand von Anekdoten, wie ein Wandel im Umwelt- und Klimaschutz gelingen kann. Sie sind seit über 40 Jahren als Umweltaktivist aktiv - wieso schreiben Sie es gerade jetzt?
Jürgen Resch: Es ist gerade jetzt zur ernüchternden Halbzeit der Ampel-Regierung notwendig, darüber zu sprechen, wer in Deutschland beim Umwelt- und Klimaschutz tatsächlich die Entscheidungen trifft. Und welche Chance die Zivilgesellschaft hat, dagegen Druck zu machen. Trotz trauriger Feuerkatastrophen in Kanada und im Mittelmeerraum fällt Deutschland auf Druck fossiler Wirtschaftskonzerne selbst hinter das zurück, was vor zwei Jahren im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Im Fall der geplanten Entschärfung des Klimaschutzgesetzes aus der Ära Angela
Deswegen halte ich die Diskussion, wie wir einen wirksamen Umwelt- und Klimaschutz als Zivilgesellschaft und über die Gerichte durchsetzen können, gerade jetzt für notwendig. Ich will mit meinem Buch zeigen, dass wir den Interessen von Großkonzernen nicht ohnmächtig ausgeliefert sind. Und ich will mit den dargestellten Beispielen Mut machen und zeigen, dass es sich lohnt, sich einzeln oder gemeinsam für die notwendigen Veränderungen einzusetzen.
Sie zeigen am Beispiel des Pestizids Endrin, wie wichtig die Information einer breiten Öffentlichkeit war, um dessen Verbot durchzusetzen. Die Gesellschaft war vielleicht noch nie so gut informiert wie heute. Überall liest man beispielsweise von den tödlichen Gefahren von Feinstaub - und trotzdem reagieren viele ablehnend, wenn vor ihrer Haustür Parkplätze wegfallen und ihre Straße für den Verkehr gesperrt wird.
Das Beispiel Endrin zeigt, dass öffentliche Meinung und die öffentliche Diskussion ganz entscheidend waren, um die Politik zum Handeln zu bewegen und sich gegen industrielle Interessen durchzusetzen. Der entscheidende Unterschied zu heute: in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelang es uns noch, die Regierungsverantwortlichen durch Öffentlichkeitsarbeit und Druck der Bürger zum Handeln gegen die chemische Industrie zu bewegen.
Dreißig Jahre später, bei unserer Aufdeckung giftigen Dieselrußes und Stickoxiden aus Autoauspuffen, verhindern die Autokonzerne wirksame Maßnahmen für die saubere Luft. So viele sind es nicht, die sich ablehnend verhalten: Für Dieselfahrverbote, Tempo 30 in der Stadt und ein Tempolimit auf Autobahnen stimmt seit Jahren eine klare Mehrheit der Bundesbürgerinnen und -bürger. Das reicht heute aber nicht mehr aus, um die Politik damit zum Handeln zu bewegen. Wir brauchen an vielen Stellen Gerichtsentscheidungen.
Protest und Klage, Hand in Hand?
Genau. Ein aktuelles Beispiel: In Berlin hat der neu gewählte regierende Oberbürgermeister
Wir haben so innerhalb weniger Wochen nicht nur eine Freigabe des kurzzeitig in Parkplätze umgewandelten Radwegs, sondern auch die Weiterführung der gestoppten laufenden Radwegeplanungen erreicht. Dieser Erfolg wäre nicht möglich gewesen, wenn wir nur juristisch ohne den Druck durch die betroffenen Menschen dagegen vorgegangen wären. Aber die betroffenen Radfahrer wären vermutlich auch nicht erfolgreich gewesen, wenn nur dagegen protestiert worden wäre. Das ist, was ich in meinem Buch zeigen will: Die Politik setzt diesen Wandel nicht alleine durch. Entweder, weil Rücksicht auf lautstarke Minderheiten genommen wird, oder auf Wirtschaftsinteressen der fossilen Industrien. Daher müssen wir als Zivilgesellschaft Druck machen – in der Öffentlichkeit und vor Gericht, wo wir immer häufiger gezwungen sind, Recht und Gesetz gegen Wirtschaft und Regierungen zu verteidigen.
Welches Thema macht Sie in Deutschland besonders rasend?
Ich bin fassungslos, wie in Deutschland das Vergiften der Luft und des Grundwassers nicht ernst genommen und fast schon wie ein Kavaliersdelikt betrachtet wird. Nur der Inselstaat Malta hat an einem höheren Prozentsatz seiner Grundwasserbeprobungen mehr Grenzwertüberschreitungen. Und auch die Atemluft in unseren Städten überschreitet die Luftreinhaltung Grenzwertempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO um das Zwei- bis Vierfache. Besonders ungesund ist die Luft in München und Stuttgart. Das heißt, die Luft, die die Menschen dort einatmen, macht unmittelbar krank.
In meinem Buch beschreibe ich den jahrzehntelangen Kampf für die saubere Luft – und mit welcher infamen Weise sich über zwei Jahrzehnte alle Bundesverkehrsminister mit den Dieselkonzernen konspirativ abgesprochen haben. Die EU-Kommission will nun zusätzliche juristische Möglichkeiten für die Zivilgesellschaft schaffen. Wenn zum Beispiel am Mittleren Ring in München jemand frühkindliches Asthma bekommt, dann hätte er einen Schadensersatzanspruch gegenüber den Verantwortlichen – in dem Fall die Stadt München.
Was ist die Konsequenz? Generelle Fahrverbote in der Stadt?
Wir brauchen eine ehrliche Verkehrswende mit einer Halbierung der Autozahlen und Verdopplung von Bahn, Bus, Tram, Fahrrad- und Fußgängerverkehrswegen. Und es geht bei den Autos ja auch nicht um generelle Fahrverbote. Nur wenn die Schadstoff-Emissionen eines Fahrzeugs zu hoch sind, muss dieses eben mit einer funktionstüchtigen Abgasreinigung nachgerüstet werden.
Im Buch gebe ich den allein in Deutschland aktuell knapp zehn Millionen betroffenen Diesel-Pkw-Haltern wichtige Informationen, wie sie den Herstellern nachweisen können, dass diese genau wussten, was sie taten, als sie billige und weitgehend unwirksame Katalysatoren verbauten. Ich fordere von BMW, Mercedes-Benz, VW und den übrigen Herstellern, dass diese Fahrzeuge kostenfrei für die von ihnen betrogenen Autohalter mit - im Sommer wie im Winter - voll funktionstüchtigen Abgasreinigungsanlagen nachgerüstet werden. Wenn die Bremse kaputt ist, gibt es ja auch keine Diskussion darüber, ob es einen Rückruf gibt oder ob die Bremse repariert werden muss. Nichts anderes wollen wir auch für die Freisetzung von Luftschadstoffen.
Wieso ist der Widerstand auf staatlicher Seite bei diesem Thema so groß?
In Verkehrsfragen regieren nicht gewählte Politiker, sondern Automobilkonzerne. Dem wird im persönlichen Gespräch mit Politikern nicht mal vehement widersprochen. Sie sagen: "Wenn wir der Autoindustrie das Leben schwermachen, dann wandern die mit der Produktion ab und bauen die nächste Fabrik in Osteuropa, Übersee oder Asien." Wir sehen die Macht großer Konzerne aktuell bei den absurden Subventionen für den Bau von Fabriken für nicht einmal besonders anspruchsvolle Standard-Chips. Regierungen werden auf Landes- wie Bundesebene zunehmend von Teilen der Wirtschaft erpresst.
Sehr eindrucksvoll erleben wir das gerade bei
Gibt es da Unterschiede zwischen den Parteien, wie nah sie der Industrie stehen?
Die FDP ist natürlich das direkte Sprachrohr von Porsche und den weiteren Autokonzernen und vielen anderen Branchen. Die SPD hört traditionell auf die Gewerkschaften. Die Grünen haben es leider der CDU nachgemacht und sich nicht nur einen, sondern sogar zwei Wirtschaftsräte zugelegt. Ich finde schon den Wirtschaftsrat der CDU skandalös genug – man räumt der Industrie dadurch einen Sitz in der Führung der Partei frei. Bei den Grünen beobachte ich mit großer Sorge, wie unverfroren dort Wünsche beispielsweise der Autokonzerne umgesetzt werden.
Das aktuellste Beispiel ist, wie Wirtschaftsminister Habeck bei der Kennzeichnung des Energieverbrauchs von Autos den Lieblingswunsch der Automobilwirtschaft gegen Umwelt- und Verbraucherinteressen erfüllen will. Zukünftig sollen, so ein aktueller Verordnungsentwurf aus seinem Haus, Pkw-Neuwagen in der Online-Werbung ohne Benennung von Spritverbrauch, der Effizienz-Klasse und des CO2-Ausstoßes erfolgen. Nicht einmal die FDP-Minister Rainer Brüderle oder Philipp Rösler haben vor zehn Jahren bei der letzten Novelle der Automobilindustrie diesen Wunsch erfüllt.
Das klingt, als wären die Grünen in der Regierung aus Umwelt- und Klimasicht ein Flop.
Durch den Eintritt der Grünen in die Ampel-Regierung fehlt uns im Bundestag eine Oppositionspartei, die die Regierung dabei kontrolliert, ob sie der Wirtschaft falsche Zugeständnisse macht oder gegen Umwelt- und Klimaschutz verstößt. Unter den vier Bundesregierungen von Kanzlerin Merkel waren die Grünen 16 Jahren lang ein sehr wichtiges Korrektiv im parlamentarischen Raum und haben es immer wieder geschafft, geplante Durchstechereien zu vereiteln. Heute sitzen in der Opposition neben einer mit sich selbst beschäftigen Linken CDU, CSU und AfD. Seit knapp zwei Jahren gibt es somit keine parlamentarische Kontrolle mehr durch an Umwelt- und Klimaschutz interessierten Abgeordneten. Deshalb halte ich es gerade heute für so wichtig, Druck zu machen als Zivilgesellschaft. Auch wenn wir diese Lücke nicht komplett füllen können.
Das heißt, aus Umweltsicht wäre besser, die Grünen wären wieder in der Opposition?
Diese Frage muss man sich angesichts der aktuellen Fehlleistungen tatsächlich stellen. Die von der FDP geforderte, aber von Robert Habeck akzeptierte faktische Schleifung des Klimaschutzgesetzes ist für uns ein letzter verbleibender Lackmustest, ob die Ampel-Regierung sich noch den völkerrechtlich verbindlichen Klimazielen von Paris verpflichtet fühlt oder nicht. Und zwar als Lackmustest der Glaubwürdigkeit jedes einzelnen Bundestagsabgeordneten.
Nach dem von der Ampel vorgelegten Entwurf genügt es in der Zukunft, dass die politischen Ziele einer "Prognose" bewertet werden, nicht mehr das, was tatsächlich erreicht wurde. Wenn dann die Ergebnisse ganz anders ausfallen als die Prognose, muss man sich halt für die nächste Prognose etwas Schönes einfallen lassen. Dass so etwas kunstvoll genutzt wird, hat sich längst gezeigt: Bei den Luftreinhalteplänen waren die Prognosen immer alle ganz wunderbar, aber sie hatten nie etwas mit der Realität zu tun.
Gibt es nichts, das sich durch die aktuelle Grünen-Regierungsbeteiligung im Umwelt- und Klimaschutz verbessert hat im Vergleich zur Merkel-Ära?
Große Hoffnungen bestehen im natürlichen Klimaschutz, der Wiedervernässung der Moore. Leider sehen wir noch keine Umsetzung dieses einzigen wichtigen Erfolges der Grünen in den Koalitionsverhandlungen. Verbessert hat sich die Stimmung und manche Regelung im Bereich der Photovoltaik. Kritisch ist nach wie vor der stotternde Ausbau der Windenergie. Bayern hat im ersten Quartal dieses Jahres zwei Windkraftanlagen errichtet, Baden-Württemberg eine einzige neue Anlage. Das ist nicht einmal mehr Kammerflimmern. In einer Rekordgeschwindigkeit werden dagegen die fossile Energie-Infrastruktur für Flüssiggas, aber auch neue Ölpipelines vorangetrieben. Der Staat gibt dafür unglaubliche Geldbeträge aus. Daneben stehen Windkraft und Photovoltaikanlagen, die schon seit einem Jahr und länger darauf warten, dass jemand zur Prüfung vorbeikommt und die Anlage in Betrieb gehen kann. Wie kann das sein?
Aktivistengruppen wie die "Letzte Generation" verfolgen teilweise einen anderen Ansatz als Sie und die Deutsche Umwelthilfe. Was halten Sie von deren Aktionen?
Ich maße mir nicht an, gerade den jungen Menschen zu sagen, wie sie protestieren müssen. Ich selber werde mich zwar nicht auf die Straße kleben – aber ich verstehe die Verzweiflung der jungen Menschen. Sie haben tatsächlich geglaubt, dass sich nach ihren globalen Protesten, nach der Verabschiedung des ersten Klimaschutzgesetzes, der Verschärfung desselben durch unsere Verfassungsbeschwerde und jetzt durch die Regierungsbeteiligung der Grünen etwas ändern würde. Sie erleben, wie Wirtschaft und Regierungen weiter mit Vollgas in die Klimakatastrophe fahren.
Die Brutalität, mit der der Staat gegen diese Kritiker vorgeht – oft härter als gegen Reichsbürger - ist hysterisch und entlarvend. Denn die Forderungen der "Letzten Generation", wie die Einführung eines Tempolimits, sind ja alles andere als extrem. Eigentlich sind das Selbstverständlichkeiten, die in anderen Ländern längst Standard sind. Gut finde ich jede Protestaktion, die Wirkung hat. Die Grenze ziehe ich ganz klar bei Sachbeschädigung und der Gefährdung von Menschen, die Demonstranten eingeschlossen. Die junge Generation hat nicht nur auf dem Papier das Recht auf eine lebenswerte Zukunft, sondern sie hat auch das Recht darauf, dass endlich gehandelt wird.
Sind die Proteste der "Letzten Generation" nicht auch kontraproduktiv? Die Wut auf die Klimaaktivisten wächst.
Nur, wenn ich mit meiner Protestform in irgendeiner Weise störe, wird sie etwas bewirken. Wenn Greta Thunberg samstagnachmittags vor dem Reichstag demonstriert hätte, würde sie wahrscheinlich immer noch alleine dort sitzen. An einem Freitagvormittag, während der Schulzeit, hat das die notwendige Aufmerksamkeit erzeugt. Wovor ich Angst habe ist, dass die Proteste wie vor der Bundestagswahl dergestalt eskalieren, dass junge Menschen Gewalt gegen sich selbst anwenden und in einen Hungerstreik eingetreten, wenn wir nicht endlich handeln.
Zum Abschluss noch ein kleiner Zukunftsausblick: Wo steht Deutschland in fünf Jahren?
Das wäre das Jahr 2028, dann wird es sicher ein Tempolimit auf Autobahnen geben, Tempo 80 auf allen Straßen außerorts und Tempo 30 in den Städten - durchgesetzt durch eine immer breitere Mehrheit der Menschen, die ein Tempolimit einfordern und durch unsere aktuellen Klimaklagen. Damit hat die Bundesregierung alleine 55 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Ich bin außerdem zuversichtlich, bis dahin die giftigsten Pestizide verbieten zu lassen und die WHO-Luftreinhaltegrenzwerte in Deutschland durchzusetzen.
Von allem ist die Einführung des Tempolimits am wahrscheinlichsten. Als Blaupause sehe ich, wie Tempo 100 in den Niederlanden kam. Ministerpräsident Mark Rutte, der immer gegen Tempolimits war, hat vor fünf Jahren Tempolimits wegen der Notwendigkeit zur Einhaltung der Stickoxid-Maximalemissionen eingeführt. Er argumentierte: 'Wenn ich das jetzt nicht mache, muss ich wegen der Nichteinhaltung von EU-Grenzwerten in der Landwirtschaft und im Wohnungsbau noch viel gravierendere Maßnahmen eingreifen'. Von alleine wird das Tempolimit in Deutschland nicht kommen - aber indem wir Druck machen durch die dafür eintretenden Menschen und durch unsere Klageverfahren.
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