- Zum zweiten Mal startet das "Snowdance"-Filmfestival unter Corona-Bedingungen.
- Organisator und Regisseur Tom Bohn erzählt im Interview über die seiner Meinung nach unfairen Regelungen im Kulturbereich.
- Außerdem erzählt er von seinem derzeit bestehenden Problem mit den Öffentlich-Rechtlichen.
Am 29. Januar startet in Landsberg das "Snowdance"-Filmfestival, zum zweiten Mal unter Corona-Bedingungen. Organisator Tom Bohn hat angekündigt, den Standort Bayern aufzugeben und übt Kritik an der Landesregierung.
Im Interview spricht der Regisseur (unter anderem "Tatort") außerdem über seine Rolle bei der Aktion "Alles dicht machen", Impfpflicht am Set und warum er nicht mehr für öffentlich-rechtliche Sender arbeiten will.
Herr Bohn, am Samstag startet Ihr Film-Festival "Snowdance" in Landsberg. Ist es im zweiten Jahr unter Corona-Bedingungen leichter oder schwieriger geworden, so ein Festival zu organisieren?
Tom Bohn: Schwieriger. 2021 hatten wir bereits mehrere Wochen vor dem Festival Klarheit über die geltenden Maßnahmen und konnten uns darauf einstellen. In diesem Jahr fehlt uns diese Gewissheit. Noch vor drei Tagen kalkulierten wir mit 25 Prozent Auslastung, seit Kurzem wissen wir, dass diese auf 50 Prozent erhöht wurde. Wir bekommen somit in das Landsberger Stadttheater 130 Zuschauer, bei 270 Sitzplätzen. Das ist zum einen finanziell problematisch, da wir das Festival parallel auch online veranstalten, wodurch zusätzliche Kosten entstehen. Zum anderen sehe ich, dass aktuell viele Personen eng bei einander in Gaststätten sitzen oder sich zu Hunderten ohne Maske am Skilift in Garmisch drängen können, während bei uns Beschränkung und die Abstandsregel und Maskenpflicht gilt, in einem Theater, welches über eine top Belüftung verfügt. Das ist so absurd, dass ich mich frage: Haben die politisch Verantwortlichen realisiert, wie schlecht es der Kultur geht, wie sehr wir kämpfen, um uns über Wasser zu halten? Warum macht man es Kulturveranstaltern so schwer? Das verstehen mittlerweile auch viele Menschen nicht mehr, die vor einem Jahr noch hinter dem Regierungskurs standen.
Tom Bohn: "Mit dieser Sprunghaftigkeit kann man nicht arbeiten"
Sie haben angekündigt, dass das Festival in Zukunft nicht mehr in Bayern stattfinden wird. War also konkret der Freistaat das Problem?
Ja. Ausschlaggebend war für uns der Moment, als die bayerische Landesregierung im vergangenen Dezember die Weihnachtsmärkte abgesagt hat, zwei Tage vor Eröffnung. Mit dieser Sprunghaftigkeit kann man nicht arbeiten, wenn uns eine so kurzfristige Absage erwischt, sind wir pleite. Da scheinen mir andere Landesregierungen, vor allem im Norden Deutschlands, weitsichtiger zu sein.
Und Corona-Hilfen könnten die fehlende Planbarkeit nicht wettmachen?
Nein, da hat mein Steuerberater mir gleich klar gemacht, dass unsere Chancen darauf sehr gering sind. Wir organisieren das Festival größtenteils mit Freiberuflern, arbeiten sozusagen "aus der Lamäng", ohne Anlehnung an staatliche Strukturen. Diese Arbeitsweise der freien Kulturszene versteht man in Bayern nicht.
Sie lehnen Corona-Maßnahmen aber nicht grundsätzlich ab, oder?
Nein, Corona ist ein gefährliches Virus, besonders für die vulnerablen Gruppen. Trotzdem müssen die Maßnahmen verhältnismäßig, fair und nachvollziehbar sein. Und das Gefühl habe ich nicht, sondern ich sehe, dass sich die Verantwortlichen Regelungen ausdenken, die weder Hand noch Fuß haben und der Kultur massiv schaden.
Ungeimpften Menschen ist ein Kinobesuch mittlerweile verwehrt. Haben Sie damit Bauchschmerzen?
Ich bin für die Impfung, habe aber ein Problem damit, wenn man Menschen, die sich anders entscheiden, diskriminiert. Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist elementar wichtig, gerade in der Pandemie. Und er wird durch die Kultur gefördert, durch das gemeinsame Erleben von kulturellen Angeboten. Ich würde es daher immer bevorzugen, Ungeimpfte mit einem Test einzulassen, anstatt sie auszuschließen. Schließlich ist der Test – wenn ich dem vertrauen kann, was die führenden Virologen sagen – eine wichtige Aussage, ob ein Mensch ansteckend ist oder nicht. Was unser Festival betrifft, habe ich aber insofern weniger Bauchschmerzen, als dass wir die Filme auch online zeigen, nicht nur für Ungeimpfte sondern auch für jene, die Angst haben, sich anzustecken.
Inzwischen gibt es Fälle, in denen ungeimpfte Schauspieler von Film-Produktionen ausgeschlossen wurden. Halten Sie als Regisseur so eine Maßnahme für vertretbar?
Nein, überhaupt nicht. Wenn Schauspieler sich täglich testen lassen und gesund sind, sollen sie natürlich drehen können. Hinter der Kamera laufen am Set auch alle mit Maske herum. So wurde es ja auch gemacht, als die Impfung noch nicht da war und ich kann mich nicht erinnern, dass das zu großen Problemen geführt hätte. Im Moment gebe ich in Berlin an einer staatlich geförderten Institution einen Lehrgang für arbeitslose Schauspieler, mit denen ich auch drehe, um sie wieder einzugliedern. Daran nahm eine sehr begabte Schauspielerin teil, die jetzt von diesem Kurs ausgeschlossen wurde, weil sie ungeimpft ist. Obwohl ich ein Freund des Impfens bin, hat mich das sehr berührt. Ich fand das nicht richtig.
Im Moment debattiert die Politik eine Impfpflicht, der Druck auf Ungeimpfte nimmt zu.
Ich verstehe diesen Druck nicht, ich finde ihn nicht liberal und auch nicht demokratisch. Natürlich hat die Vorgehensweise "nur mit Impfung" Vorteile, aber wir leben in einem demokratischen Land, in dem auch die Meinungen und die Existenz von Minderheiten geachtet werden muss. Das zumindest ist mein Grundverständnis von Demokratie. Wenn jemand bei dieser Angelegenheit, die seinen eigenen Körper betrifft, eine andere Meinung hat, respektiere ich das. Zumal, wie wir wissen, ebenso von Geimpften eine Ansteckungsgefahr ausgehen kann.
Sie sind in der Filmszene gut vernetzt. Welche Stimmung nehmen Sie im Moment unter den Kreativen wahr?
Ich merke, das sehr viele eine starke Enttäuschung mit sich herumtragen, darüber, dass die Kultur in dieser Gesellschaft offensichtlich einen so geringen Stellenwert hat und so stiefmütterlich behandelt wird. Kultur ist systemrelevant, aber das ist vielen Bürgern und Politikern wohl nicht klar. Sie ist deshalb systemrelevant, weil ohne sie Schäden an unserer Gesellschaft entstehen. Kultur ist eine unglaublich gute und vor allem auch gereifte Möglichkeit, Spaltungen, Meinungsverschiedenheiten oder Diskussionsfaulheit zu überwinden. Beim Erleben von Kulturprogrammen kommen die unterschiedlichsten Menschen zusammen, da sitzt der AfD-Wähler neben dem Autonomen, Bürgerliche neben Jusos und so weiter, und alle betrachten gemeinsam, was von Kreativen zur Diskussion gestellt wird. Dieser Austausch geht jetzt verloren und damit auch die Möglichkeit eines Zusammengehörigkeitsgefühls. Statt ins Kino, Theater oder eine Ausstellung zu gehen, toben sich jetzt viele Menschen in sozialen Medien aus, wo sich die Fronten viel schneller verhärten, als wenn man von Gesicht zu Gesicht diskutiert.
Till Brönner berichtete im Interview über Abwanderung aus der Musikbranche und auch über Suizid. Haben Sie ähnliche Erfahrungen im Filmbetrieb gemacht?
Ja. Eine Kollegin, mit der ich beim Festival zusammengearbeitet habe, hat sich vor einem Jahr das Leben genommen, in der "Welt" habe ich darüber einen Artikel geschrieben. Das war für mich ein großer Schock.
Ich kenne auch einige Personen, die ausgewandert sind, etwa nach Südamerika. Ein Regie-Kollege, der am Anfang einer aussichtsreichen Karriere stand, lebt jetzt in Schweden.
Sie haben im vergangenen Jahr an der Aktion von Filmschaffenden "Alles dicht machen" mitgewirkt ...
Ich habe selbst keines der Videos gedreht, war aber bei der Vernetzung der Beteiligten involviert.
Was entgegnen Sie der zum Teil sehr harschen Kritik an diesem Projekt?
Mit zwei, drei Filmen hatte ich innerlich Probleme, die fand ich zu heftig. Trotzdem verurteile ich die nicht. Kultur muss provozieren dürfen, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Ich bin ein großer Anhänger von Joseph Beuys, provokante Künstler wie er oder Pina Bausch in Wuppertal haben mich überhaupt erst dazu gebracht, selbst kreativ zu werden. Dass über diese Filme, über die man sich sicher streiten kann, in den Medien ein solches Fass aufgemacht wurde, kann ich nicht nachvollziehen. Ich denke, da braucht es in Deutschland noch drei, vier Aktionen wie diese, damit den Menschen wieder klar wird, was Kultur und Kunst eigentlich heißt. Eben nicht nur Wohlgefallen und Systemkonformität, sondern auch Provokation, Härte und die Herausforderung, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die einem eigentlich nicht passen.
Das müssen wir als Kreative leisten dürfen, ohne dass wir von der Presse sofort in eine Schublade mit Rechtsradikalen, Querdenkern oder sonst wem gesteckt werden.
Wie haben Sie reagiert, als sich einige der Protagonisten nach nur kurzer Zeit von der Aktion distanzierten?
Ich habe mich gefragt, ob sich diese Künstler auch dann distanziert hätten, wenn diese Aktion einen Beifallssturm ausgelöst hätte – vermutlich nicht. Es ging bei einigen aber sicherlich um Existenzangst, zum Beispiel, dass man bei TV-Produktionen keinen Job mehr kriegt. Wenn sich da ein Schauspieler sagt: "Ich muss an meine Zukunft denken", habe ich dafür Verständnis. Kein Verständnis allerdings habe ich für die Schmäh-Artikel in einigen Medien. Den Druck, der da aufgebaut wurde, fand ich unverantwortlich, denn er führt am Ende nur zu einer konformen Kultur, an der wirklich niemandem gelegen sein kann.
Der Musiker Heinz Rudolf Kunze beklagte hier im Interview, dass der Kultur in der Pandemie noch immer eine Lobby fehle. Stimmen Sie ihm zu?
Wir haben doch die beste Lobby, die man haben kann, nämlich zwei oder drei Hand voll wirklich prominente Musiker, Schauspieler und Regisseure, die einfach nur den Mund hätten aufmachen müssen. Doch von denen sehe und höre ich nichts, abgesehen von Ausnahmen wie Jan Josef Liefers oder
Wie sehr hat Corona Ihr Leben als Kreativer beeinflusst, haben sich andere Arbeitsschwerpunkte ergeben?
Es hat sich durch Corona einiges verändert. Mir ist in den letzten zwei Jahren klar geworden, wie wichtig es ist, die liberalen Werte offensiv zu vertreten. Ich artikuliere meine Meinung zum Beispiel auf Twitter, und selbst als sozial-liberaler Demokrat erlebe ich dort massive Anfeindungen, ich sei "rechtsaußen", "Querdenker", "Quertreiber", ich würde den Staat bekämpfen – obwohl das Gegenteil der Fall ist und ich mich immer für unsere Demokratie starkgemacht habe. Trotzdem wirst du auf einmal verurteilt, weil du eine Position vertrittst, die nicht dem Mainstream entspricht. In retuschierten Fotos wurde ich als Nazi hingestellt, mir wurde ein Logo auf eine Jacke montiert, das ich nie getragen habe. Wenn es in diesem Land Kräfte gibt, die sich in der aktuellen Situation so entladen können, stimmt etwas mit unserer Gesellschaft nicht. Als mehrfacher Vater sehe ich mich durchaus in einer Verpflichtung dafür, dass die nächste Generation in einem freiheitlichen Land aufwachsen und leben kann. Daher habe ich mir gesagt, dass ich politisch aktiv werden muss.
Im Stadtrat von Landsberg hatten Sie als FDP-Mitglied bereits ein Mandat.
Ja, das war ein politisches Engagement für diese Stadt, weil ich gemerkt habe, dass in Landsberg eine liberale Kraft gefehlt hat. Also habe ich mich als Kulturreferent eingesetzt, leider nur mit begrenztem Erfolg. In Zukunft werde ich mich mehr in Berlin an der Schnittstelle von Kultur und Politik engagieren. Durch meine Aktivitäten bei Twitter und als Autor der "Welt" nehmen mich mittlerweile auch viele FDP-Politiker wahr. Ich kann jetzt Bundestagsabgeordnete und Führungskräfte der Partei treffen – was ich schamlos ausnutze, um denen verständlich zu machen, wie unsere spezifische Kulturszene funktioniert. Denn leider ist die FDP, was Kultur angeht, sehr schwach auf der Brust.
Hat sich durch Corona auch etwas für Ihre Arbeit als Regisseur geändert?
Ja. Ich habe mich entschieden, dass ich auf absehbare Zeit nicht mehr für die Öffentlich-Rechtlichen arbeiten werde, also zum Beispiel keinen "Tatort" mehr drehen werde. Ich hatte zuletzt zwei Anfragen für öffentlich-rechtliche Produktionen, die ich beide abgelehnt habe. Weil ich mit der Art und Weise, wie sie in der Corona-Zeit die Berichterstattung gehandhabt haben, nichts zu tun haben möchte.
"Die Einseitigkeit und offensichtliche Regierungshörigkeit von ARD und ZDF machen mich sprachlos"
Können Sie das näher erläutern?
Ich bin ein Kind des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. In meiner Ausbildung zum TV-Journalisten war ich auch beim ZDF in Washington. Meine Chefs waren Dieter Kronzucker und Hajo Friedrichs und es hat mir damals sehr imponiert, wie sie stets ihre eigene Meinung hintan gestellt haben. Es ging darum, Fakten zu sammeln und diese gegeneinander zu stellen, damit sich der Zuschauer am Ende sein Urteil bilden konnte. Es gab eine Neutralität, die ich heute bei der Corona-Berichterstattung sehr vermisse. Die Einseitigkeit und die offensichtliche Regierungshörigkeit von ARD und ZDF machen mich sprachlos. Ich habe 30 Jahre lang für diese Sender leidenschaftlich gearbeitet, auch als das Privatfernsehen aufkam habe ich Angebote von dort ausgeschlagen – weil ich das öffentlich-rechtliche Fernsehen für sehr wichtig hielt und halte. Wenn ich aber merke, dass die für unsere Demokratie wichtige Ausgewogenheit fehlt, möchte ich mit diesen Sendern nicht in Verbindung gebracht werden. Als Demokrat verbietet es sich für mich, für Sender zu arbeiten, die nicht objektiv berichten, sondern fahrlässig das Narrativ von Lobbys und Regierungen bedienen. Das habe ich im Ausland stets so gehalten und das werde ich in Deutschland jetzt genauso machen.
Was müsste passieren, damit Sie Ihre Meinung ändern?
Zum Beispiel würde ich mir wünschen, dass wesentlich mehr alternative Meinungen zum Regierungskurs in den Sendern sichtbar werden. Es gibt inzwischen genügend seriöse, kritische Stimmen, die sich mit den Maßnahmen und deren Folgen beschäftigen, die aber bei ARD und ZDF
so gut wie nie zu Wort kommen. Und dann sollten die Fehler der letzten Jahre, auf die ja auch bereits mehrere Medien-Wissenschaftler hingewiesen haben, aufgearbeitet werden. Diese Aufarbeitung wird irgendwann geschehen, da bin ich mir sicher. Ich habe zu einigen Mitarbeitern, auch in Nachrichtenredaktionen, Kontakt, die meine Kritik teilen.
Ein SWR-Mitarbeiter hat eine ähnlich lautende Kritik zuletzt in einem offenen Brief formuliert – nach ein paar Tagen wurde er fristlos gekündigt ...
... und ich kenne Mitarbeiter, die aus genau diesem Grund ihren Mund halten, weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren. Allerdings ist das kein Zustand für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eines demokratischen Landes. Wenn du als Mitarbeiter eines solchen Senders Angst haben musst, deine politische oder gesellschaftliche Meinung öffentlich zu äußern, läuft etwas falsch.
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