Treue Leser meiner Kolumnen ebenso wie die treuen Leserinnen erinnern sich eventuell. Vor genau fünf Wochen habe ich an dieser Stelle einen Wochenrückblick verfasst, der den Titel "Eine Kolumne gegen das Vergessen" trug. Meine These damals, mal so stark verkürzt wie es sonst nur CDU-Politiker beim Thema Freundschaftsanfragen auf Instagram an Töchter von Ministerinnen schaffen: Die einzige Chance von Wladimir Putin, seinen völkerrechtsverletzenden Angriffskrieg auf die Ukraine unbehelligt und unbesiegt fortführen zu können, wäre das Vergessen. Also das Normalwerden, die boulevardeske Trivialisierung eines Krieges, der täglich Opfer in der Zivilbevölkerung kostet und ein Angriff auf den gesamten freiheitlichen Gedanken der westlichen Welt darstellt.

Eine Kolumne
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Inzwischen ist die schlimmste Befürchtung, die leicht mit geistlosen oder obszönen Oberflächlichkeiten ablenkbare breite Öffentlichkeit hätte sich schon längst einem vermeintlich wichtigeren Thema zugewandt, zum Glück nicht vollumfänglich eingetreten. Das Thema Krieg in der Ukraine beherrscht zwar nicht mehr unangefochten Medien und Kommentarspalten. Die TV-Sender haben ihre täglichen Sondersendungen ebenfalls weitestgehend eingestellt. Und tatsächlich empören sich unterdessen viele Peripherie-Betroffene wieder über offensichtlich wichtigere Themen, wie ob eine junge weiße Frau Dreadlocks tragen darf, aber insgesamt ist die totale Kriegsberichterstattungsmüdigkeit zum Glück ausgeblieben.

Ende Februar, als Putins Angriff auf die Ukraine begann, mussten sich Millionen von Pandemie-Experten, die sich gerade gemütlich darauf vorbereiteten, spätestens ab Ende Oktober wieder Bundestrainer zu sein (Sie erinnern sich vielleicht - es naht eine Fußball-WM im demokratischen und arbeitsrechtlichen Vorzeige-Staat Katar), plötzlich spontan auf Russland-Experten oder wenigstens Außenpolitik-Experten umschulen. So viel Hektik im Diskursfokus, das hält man ja kaum aus.

Irgendwo wabert ja auch noch die Titanic der Großthemen im medialen Teilzeit-Nirvana: Der Klimawandel. Und dann kam der Tag, als über Nacht die Kreuzritter der dogmatischen Social Media Meinungshoheit zu Waffenexperten wurden. Spezialgebiet Kriegsführung und Waffenexporte.

Waffenstillstand, aber bei Olaf Scholz

Gut, den Vorwurf, bei der Hilfe für die Ukraine und ihren heldenhaften Kampf gegen den vermeintlich übermächtigen Aggressor Russland, besonders transparent und erklärungseifrig zu agieren, muss sich das Team im Kanzleramt um Olaf Scholz nun nicht gerade machen lassen, aber immerhin wurde eine Zeitenwende angekündigt. Nun ist das erstmal nur ein Wort und man weiß ja: Taten zählen mehr als Worte. Also reicht dieser Status den eifrigen Forderungs-Avengers nicht. Sie fordern mehr Waffen, schwerere Waffen und stärkere Kriegsunterstützung. Scholz allerdings operiert defensiv, intransparent und nicht unbedingt positiv öffentlichkeitswirksam.

Das mag und kann man kritisieren, klar ist aber auch: Olaf Scholz hat sich, anders als die edlen Ritter der Schwafelrunde, eidesstattlich verpflichtet, Schaden vom deutschen Volke abzuhalten. In einer Situation, in der ein Krieg vor der eigenen Haustür tobt, ist es vermutlich keine Taktik, die Olaf Scholz zu einem popkulturellen Superkommunikator macht - dafür aber womöglich eine, die der Welt größeres Übel erspart.

Das setzt natürlich voraus, dass viele strategisch entscheidende Dinge hinter verschlossenen Türen geplant und durchgeführt werden und eben nur nicht kommuniziert werden, während das wenige, das kommuniziert wird, leider nicht unbedingt preisverdächtig gut an die Nation adressiert wird. Im Namen der gesamten Vernunftswelt gehe ich einfach mal inständig davon aus, dass es exakt so ist.

Die Sahrawagenknechtisierung des Diskurses

Wobei mir natürlich klar ist, dass diese Hoffnung nicht überall geteilt wird. Das ist nicht verwunderlich in einem Land, in dem sich eine gar nicht unbedingt winzig kleine Minderheit dazu aufgeschwungen sieht, in ihrer Eigenschaft als reflexartige Mainstream-Ablehner pauschal gegen alles zu sein, was die Mehrheit für richtig oder wichtig hält.

So finden sich in Talkshows wie Social-Media-Debatten teilweise filigran orchestrierte Pro-Putin-Demagogen, Seite an Seite mit zumeist eher recht plumpen Möchtegern-Obermachos, die ihre Überlegenheit allen anderen gegenüber im Prinzip ausschließlich dadurch definieren und zum Ausdruck bringen, dass sie umgehend schon immer davon überzeugt waren, der richtige Weg wäre selbstverständlich genau umgekehrt proportional zu dem der in ihrer Welt der erfundenen Wahrheiten selbstredend elitengesteuerten Superweltverschwörer in Politik, Medien und Prominenz.

Und so sitzen sie dann eben da, die Sahra Wagenknechts dieser Welt und gallionsfiguriren sich in die Kommandozentralen der Reply-Bots zu allen Themen. Der Jubel der Freiheits-Kolumnisten und ihrer Fanbasis aus rudelempörten Rittern der Männlichkeit und tendenzrassistischen besorgten Bürgern ist ihnen damit sicher.

Und unter uns: Das ist ja immer noch besser, als sich direkt in die Fänge der AfD zu geben. Das zeigt das Thema Ukraine auch wieder mehr als deutlich. Die Verehrung für Putin ist bei dem Expertenverein, der gerne auf Flüchtlinge an den Grenzen schießen lassen möchte (ups, mausgerutscht) und Denkmäler der Schande im Herzen unserer Hauptstadt identifiziert, deutlicher zu spüren als der Drang deutscher Schiedsrichter, beim FC Bayern München in Spielen gegen Borussia Dortmund gerne mal beide Augen zuzudrücken.

Bis heute gibt es beispielsweise keinen eindeutigen Beweis dafür, dass sich Alice Weidel von den knapp 130.000 Euro zunächst nicht deklarierter Parteispenden aus dem Ausland keinen Mini-Kreml in den Vorgraten hat bauen lassen.

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In eigener Sache

Am späten Sonntagabend, hier mach-e ich nun exklusiv ein Geständnis, bin ich nach vielen Jahren des Drückens und Weglaufens erstmals Gast in einer Live-Talkshow im Fernsehen gewesen. Ich hatte in den letzten Jahren zahllose Anfragen, mal lose, mal konkreter, zu so ziemlich allen Talk-Formaten des Landes. Zum armageddongleichen Entsetzen meines Managements habe ich bislang alle Anfragen konsequent abgelehnt.

Ich bin ein Mensch, der gerne sehr genau darüber nachdenkt, was er in der Öffentlichkeit zu wichtigen Themen sagt. Ich möchte gerne sehr präzise sein in den Dingen, die ich bei einer großen Empfängergruppe platziere. Kolumnen und Twitter schienen mir daher stets geeigneter. Live-TV mit allen seinen Fallstricken stand nicht auf meiner priorisierten Agenda.

Nun kam es aber so, dass das lustige Format "Stern TV Talk" offensichtlich bei allen intelligenten, interessanten Frauen des Landes angefragt und aus Termingründen ausschließlich Absagen erhalten und dann eines Tages notgedrungen mich angefragt hatte. So sitze ich dann also am Sonntagabend um 22:30 Uhr live bei RTL und unterhalte mich mit Steffen Hallaschka, Serdar Somuncu und Harald Glööckler über Themen wie Xavier Naidoo, Tempolimit 100 auf Autobahnen, Dreadlocks als Corpus Delicti kultureller Aneignung oder Hamstern. Glücklicherweise gesellen sich sukzessive auch noch ein paar Talkmitstreiter dazu, die wirklich Ahnung von einem der Themen haben, so dass ich mich trotz der wirklich immensen Aufregung auf meine Kernkompetenz konzentrieren kann: inhaltsloses Geschwafel und rechthaberische Überheblichkeit.

Für die Sympathie-Quote sorgen dafür Matthias Walter von der Deutschen Umwelthilfe (seiner Forderung nach Tempo 100 auf Autobahnen stimmen allerdings nur 13 Prozent der RTL-Zuschauer zu), Ronja Maltzahn (die von Fridays For Future erst ein- dann ausgeladene Künstlerin mit Dreadlocks, die plötzlich nur noch bei FFF auftreten sollte, wenn sie sich ihre Haare abschneidet), die großartige ShaNon Bobinger oder Peter Jamin (der schon mehr Bücher geschrieben hat als meine dreijährige Nichte gelaufen ist). Falls Ihr die Sendung zufällig gesehen haben solltet, schreibt mir ruhig Eure knallharten Urteile. An lassdasbesser@marievdb.de. Nächste Woche dann "Wetten, Dass" – bis dann!

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