Letzten Montag hatte ich mich noch über die Samthandschuhe gefreut, mit denen die aufmerksamkeitssüchtigen Diskurs-Anheizer der Nation für eine in Harmonie geschwenkte und mit Einigkeit überbackene Kalenderwoche gesorgt hatten. Nun, alles Schöne geht mal vorüber. Das gilt nicht nur für die Optik von Spielerfrauen, sondern auch für die Konsensbereitschaft ansonsten eher unversöhnlich durcheinander argumentierender Meinungskontrahenten. Vom Regen in die Traufe sagt man da wohl, wenn man auf Volksweisen steht. Dabei hätte das alles überstrahlende gesellschaftliche Ereignis dieser Woche eigentlich das Potenzial gehabt, auch zänkische Zeitgenossen für einige Tage des gemeinschaftlichen Innehaltens zusammen zu führen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Im Alter von 96 Jahren - rund 70 davon als Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien – starb letzte Woche Queen Elizabeth II. Beinahe 100 Jahre bedeuten, dass in nicht wenigen Familien, etwa in meiner, Urgroßeltern, Großeltern, Eltern, Kinder und Enkelkinder bis zum vergangenen Donnerstag keinen Tag erlebt haben, an dem die als Elizabeth Alexandra Mary geborene Königin nicht auf der Welt war.

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Das ist an sich noch keine Leistung, das versteht sich. Kaum jemand jedoch hat mit ihrer Jahrzehntelangen Präsenz und ihrem hin und wieder durchblitzenden Schalk so viele Menschen erreicht wie die Queen. Pünktlich zu ihrem Todestag, das ist gleichsam erwartbar wie vollkommen in Ordnung, sprießen sie nun natürlich an allen Ecken aus dem Boden: Die Anekdoten um die stets pflichtbewusste Monarchin, die ihren Witz und ihre politischen Ansichten dokumentieren sollen.

Des Königs neue Neider

Da wäre einer ihrer wenigen Verstöße gegen das sehr klare und dafür aber auch sehr starre Protokoll einer Königsfamilie, als 1998 der Saudische König Abdullah sie besuchte. Frauen war damals in Saudi-Arabien nicht gestattet, Auto zu fahren. Die Queen bestand also darauf, Abdullah persönlich zu chauffieren. Es soll das erste und einzige Mal gewesen sein, dass Abdullah von einer Frau gefahren wurde.

Kurz vor der Abstimmung über den Brexit trat sie bei einer Rede im britischen Fernsehen in einem Blauen Kleid nebst blauem Hut auf, an dem gelbe Blumen prangten. Wenn man so will, kam sie als Europafahne. Als der damalige US-Präsident Donald Trump vorstellig wurde, trug sie eine Brosche, die ihr zuvor die Familie Obama geschenkt hatte. Kleinigkeiten, für die sie nicht glorifiziert werden muss, die aber durchaus zeigen, dass die stets zur Neutralität verurteilte Königin ihre Meinung auf subtile Art und Weise kundzutun vermochte, wenn sie nur wollte.

Dass sie sich für die unter der Krone begangenen Kolonialverbrechen dagegen nie entschuldigt hatte, nehmen ihr viele übel. Ob es für die bitter nötige Versöhnung und auch für die Aufklärung über das grausame Vorgehen der Kolonialstaaten vor allem in Afrika und Indien besonders hilfreich ist, dass sich ausgerechnet zu ihrem Tod plötzlich zahllose Menschen lautstark und teilweise erheblich überzogen pietätlos an einer soeben verstorbenen 96-Jährigen abarbeiten, die in den vielen Jahren vorher nie ein Wort darüber verloren hatten, mag jeder für sich selbst entscheiden.

Der ad hoc Impuls, bei keinem Shitstorm als Reiter der Skandal-Apokalypse fehlen zu dürfen und auf Biegen und Brechen per Trittbrettfahrt auf den Flügeln des Empörungskults selbstzufrieden in den Abendhimmel der Woke-Wunderwelt zu gleiten, ist einer der verstörendsten Phänomene der heutigen Unvereinbarkeit von Vernunft und Diskurs. Es gibt nur noch die eigene Meinung und deren Anhänger – und Feinde, die es zu vernichten gilt.

Intelligenz-Inflation

Stichwort vernichten. Einige Zeitgenossen, wie etwa Frank Thelen, der König der Start-Up-Pleiten, der Earl von AirUp, schaffen das inzwischen ganz ohne vorherigen Shitstorm selbst. Thelen etwa, dessen quasi als Gelddruckmaschine für Kleinanleger präsentierter Fond "10xDNA" inzwischen besser in "0,5xDNA" umbenannt werden müsste, da er die Hälfte seines Geldes bereits verloren hat, wurde diese Woche in einer denkwürdigen Aufklärungs-Tirade der Journalistin Ulrike Hermann bei "Markus Lanz" hinsichtlich seiner offenbar etwas verqueren Inflations-Theorie zusammengefaltet.

Bei Markus Lanz fehlte diesmal unentschuldigt die ansonsten zu allen Themen hochqualifizierte False Balance Prinzessin des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks: Sahra Wagenknecht. Vermutlich war Thelen daher so verwirrt, dass er mehrfach Behauptungen aufstellte, die Hermann anhand aktueller volkswirtschaftlicher Thesen ins Reich der Fabeln verweisen musste.

Aber auch CDU-Erneuerer Friedrich Merz gelang zuletzt ein spektakuläres Comeback in die Kommentarspalten-Kriegsgräben. Während Themen wie Energiepreise oder Ukraine-Krieg die Nation in Atem halten, zündelt das Populismus-Genie aus dem Sauerland auf dem CDU-Parteitag vor allem an den gesellschaftlich geradezu hyperrelevanten Themen Gendern und ÖRR. Als Speerspitze der "Welt"-Kolumnisten … oh, sorry, Autokorrektur. Als Speerspitze der Freiheitsbewegung schwört er die vor jugendlichem Aufbruchs-Elan geradezu überkochende CDU-Familie im Saal darauf ein, dass Gendern mit ihm nicht zu machen sei.

Genau genommen hatte die CDU, unter anderem sehr prominent von Nachwuchs-Philipp-Amthor Christoph Ploß, gefordert, Gendern zu verbieten. Ausgerechnet Westentaschen-Merz Ploß, dem es trotz mühevoller Nachhilfe durch Michel Friedman bis heute nicht geglückt ist, die Auswirkungen eines Tempolimits voll umfänglich zu begreifen, möchte man da aufheulen. Tja, die beste Opposition aller Zeiten, soviel steht fest.

Alles neu (falsch) macht der Merz

Mit seiner Gender-Tirade war Merz aber noch lange nicht am intellektuellen Siedepunkt seiner Rede angekommen. Süffisant begrüßte er auch die Medienvertreter im Saal: "Ein besonderer Gruß geht dabei an die stolze Zahl von 58 Redakteurinnen und Redakteuren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Mit Ihnen werden wir uns im Verlauf dieses Parteitages besonders liebevoll beschäftigen".

Neben dem etwas mafiös-unangenehmen Beigeschmack einer verklausulierten Drohung scheint Merz dabei das System der Landesrundfunkanstalten noch nicht so ganz begriffen zu haben. Diese kümmern sich unter anderem um die regionalen Themen ihres Einzugsgebietes und damit unter anderem auch um die aus ganz Deutschland zum CDU-Parteitag entsandten Delegierten.

Nicht unbedingt eine Glanzleistung für einen Mann, der gefühlt schon etwa 334-mal daran gescheitert ist, Kanzlerkandidat seiner eigenen Partei zu werden. Wobei es durchaus lustig gewesen wäre, zu beobachten, wie Friedrich Merz reagiert hätte, wenn der ÖRR kostensparend auf die regionale Berichterstattung über TV und Radio verzichtet hätte und statt der 58 akkreditierten Redakteurinnen und Redakteuren nur Lutz van der Horst, Fabian Köster und Jan Böhmermann geschickt hätte. Was übrigens mit der "besonders liebevollen Beschäftigung" mit den Damen und Herren vom ÖRR gemeint war, ist bis Redaktionsschluss unklar geblieben. Wenn wir Glück haben, wacht Tom Buhrow morgen neben einem abgetrennten Pferdekopf auf.

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Paul Ronzheimer der Herzen

Das einzig Gute am Auftritt von Merz: Durch die Vorbereitung auf den wichtigen Parteitag hatte er keine Zeit, sich so umfangreich als Royals-Fan zu outen wie Markus Söder. Den Tod der Queen nutzte der bayrische Ministerpräsident zu einem fremdschamintensiven Bouquet von Social Media Bildern, die nahelegen, dass es im Falle einer Rückkehr der Monarchie nach Deutschland nur einen legitimen König gäbe: Markus Söder.

Beim Betrachten der Bilder bekommt man spontan Söderbrennen und fragt sich, wer ernsthaft glauben würde, ein selbstverliebter Schlagzeilen-Junkie wie Söder wäre der bessere Kanzler für Deutschland. Wer das denkt, der hält auch Alina Lipp für den weiblichen Paul Ronzheimer.

Womit wir schon wieder beim Ende angekommen wären. Also ungefähr da, wo der BVB dieses Wochenende auch war, jetzt mal leistungstechnisch betrachtet. Liebe Grüße an Marco Rose an dieser Stelle und bis nächste Woche!

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