Am Samstag sind alle Augen in Großbritannien auf die Westminster Abbey in London gerichtet, wo König Charles III. gekrönt wird. Alle Augen? Nein. Die meisten Briten interessieren sich nicht besonders für das historische Ereignis.

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"Wir müssen für seine Party zahlen", schimpft Alex Short (45) aus London im Gespräch mit unserer Redaktion. "Aber für uns gibt es keine Party, keinen Champagner, kein kostenloses Essen, keine Einladung." Allein der Umzug am Samstag vom Buckingham Palace zur Westminster Abbey und wieder zurück soll bis zu 100 Millionen Pfund kosten. "Das geht vermutlich alles für die Sicherheit drauf, damit er in seiner lächerlichen goldenen Holzkutsche herumfahren kann."

Alex Short ist "auf gar keinen Fall" ein Royalist, sagt er. Royalisten sind im Vereinigten Königreich und auch anderswo Menschen, die sich für die Monarchie begeistern.

Damit steht der Fotograf und Künstler nicht allein da. Laut einer YouGov-Umfrage interessieren sich die meisten Briten kaum für die Krönung. Zwei Drittel spricht das Event am 6. Mai in London entweder nicht besonders an (35 Prozent) oder sogar überhaupt nicht (29 Prozent). Vor allem die jüngeren Britinnen und Briten können wenig mit der Monarchie anfangen: Bei den 18- bis 24-Jährigen ist die Abneigung mit 75 Prozent besonders hoch.

Auch die älteren Briten interessieren sich kaum für die Krönung

Aber auch die Älteren, die eigentlich als königstreu gelten, haben nicht mehr viel übrig für Glanz und Gloria aus dem Buckingham Palast: Mehr als die Hälfte der über 65-Jährigen (53 Prozent) interessiert das Ereignis nicht. Eine Entwicklung, die auch Lyn aus Schottland beobachtet. "Es gibt Menschen in meinem Alter, die die Monarchie nicht mehr als gute Sache ansehen", erzählt die 67-Jährige, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Sie äußert sich ein wenig zurückhaltender als Alex Short, aber ähnlich deutlich. "Die Exklusivität und die Kosten des Ereignisses könnten im aktuellen finanziellen Klima als geschmacklos empfunden werden. Ich bin nicht begeistert von dem Event."

Aber sie sagt auch: "Charles hat den Titel geerbt und natürlich muss es dann diesen Pomp und diese Zeremonie geben, das gehört dazu." Allerdings, so findet Lyn, passierten überall auf der Welt wichtigere Dinge als eine Krönung in London. Anschauen wird sie sich die Zeremonie auf keinen Fall. "Ich glaube, das ganze Geld könnte besser investiert werden."

Marion Guy kommt aus der Grafschaft Dorset, hat früher als Host Mum, also als Gastmutter, gearbeitet - und arbeitet auch am Samstag. Die 78-Jährige veranstaltet einmal im Monat einen kleinen Markt, der diesmal auf den 6. Mai fällt. Die Krönung ist nicht wichtig genug, um diesen dafür ausfallen zu lassen. Allerdings, so sagt sie, wird sie sich das Ereignis vielleicht aufnehmen und hinterher anschauen. Sie kann auch verstehen, dass Charles die goldene Holzkutsche für den Umzug nutzen wird. "Das war sein Traum, er hat sein ganzes Leben darauf gewartet."

Die letzte Krönung im Vereinigten Königreich ist lange her: Vor 70 Jahren, 1953, wurde Elizabeth II. offiziell die Krone aufgesetzt. Marion Guy kann sich an diesen Tag noch erinnern, damals war sie fast neun Jahre alt. "Wir hatten selbst keinen Fernseher. Deswegen saßen wir alle bei den reichsten Leuten in unserer Straße: Es gab einen Nachbarn, der schon einen Fernseher hatte und dort haben wir die Krönung gesehen. Es war sehr schön."

Monarchiegegner kritisieren Verwendung von Steuergeldern

Guy erinnert sich noch daran, dass alle Schulkinder am nächsten Tag einen Coronation Mug geschenkt bekommen haben, also eine Krönungstasse. Die hat sie immer noch. "Sowas wird es bei Charles nicht geben", sagt sie. "Er will alles günstiger gestalten."

Günstiger ja, aber immer noch teuer. Monarchiegegner kritisieren, dass Steuergelder für die Krönung verwendet werden. "Charles ist bereits König", sagt etwa der Chef der Organisation Republic, Graham Smith, der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Es besteht absolut keine Notwendigkeit, dieses teure Schauspiel durchzuziehen." Das "sinnlose Theaterstück" sei ein Schlag ins Gesicht für Millionen Menschen, die mit Lebenshaltungskosten kämpfen.

In Großbritannien sind zuletzt viele Menschen in die Armut abgerutscht, vor allem wegen stark gestiegener Kosten für Energie und Lebensmittel. Die Reallöhne sind so stark gefallen wie seit vielen Jahren nicht mehr. Seit Monaten kommt es zu Streiks von Medizinern, Lehrern und anderen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes.

Auch Alex Short versteht die Extravaganz nicht in Zeiten, in denen viele Briten ganz besonders auf ihr Geld achten müssen. "Ist es nicht arrogant von ihm, gerade jetzt diesen Prunk durchzuziehen, nur weil er so lange darauf gewartet hat, an der Reihe zu sein?" Er hat auch eine Idee, wie es anders gehen könnte: "Warum macht Charles nicht eine kurze einfache Krönung in der Abbey und eine Feier im privaten Rahmen? Und dann, in zehn Jahren, wenn es dem Land vielleicht wieder besser geht, kann er sein Thronjubiläum groß feiern. Wäre das nicht großzügig und wohlwollend von einem König? Charles ist nicht heiliger als der Rest der Welt."

Wie viel Vermögen der Palast hat, darüber wird nicht gesprochen - weder von der Krone selbst, noch von der Regierung. Der royale Reichtum sei "für Außenstehende nicht transparent oder teuflisch kompliziert", kritisierte etwa die "Sunday Times" kurz nach Charles' Amtsantritt. Für Aufsehen sorgte daher jüngst eine Recherche des "Guardian".

Demnach besitzt Charles III. rund 1,8 Milliarden Pfund (2,05 Milliarden Euro). "Ein Großteil des Privatvermögens des Königs stammt aus der öffentlichen Rolle von ihm und seiner Familie als 'working Royals'", schrieb das Blatt.

Der Buckingham Palast nannte die Summe eine "höchst kreative Mischung aus Spekulationen, Annahmen und Ungenauigkeiten", machte selbst aber keine Angaben. Der Palast und auch Schloss Windsor gehören zwar nicht Charles selbst. Dafür aber zwei andere bekannte Anwesen mit großem Grundbesitz: Balmoral in Schottland, wo die Queen am 8. September 2022 starb, und Sandringham in Ostengland.

Geschätztes Vermögen der Royals: 20 Milliarden Pfund

Das lukrativste der Besitztümer ist aber ein anderes: das Duchy of Lancaster (Herzogtum Lancaster). Es wirft jährlich rund 20 Millionen Pfund ab - und ist seit Jahrhunderten persönliches Eigentum des Monarchen. Zu dem gewaltigen Immobilien- und Landbesitz gehören einige der bekanntesten Adressen in London sowie Grundstücke in England und Wales. Wiederholt wurde deswegen schon gefordert, das Duchy solle an den Staat fallen. Doch geeinigt wurde sich nur darauf, dass der Monarch das Land nicht verkaufen darf. Die Konten wiesen zuletzt 653 Millionen Pfund aus.

Zugutekommt Charles auch, dass für ihn keine Erbschaftsteuer gilt. Seine Mutter, die Queen, hatte einst zwar einer freiwilligen Zahlung zugestimmt. Eine Vereinbarung von 2013 aber sieht vor, dass der Monarch keine Abgaben auf Vermögenswerte zahlen muss, die von der Queen gehalten wurden. Dazu zählen die offiziellen Residenzen, die königlichen Archive sowie die Gemäldesammlung und ähnliche Schätze.

Die "Sunday Times" schätzte das Gesamtvermögen der Royals im September 2022 auf insgesamt 20 Milliarden Pfund. Und bemerkte halb verblüfft, halb anerkennend, das sei mehr als der Börsenwert des führenden Einzelhandelsunternehmens in Großbritannien, Tesco. Das Duchy of Cornwall steht traditionell dem Thronfolger zu, also Prinz William. Mit dem Amtsantritt von Charles III. sei der 40-Jährige auf einen Schlag zum Milliardär geworden, vermutet die "Sunday Times". Denn das Duchy besitzt ebenfalls zahlreiche Immobilien, davon viele in London.

"Gesamte Nation leidet am kollektiven Stockholm-Syndrom"

Trotz oder vielleicht auch gerade wegen ihrer Reichtümer sind die Royals überall in der Welt nach wie vor beliebt. Vor allem die Queen hatte viele Fans. "Ich glaube, das lag daran, dass sie nie rechthaberisch war", vermutet Marion Guy. "Sie durfte sich nicht in die Politik einmischen und hat bis zu dem Tag gearbeitet, an dem sie starb." Dass die Popularität von Elizabeth II. vor allem auf ihre lange Regentschaft zurückzuführen ist - 2022 feierte sie im Juni ihr 70. Thronjubiläum, das Platinum Jubilee - davon sind sowohl Guy, als auch Alex Short und Lyn überzeugt.

Charles wird nicht so lange auf dem Thron sitzen wie seine Mutter, er ist bereits 74 Jahre alt. Er ist auch politischer, als die Queen es war. Vor einigen Wochen bei seinem Staatsbesuch in Berlin sprach er bei seiner Rede im Bundestag den Krieg in der Ukraine an - was bei der Königin undenkbar gewesen wäre. Ob das gut ist? "Dazu habe ich keine Meinung", sagt Marion Guy.

Wenn es nach Alex Short ginge, sollte die Monarchie abgeschafft werden. "Mir scheint, als würde unsere gesamte Nation am kollektiven Stockholm-Syndrom leiden. Glaubt wirklich noch jemand daran, dass diese Familie ihre Berechtigung direkt von Gott bekommen hat? Das ist absurd."

Doch womit sollte die Monarchie dann ersetzt werden? Lyn muss bei dem Gedanken lachen, weil sie sich nicht vorstellen kann, was an deren Stelle treten sollte. "Ich bin damit aufgewachsen und habe noch nie über eine Alternative nachgedacht."

Verwendete Quellen:

  • Interviews
  • theguardian.com: Revealed: royals took more than £1bn income from controversial estates
  • YouGov befragte insgesamt 3.070 Briten.
  • Material von dpa
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